Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Abends am Fluss / Hochwasser

Zwei Opern von Johannes Harneit
Libretti von Gero Troike

in deutscher Sprache, Abends am Fluss mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Uraufführung im Theater Heidelberg am 6. Februar 2015
(rezensierte Aufführung: 3. März 2015)


 

Logo: Theater Heidelberg

Theater Heidelberg
(Homepage)

Das Hochwasser der Anderen

Von Joachim Lange / Fotos von Annemone Taake

Das hätten man in Leipzig auch haben können: Den reichlich abendfüllenden Opern-Doppelabend aus Abends am Fluss und Hochwasser von Johannes Harneit (52). Und das Ganze auch als Uraufführungs-Inszenierung von Peter Konwitschny und seines langjährigen Ausstatter-Weggefährten Helmut Brade. Bei den beiden werden die verschachtelten, nur mit einiger Zuschauer-Anstrengung zu knackenden Gedankenbilder, die wie Bruchstücke auf metaphorischen Fluten daher geschwommen kommen, mal nach oben gespült werden und dann auch wieder untergehen, als szenische Bilderrevue aufgeklart. Im weitesten Sinne zunächst als ein Exkurs zur deutschen Geschichte und dann im zweiten Teil zum Funktionieren von Erinnerung. Zuerst als eine großformatige und auf sinnliches Charisma setzende Oper; dann als eher kammermusikalisch satyrspielhafter Nachtrag der eher kleineren Form.

Vergrößerung in neuem Fenster

Abends am Fluss: Wenn es Geld regnet, geht die Utopie baden

Konwitschny hatte diese Doppelnovität 2007 noch als Chefregisseur der Oper Leipzig bei Johannes Harneit in Auftrag gegeben. Wohl auch, weil er seit seiner dezidiert politischen Klarstellungsbemühung um Luigi Nonos Al gran sole carico d'amore vor elf Jahren in Hannover, das ästhetische und das Erkenntnis-Potenzial einer ambitionierten Neuverknüpfung von Textsedimenten und musikalischem Material zu schätzen gelernt hat. Das rege, stets nach Neuem suchende Theater in Heidelberg erntet jetzt den Lorbeer der Uraufführung. Der eigentlich von der bildenden Kunst kommende Gero Troike hat die Libretti verfasst, nachdem seine fürs Schauspiel gedachten Texte schon die Anregung für den Kompositionsauftrag gegeben hatten.

Der Abbruch des Projektes in Leipzig bleibt ein ebenso unrühmliches Kapitel wie der damit einhergehende Bruch zwischen der Oper unter dem gerade etablierten Intendanten Ulf Schirmer und seinem damaligen Chefregisseur Peter Konwitschny. Doch es gehört zu den unschätzbaren Vorzügen des deutschen Stadttheatersystems, dass nichts Wichtige verloren geht und aus der Schmach der einen schnell ein Triumph der anderen werden kann. Für den dreieinhalbstündigen Abend wird einmal der Ort gewechselt. Abends am Fluß findet im neu errichteten großen Marguerre-Saal des Heidelberger Theaters statt - für den zweiten Teil ziehen die Zuschauer in den alten Saal um, wo sie zwischen Bühne und Parkett aufgeteilt werden. Das Orchester ist hier dazwischen platziert - die beiden Protagonisten und der Chor schlängeln sich durch die Reihen, während die Zuschauer auf den Bühnen-Hubpodien dem Chor als Personifizierung des anschwellenden Hochwassers assistieren.


Vergrößerung in neuem Fenster Abends am Fluss: "Ich war, ich bin, ich werde sein."

Auch im ersten Teil wird das strömende Gewässer durch den Chor versinnbildlicht. Und schwemmt archetypisches Personal für eine Zeitreise der Erinnerung an. Zunächst an die Jahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkrieges und den Mord an Rosa Luxemburg. Deren von Ferdinand Freiligrath übernommenem Zitat "Ich war, ich bin, ich werde sein!", das sie kurz vor ihrer Ermordung notierte, wird - auch in Helmut Brades Bühne - eine Schlüsselstellung zugewiesen, ja wird zu einem Wegweiser im Strom der Geschichte. Der auch eine riesige DDR-Fahne anschwemmt, bei der das Hammer-Zirkel-Ährenkranz-Emblem demontiert und damit der dazugehörige Teilstaat entsorgt wird. Die Geldschein-Segnungen der Wiedervereinigung gehen vor dem gesamtdeutschen Schwarz-Rot-Gold hernieder. Aber auch der Konsumterror gebiert sein gewaltsames Pendant. Was bei Konwitschny mit belehrendem Unterton zum Triumph des Geldes über die Utopie wird.

Vergrößerung in neuem Fenster

Hochwasser: Die personifizierte Erinnerung des schweren und des leichten Koffers hat jeweils ihre eigene Stimme.

Dazwischen versucht sich das ganze archetypische Personal zurecht zu finden: Vom strengen Großvater (mit imponierender szenischer Präsenz und vokaler Wucht: Tomas Möwes), der mütterlichen Frau (im Luxemburg-Look: Irina Simmes), der eine "Innere Stimme" (mezzomarkant: Carolyn Frank) und ein "Schatten" (sopranlyrisch: Hye-Sung Na) beigeben sind, über das einstige Wunderkind (Agnus Wood), bis hin zu dem mit abenteuerlichen Koloraturen aufwartenden Hund (Namwon Huh) und einem linken (Winfrid Mikus) und einem rechten Spitzel (Nico Wouterse), die mit ihren Laptops in zwei Schildhäuschen das Geschehen festhalten. Auch eine Art dem Kontinuum der Zeiten im Wandel der Systeme nachzuspüren.

Den metaphorischen Strom (der Zeit) hat Harneit mit einem sinnlich suggestiven Klang ausgestattet, mit einer Musik, die packt und mitreißt und dennoch der Eloquenz der mitunter nur aphoristisch verkürzenden Textbruchstücke Luft lässt. Und seltsamen Intermezzi wie einer Sitzung bei Sigmund Freud in einem Käfig.


Vergrößerung in neuem Fenster Hochwasser: Der leichte Koffer staunt über den Inhalt des schweren - der ist nämlich noch leer.

Im zweiten Teil setzt die Musik auf den Witz der Worte. Da geht es um den Dialog der Erinnerung, den ein leichter neuer und ein mit Erinnerung angefüllter alter Koffer führen. Für die ist das langsam steigende und in den Keller eindringende Hochwasser das Ereignis schlechthin in ihrem ansonsten abgestellten Dasein. Inklusive immer wieder abstürzender Putzstücken. Und einer wuselnden Riesenratte am Ende. Dass Harneit seine Komposition selbst souverän dirigiert, sichert neben dem Zusammenspiel von Graben und auf dem Rang (mit Ko-Dirigent: Dietger Holm) postierten Schlagwerk, Harfe, Blechbläsern, Klavier und Streichquintett im ersten Teil und den Mitspieleinlagen mit dem Darstellersolo der Bratschistin Marianne Venzago als Clou im zweiten Teil, die Authentizität dieses beeindruckenden Klangstroms. Der Heidelberger Intendant Holger Schultze und sein Operndirektor Heribert Germershausen haben aus der in Leipzig erdachten, aber dort verschenkten Opernnovität ein Ereignis werden lassen! Johannes Harneit arbeitet übrigens an einer neuen Oper für Kinder und Erwachsene Alice im Wunderland. Die wird bereits am 2. Mai in Gera uraufgeführt.


FAZIT

In Heidelberg hat Peter Konwitschny jetzt den eigentlich für Leipzig geplanten Opern-Doppelabend von Johannes Harneit Abends am Fluss und Hochwasser auf die Bühne gebracht. Damit ist eine interessante Novität überzeugend uraufgeführt und bei der Gelegenheit auf spektakuläre Weise auch die Leistungsfähigkeit dieses Theaters unter Beweis gestellt worden.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Harneit

Co-Dirigent
Dietger Holm

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Helmut Brade

Chor
Anna Töller

Dramaturgie
Bettina Bartz
Heribert Germeshausen
Julia Hochstenbach



Chor, Extrachor und Kinderchor
des Theaters und Orchesters Heidelberg

Philharmonisches Orchester Heidelberg


Solisten

Abends am Fluss

Mann
Angus Wood

Frau
Irina Simmes

Greis
Tomas Möwes

Hund
Namwon Huh

Links
Winfrid Mikus

Rechts
Nico Wouterse

Innere Stimme
Carolyn Frank

Schatten
Hye-Sung Na

Hochwasser

Schwerer Koffer
Wilfried Staber

Leichter Koffer
Ipča Ramanović

Die schöne Frau
Marianne Venzago






Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Theater Heidelberg
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -