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Die schweigsame Frau

Komische Oper in drei Aufzügen
Dichtung von Stefan Zweig frei nach Ben Jonson
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 14. März 2015




Theater Essen
(Homepage)
Das Geheimnis der Flaschenpost

Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Jung

Was hätte nach dem Tod von Hugo von Hofmannsthal aus der Kooperation zwischen Richard Strauss und Stefan Zweig werden können, wenn, ja wenn nicht die Nationalsozialisten die Macht übernommen und die jüdischen Künstler für lange Zeit aus der Kultur verbannt hätten? Strauss selbst war von Zweigs Libretto zu ihrer ersten und leider auch einzigen gemeinsamen Arbeit, Die schweigsame Frau, so begeistert, dass er ihm attestierte, dies sei die beste Vorlage für eine opéra comique seit Mozarts Figaro. Wahrscheinlich bestand Strauss auch deshalb darauf, dass Zweigs Name auf dem Plakat und den Abendspielzetteln der Premiere in Dresden stand, nachdem das Werk auf Druck der Nationalsozialisten eigentlich nur mit dem Hinweis "Oper nach Ben Jonson" zur Uraufführung gelangen sollte. Dieser Starrsinn wurde dem Werk dann wahrscheinlich auch zum Verhängnis. Hitler und Goebbels blieben unter fadenscheinigen Argumenten der Premiere fern, und die Oper wurde trotz ihres überwältigenden Erfolgs bei der Uraufführung nach nur drei Vorstellungen abgesetzt und in Deutschland verboten. Auch in der heutigen Zeit ist das Werk äußerst selten auf den Spielplänen zu finden und ist nun erst zwei Jahre nach Stefan Soltesz, der als Intendant auch für eine intensive Strauss-Pflege bekannt war, in Essen zu erleben.

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Der Barbier (Martijn Cornet, rechts) überredet Sir Morosus (Franz Hawlata), sich eine junge und schweigsame Frau zu suchen.

Die Handlung basiert auf einer Komödie von Ben Jonson, die unter dem Titel Epicoene or The Silent Woman 1609 in London ihre Uraufführung erlebt und seitdem bereits als Vorlage für einige Vertonungen gedient hatte. Zu nennen ist an dieser Stelle beispielsweise Donizettis Don Pasquale. Der alte und sehr lärmempfindliche Sir Morosus enterbt seinen Neffen Henry, weil dieser sich mit einer lauten Operntruppe bei seinem Onkel einnisten will, und plant nun, selbst zu heiraten und der Frau samt Nachkommen sein Vermögen zu hinterlassen. Die zukünftige Frau soll aber einige Bedingungen erfüllen: Sie soll jung, hübsch, vor allem aber schweigsam sein, um die Ruhe des alten Mannes nicht zu stören. Der Barbier überredet Henrys Frau Aminta in die Rolle der schüchternen Timidia zu schlüpfen und mit der ganzen Truppe eine Hochzeitszeremonie zu inszenieren. Sir Morosus fällt tatsächlich darauf herein, und kurz nach der vermeintlichen Eheschließung zeigt Timidia ihr wahres Gesicht und macht dem alten Mann das Leben zur Hölle. Henry eilt seinem Onkel zu Hilfe, der sofort wieder die Scheidung will. Doch so einfach funktioniert es nicht. Als Morosus daraufhin einen Zusammenbruch erleidet, haben Henry und Aminta Mitleid mit ihm und klären ihn auf. Statt wütend zu sein, kann der Onkel über seine eigene Dummheit lachen, setzt seinen Neffen erneut als Erben ein und genießt die Ruhe, die dann trotz Aufnahme der Operntruppe in seinem Leben einzieht.

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Aminta (Julia Bauer) bringt als schüchterne Timidia Morosus' (Franz Hawlata) Blut in Wallung.

Schon während der Ouvertüre flimmern zahlreiche bekannte Kinosequenzen als Videoprojektionen über eine Leinwand, die den Vorhang ersetzt. Berücksichtigt man, dass alles mit dem Kapitän auf der sinkenden Titanic beginnt und von dort in zahlreiche Abenteuerfilme wie Fluch der Karibik und Moby Dick übergeht, soll das wohl eine Art Retrospektive des alten Sir Morosus sein, der seine vergangenen großen Abenteuer auf See noch einmal Revue passieren lässt. So endet auch alles mit einem gewaltigen Knall, der wohl die Explosion darstellt, die verantwortlich für Morosus' Lärmempfindlichkeit ist. Die Bühne von Johannes Leiacker zeigt nun einen gewaltigen Raum, den Morosus sich als Refugium wie eine einsame Insel eingerichtet hat. Der unebene gelbe Boden erinnert an sandige Dünen, und die Schatzkiste in der Mitte der Bühne dient als Schlafkammer. Riesige stachelige Kakteen deuten darauf hin, dass Morosus im Umgang eher schwierig ist, und ein riesiges Loch in der Wand im Bühnenhintergrund steht wohl stellvertretend für den großen Knall, der das Lärmtrauma bei Morosus ausgelöst hat. Natürlich dürfen an einem einsamen Sandstrand auch eine riesige Muschel und eine Flaschenpost nicht fehlen. Wieso aber im Verlauf des Stückes die einzelnen Darsteller alle den Brief aus dieser Flaschenpost lesen und ihn anschließend wieder in der Flasche deponieren, erklärt sich nicht, zumal das Publikum auch nicht aufgeklärt wird, welche Information dieser Brief eigentlich enthält.

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Unerfüllte Liebe: Die Haushälterin (Marie-Helen Joël) sehnt sich nach Sir Morosus (Franz Hawlata).

Auch erklärt sich nicht, wieso Morosus' alte Haushälterin im ersten Teil als aufgetakeltes Revue-Girl mit Federhut auftritt. Da kann auch ihr Satz aus dem zweiten Aufzug "Irgendetwas stimmt da nicht", den laut Aussage des Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach der Regisseur Guy Joosten über die ganze Inszenierung gestellt habe, keinerlei Erklärung liefern. Ansonsten bietet Joosten nämlich eine peppig bunte und etwas schrille Inszenierung, die der Vorlage durchaus gerecht wird. Den alten Morosus zunächst als alternden Piratenkapitän mit ergrauten Dreadlocks darzustellen, der sich erst mit seinen Hochzeitsplänen in einen langweiligen greisen Kauz verwandelt, birgt genauso komisches Potential wie die beiden weiteren Heiratskandidatinnen Isotta und Carlotta als germanische Walküre oder verführerische Carmen darzustellen oder dem Barbier mit extravaganter Frisur und exaltierten Bewegungen einen femininen Touch zu geben. Aminta, die in der Kostümierung der Commedia dell'Arte entstammt, besitzt im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Norina in Don Pasquale einen wesentlich differenzierteren Charakter. So entwickelt sie im Verlauf des Stücks für den alten Mann durchaus Sympathie, was in dem romantischen Duett in der Mitte des zweiten Aufzugs zum Ausdruck kommt, mit dem die Zuschauer in die Pause geschickt werden. Hier scheut Joosten auch keinen Kitsch - so leuchtet im Hintergrund der Mond -, um deutlich zu machen, dass sich Aminta bei ihrem falschen Spiel nicht wohl fühlt. Folglich lässt Joosten es am Ende auch nahezu offen, ob Aminta und Henry nach dieser ganzen Maskerade zu einem glücklichen Leben zurückkehren können. Nur Morosus scheint am Ende geläutert, verlässt sein selbst gewähltes Exil und geht durch den Zuschauerraum ab.

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Ein Happy End sieht anders aus: Aminta (Julia Bauer) und Henry (Michael Smallwood).

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Martyn Brabbins entwickelt mit den Essener Philharmonikern aus dem Orchestergraben einen vielschichtig ausdifferenzierten Strauss-Klang, der die lautmalerischen Effekte deutlich herausarbeitet und in den lyrischen Passagen einen schwelgerischen Ton anschlägt. Mit Franz Hawlata und Julia Bauer stehen als Sir Morosus und Aminta zwei exzellente Sängerdarsteller auf der Bühne. Hawlata begeistert mit brummelndem und bisweilen auch polterndem Bass als eigensinniger Sir, der nur seinen eigenen Lärm ertragen kann. Dabei spielt er auch den in dem alten Mann erwachenden zweiten Frühling nach der Hochzeit großartig aus. Ein musikalischer Höhepunkt dürfte sein tiefes ruhiges "Dank" am Ende des zweiten Aktes sein, wenn er nach dem ersten Stress mit der neuen Ehefrau unter dem Schutz seines Neffen zur Ruhe finden will. Bauer glänzt mit atemberaubenden Koloraturen und einem silbrig schimmernden Klang in den Höhen und changiert geschickt zwischen sanftem Weibchen und keifender Furie. Darstellerisch verleiht sie der Aminta große Tiefe, wenn sie ihr großes Unbehagen beim falschen Spiel mit dem alten Mann erkennt. Marie-Helen Joël gefällt stimmlich und darstellerisch als schnatternde Haushälterin, die den alten Morosus doch so gerne selbst geheiratet hätte. Ihre Kostümierung bleibt aber genauso unklar wie die Tatsache, dass sie sich im dritten Akt ständig mit dem als Zorro verkleideten Farfallo (Baurzhan Anderzhanov) vergnügen muss. Martijn Cornet stattet den Barbier mit kräftigem Bariton aus und gefällt durch exaltiertes Spiel. Michael Smallwood hingegen stößt als Henry in den Höhen an seine Grenzen. Von den kleineren Partien ist noch Tijl Faveyts hervorzuheben, der als Vanuzzi mit markantem Bass punktet. So gibt es am Ende heftigen, wenn auch vergleichsweise kurzen Applaus, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Szenisch erschließt sich nicht alles in diesem Regie-Konzept, aber man sollte sich diese selten gespielte Strauss-Oper schon allein wegen der musikalischen Gestaltung in Essen nicht entgehen lassen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Martyn Brabbins

Inszenierung
Guy Joosten

Ausstattung
Johannes Leiacker

Choreographie
Matteo Marziano Graziano

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Manfred Voss

Video
Philipp Kramarczik

Dramaturgie
Alexander Meier-Dörzenbach

 

Essener Philharmoniker

Herren des Opernchores
des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters

 

Solisten

Sir Morosus
Franz Hawlata

Seine Haushälterin
Marie-Helen Joël

Barbier
Martijn Cornet

Henry
Michael Smallwood

Aminta
Julia Bauer

Isotta
Christina Clark

Carlotta
Liliana de Sousa

Morbio
Karel Ludvik

Vanuzzi
Tijl Faveyts

Farfallo
Baurzhan Anderzhanov



Weitere Informationen
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Theater Essen
(Homepage)




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