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Bei Mutti ist alles besser

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Früher Tod? Kein Problem: Carmen (Theresa Kronthaler) zockt mit ihrem Leben.
Früher Tod? Kein Problem: Carmen (Theresa Kronthaler) zockt mit ihrem Leben. © Landsberg

Bremen - Von Mareike Bannasch. Er liebt sie, und alles könnte so einfach sein. Haus, Kinder und Gefühle, die bis ans Ende ihrer Tage andauern. Dumm nur, dass sie sich leider in einen anderen verguckt hat, und es auf solch eine Geschmacksverirrung nur eine Antwort geben kann: ihren Tod.

Viel mehr braucht es nicht für die ganz großen Tragödien, seit jeher die Publikumslieblinge auf den Opernspielplänen. Allerdings können Dramatik und überbordende Gefühle nicht immer überzeugen, wie sich auch bei George Bizets „Carmen“ zeigte. Nach der Uraufführung im Jahr 1875 von den Kritikern zerrissen, gehört sie heute zu den beliebtesten Opern aller Zeiten. Und auch im Theater Bremen sorgt die Geschichte von der männermordenden Schönheit und dem labilen Soldaten am Samstagabend für lauten und langen Jubel. Zu Recht.

Vor der Kulisse eines prunkvollen Salons (Bühne: Duri Bischoff) mit kleinen Sitzgruppen, Schiebetüren und Kronleuchter befreit die Regisseurin Anna-Sophie Mahler „Carmen“ von Flamenco, bauschenden Röcken und Postkarten-Idylle. Von spanischen Stereotypen bleibt nur das schiefe Bild eines namenlosen Toreros über dem Kamin – um den herum sich die feinen Herren der Gesellschaft (fabelhaft: der Opernchor Bremen) die Ehre geben. Hier sind sie unter sich, rauchen Zigarren und lösen all jene wichtigen Probleme, die eben nur Männer von Welt lösen können.

Nur einer will so gar nicht passen in diesen elitären Kreis: Don José. Wie ein Fremdkörper schlurft er im militärisch grünen Gehrock umher, von den anderen geflissentlich ignoriert. Ein phlegmatisches Muttersöhnchen, das seinen Erinnerungen nachhängt. Erinnerungen an damals, daheim bei Mama, als alles irgendwie besser war. Doch diese Zeiten sind vorbei, Don José hat längst eine neue Passion gefunden: Mutti ist nicht mehr wichtig, nun läuft er einem Leben mit der feurigen Carmen nach. Er, der auf Sicherheit bedachte und in seinen Erinnerungen gefangene Schwächling steht jetzt einer temperamentvollen Zockerin gegenüber. Einer, die nur für den Augenblick lebt. Was gestern war oder morgen sein wird? Ihr ist es egal.

Das muss man der Verführerin bei all ihrer Rücksichtslosigkeit lassen: Auf die Karten, die ihr das Schicksal zugeteilt hat, reagiert sie mit bewundernswerter Gelassenheit. Ein früher Tod durch die Hand eines verschmähten Liebhabers? Kein Problem, solange man vorher noch ein bisschen Spaß hatte. Der Tod als definitives Ende, eine Gewissheit, mit der es sich offenbar dann doch ganz gut leben lässt.

So viel Wagemut macht verführerisch, ihm zu entkommen, fällt nicht leicht. Und so wird Don José zu einem Teilchen in Carmens Spiel, einem, in dem der Ausgang schon lange feststeht.

Luis Olivares Sandoval gibt dem Außenseiter, der zielsicher stets die falsche Entscheidung trifft, ein erschreckend überzeugendes Antlitz. Oftmals in sich gekehrt, kann er mit dem Hier und Jetzt nur wenig anfangen. Stattdessen flüchtet er sich in Illusionen, Träume und längst vergessene Momente. Mit klagendem, durchdringenden Tenor beschwört er angetrieben von Micaela die Erinnerung an seine Kindheit herauf.

Erika Roos verkörpert mit ausdrucksstarkem Sopran die liebevolle Mutterfigur, die um die Seele des lustlosen Soldaten kämpft, auch wenn sie dabei schon lange auf verlorenem Posten ist. Denn Josés Gefühle für Carmen sind zu mächtig, um sich noch eindämmen zu lassen. Da verkommt auch das Bild des kleinen Jungen, der schon damals den Soldatenrock trug, zur Momentaufnahme im einem immer absurder werdenden Spiel. Einem Strudel, der auch aus der Musik Bizets und den an diesem Abend bestens aufgelegten Bremer Philharmonikern seine Kraft bezieht. Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Markus Poschner mokieren sich die Musiker als eine Art beobachtende Instanz mit teilweise fast schon derber Wucht über die Leiden des Don José. Dabei scheinen sie nicht nur manches Mal mehr zu wissen als die Charaktere auf der Bühne, sie treiben zudem das Spiel um den Tod rasant auf sein Ende zu – und den Ewiggestrigen sehenden Auges in sein Unglück.

Ein dramatischer Ausgang, für den vor allem eine verantwortlich ist: Carmen. Theresa Kronthaler überzeugt in der Titelpartie an diesem Abend nicht nur stimmlich, sie schafft es auch, der Lebensfreude und dem Hang zur Manipulation, der ihr ohne Zweifel zu Eigen ist, ein überzeugendes Gesicht zu verleihen. Die laszive Kellnerin hat genug von ihrem Leben beim Personal, sie will raus. Allerdings wartet sie nicht einfach auf die Rettung durch einen Mann, vielmehr ist der labile Soldat eine günstige Gelegenheit, eine weitere Karte in ihrem rasanten Spiel. In dem sie sich auch nicht von geschlechtertypischen Zuschreibungen stoppen lässt. Nein, Carmen fordert ihren Platz in der ersten Reihe, auch im Torero-Kostüm. In schimmerndes Weiß gekleidet tritt sie im nicht so schmucken Salon der letzten Konsequenz ihres Handels entgegen: den Tod durch Liebe. Ein Tod, der für Carmen die lang ersehnte Freiheit bedeutet. Und für José eine lebenslange Erinnerung.

Kommende Vorstellungen: am 31. März um 19.30 Uhr, am 3. April um 18 Uhr sowie am 12. April um 15.30 Uhr am Theater Bremen.

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