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Bielefeld

Opernrarität "Hamlet" feiert Premiere am Stadttheater

Regisseurin Andrea Schwalbach inszeniert die Tragödie als Familiensaga

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02.03.2015 | 02.03.2015, 13:12
Die Zerstörten: Hamlet (Evgueniy Alexiev, M.)., Ophelia (Cornelie Isenbürger) und Hamlets Freund Horatio (Caio Monteiro). - © Foto: Paul Leclaire
Die Zerstörten: Hamlet (Evgueniy Alexiev, M.)., Ophelia (Cornelie Isenbürger) und Hamlets Freund Horatio (Caio Monteiro). | © Foto: Paul Leclaire

Bielefeld. Das Familienoberhaupt vom eigenen Bruder ermordet, die Witwe nun mit dem Mörder ihres Ehemannes verheiratet; der Sohn auf der Suche nach der Wahrheit dieser Verschwörung am Rande des Wahnsinns, seiner sich nach seiner Liebe verzehrenden Verlobten bleibt einzig der Suizid als Ausweg. Die Rache des Sohnes für den Vatermord endet für viele der Beteiligten tödlich.

Den Stoff der berühmten Shakespeareschen Tragödie Hamlet diente dem französischen Komponisten Ambroise Thomas 1868 als Vorlage seiner fünfaktigen Grand Opéra. Seine Librettisten Michel Carée und Jules Barbier milderten das Drama nach den angenommenen Bedürfnissen des Pariser Publikums ab. Die Folge: weniger Tote und Gemetzel, dafür mehr Auflockerung durch ein eingeschobenes Ballett, ein Trinklied und ein fadenscheiniges Happy End für den Titelhelden, der nicht stirbt, sondern zum König gekrönt wird.

Die populistische Haltung gegenüber der Kunst wurde der Nachwelt zum Problem. Auch die zweite Fassung für eine Produktion am Londoner Theater Covent Garden mit einem tödlichen Ende für Hamlet selbst, änderte an der Kritik nichts. Thomas? Oper verschwand aus dem Repertoire, entgegen der Dramenvertonungen seiner Kollegen wie Gounods "Faust" oder "Roméo et Juliette".

Hamlet als Familiensaga

Die Handlung hat so ihre dramaturgischen und inszenatorischen Herausforderungen. Am Theater Bielefeld versuchte Regisseurin Andrea Schwalbach, diese über die reine Psychologisierung der einzelnen Familienmitglieder zu stemmen. Dafür fällt die Ballettszene, und die Finallösung der zweiten Fassung dient als Schlusstableau. Hamlet wird zur Familiensaga.

Eine Ausgeburt an Psychopathen ist diese Familie: reich und mächtig, doch der Empathie gegenüber den einzelnen Familienmitgliedern unfähig. Ein Psychologe (Yoshiaki Kimura) versucht, auf stets präsenter Psychiatercouch zu therapieren. Doch er kann nicht helfen. Die Familie ist emotional erstarrt und leidet spürbar darunter. Hamlets Verlobte, Ophélie (Cornelie Isenbürger), ritzt sich die Gliedmaßen blutig, um sich überhaupt noch in dieser emotionalen Kälte spüren zu können. Ihr letzter Ausweg ist die Selbsttötung.

Dessen ist Hamlets Mutter Gertrude (Melanie Kreuter) unfähig; sie brachte es nur soweit, sich ergebnislos die Pulsadern aufzuschneiden. Die Mitschuld am Mord ihres Mannes verzeiht ihr der Sohn nicht. Hamlet (Evgueniy Alexiev) gerät zum Getriebenen seiner Psychose. Die Wahrheit über die familiären Abgründe kann er stets in seinem Tagebuch nachlesen. Einzige Befreiung davon ist ihm der Totschlag an Stiefvater (Roman Astakhov), dessen Gefolgsmann und sich selbst.

Aus dem Orchestergraben steigt herrliche Musikkultur empor. Feinfühlig für alle Farbnuancen der Orchestration dirigiert Elisa Gogou souverän die Bielefelder Philharmoniker. Homogen gelingt ihr die Kommunikation zwischen Orchestergraben und Bühne, auf der ein grundsolides und spielfreudiges Ensemble agiert.

Dabei sind die Vokalsolisten überwiegend mehr mit dem schauspielerischen Teil ihrer Rollenausdeutung beschäftigt, denn mit dem musikalischen. Die Symbiose aus Darstellung und Musikalität glückt besonders Melanie Kreuter als Hamlets Mutter Gertrude. Erwähnenswert auch der ganz auf Eleganz und Raffinement der französischen Musik ausgelegte Opernchor (Einstudierung: Hagen Enke).

Oft unfreiwillig komisch

Soweit so geglückt. Wäre da nicht der versuchte Hyperrealismus der Inszenierung. Die Bühne ist zum privaten Wohninnenraum mit allerlei Firlefanz ausstaffiert (Bühne: Nanette Zimmermann; Kostüme: Petra Wilke). Hierin spielt sich das Familiendrama wie eine Fernsehsoap ab. Das geht leider nur bedingt auf. Reminiszenzen an die Realität auf der Theaterbühne wirken oft unfreiwillig komisch. Sie enttarnen sich dann, wenn Kulissen durch Bühnenarbeiter geschoben werden, Eis im Cocktailglas nach Plastik klingt, Theaterblut aus allen Poren tropft, Schnapsflaschen sich als gemalte Nachbildung offenbaren und choreografierte Ohrfeigen ins Leere schlagen. Musiktheater bleibt alleine schon wegen der Irrealität des Singens Behauptung. Schirmchen in Cocktailgläsern tragen eben nur bedingt zur Interpretationstiefe bei. "Mehr Inhalt, weniger Kunst" um mit Shakespeares Worten alias Gertrude zu sprechen. Ein Umgekehrt wäre in diesem Fall wohl mehr gewesen.
Information

Aufführungen:

3., 13., 22., März
11. April
10., 18., 26. Juni

Tickets gibt's hier