Offenbachs "Hoffmann" Des Dichters Albträume

Am Anfang hat der Teufel das Wort: Jacques Offenbachs große Oper "Hoffmanns Erzählungen", deren Beginn er im Bonner Opernhaus harsch unterbricht, empfindet er nämlich als freche Provokation.

 Singender Automat: Netta Or (Mitte) als Olympia in der Bonner Neuinszenierung von "Hoffmanns Erzählungen".

Singender Automat: Netta Or (Mitte) als Olympia in der Bonner Neuinszenierung von "Hoffmanns Erzählungen".

Foto: Thilo Beu

Der Komponist, so klagt der Gebieter der Hölle, habe seinen Ruf schon in "Orpheus in der Unterwelt" arg beschädigt. Deshalb habe er seit 135 Jahren alles darangesetzt, gegen dieses neue "Machwerk" anzukämpfen. Das ist aber selbst für den Teufel kein leichtes Unterfangen. Denn weder der - wohl nicht ganz zufällige - frühe Tod Offenbachs, der das Werk unvollendet ließ, noch die brennenden Opernhäuser 1881 in Wien und 1887 in Paris, wo zahllose Notenblätter ein Raub der Flammen wurden, vermochten den Siegeszug des Werk-Torsos aufzuhalten.

Nun also Bonn, wo Regisseur Renaud Doucet und sein Partner und Ausstatter André Barbe die, so scheint es, von bösen Mächten begleitete Entstehungsgeschichte von "Les Contes d'Hoffmann" geistreich in ihre fantastische Inszenierung einbeziehen. Sie drehen die Lust des Komponisten am Spiel mit den Bedeutungsschichten der Motive aus E.T.A. Hoffmanns Schriften einfach noch ein bisschen weiter.

Die inklusive zweier Pausen fast vier Stunden lange, sehr spektakuläre Inszenierung spielt in einem abgebrannten Theater, das Akt für Akt jedoch bemerkenswerte Metamorphosen durchläuft, von der "Höllenbar", in der die Rahmenhandlung angesiedelt ist, über die bizarre Welt des Erfinders Spalanzini und seiner singenden Automaten-Puppe Olympia, der vereisten Stummfilmwelt der Antonia bis hin zu dem venezianischen Freudenhaus des varietéhaft inszenierten Giulietta-Aktes.

Während der junge Dichter Hoffmann auf ein Rendezvous mit der Sängerin Stella wartet, die im Theater die Donna Anna aus Mozarts "Don Giovanni" singt, erzählt er in der "Höllenbar" von den Begegnungen mit den Frauengestalten. Auf seinem Weg durch die albtraumhaften erotischen Fantasiewelten wird der Dichter vom Komponisten Offenbach begleitet, der sich in unterschiedlichen Tarnungen als Cochenille, Frantz oder Pitichinaccio unters Bühnenvolk mischt, gleichwohl aber wie seine Musen immer leicht an der bronzefarbenen Gesichtsfarbe zu erkennen ist.

Nach dem Olympia-Akt gab's schon erste Bravo-Rufe für den Bonner "Hoffmann". Das Beethoven Orchester spielte die abwechslungsreiche Partitur unter Hendrik Vestmanns Leitung packend und mit großer Leidenschaft, der von Volkmar Olbrich einstudierte Chor hatte auch schon ein paar saftige Kostproben seines Könnens geliefert. Der Applaus galt aber auch der unglaublichen Detailliebe, die jede Figur in dieser Inszenierung erfährt.

Da lässt sich etwa das Kleid der Olympia einfach aufklappen, woraufhin zwei Beinchen zum Vorschein kommen, die das skurrile Geschöpf nach Belieben verbiegen, verknoten oder sogar über die Schulter werfen kann. Selbst die kleinsten Nebenfiguren stecken voller origineller Einfälle. Beispielhaft sei hier nur das gruselige, aber raffiniert erfundene Kind ohne Kopf erwähnt, das selbst einen Bauchladen voller Köpfe trägt, um die Zauberbrillen des Coppelius feilzubieten.

Netta Or singt die Tonsprünge der Olympia absolut sicher, ebenso wie sie im nächsten Akt sich in die schwermütige Antonia verwandelt, die in ihrer eisigen Welt buchstäblich vom Tode gezeichnet ist. Und auch als Kurtisane Giulietta begeistert die Sopranistin mit ihrer immer perfekt fokussierten, klangschönen Stimme. Als Hoffmann gefällt der junge Franzose Sébastien Guèze, der nicht nur aussieht, wie man sich einen jungen Dichter vorstellt, sondern auch noch eine beachtliche Tenorstimme vorzuweisen hat, wie man bereits im berühmten Lied von "Kleinzack" hören konnte.

Martin Tzonev liegt das Teuflische im Blut, wie er in wechselnder Gestalt als Lindorf, Coppélius, als nosferatuhafter Dr. Miracle und als Dapertutto zeigen durfte: Eine Paradepartie für den Bassisten. Die Rolle der Muse/Nicklausse scheint der Mezzosopranistin Susanne Blattert auf den Leib geschrieben zu sein. Christian Georg sang die Offenbach-Varianten mit viel Witz in der virtuos behandelten Tenorstimme.

In den kleineren Rollen herrschte am Premierenabend ebenfalls kein Mangel an tollen Stimmen, wie Rolf Broman (Luther/Crespel), Johannes Mertes (André/Spalanzini), Charlotte Quadt (Antonias Mutter), Enrico Döring (Herrmann), Jonghoon You (Nathanael), Sven Bakin (Wolfram/Schlémil) sowie Boris Beletskiy (Wilhelm) zeigten. Großer und langanhaltender Jubel.

Die nächsten Vorstellungen: 21., 27. März, 5., 12., 17., 19., 25., April, 7., 13., 17. Mai, 12., 17. und 21. Juni. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort