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300. Jubliäum Opéra Comique in Paris
Die Wiederentdeckung von Ferdinand Hérold "Le Pré aux Clercs

Der französische Komponist Ferdinand Hérold war Anfang des 19. Jahrhunderts in ganz Europa erfolgreich. Allein bis 1871 gab es 1.000 Aufführungen des Stücks, das danach bis 1949 auf dem Spielplan blieb, dann aber verschwand. Jetzt hatte die Neuproduktion Premiere.

Von Regine Müller | 24.03.2015
    Während der Ouvertüre bleibt der rote Samtvorhang geschlossen, kein szenischer Vorspann, wie er auf deutschen Opernbühnen fast die Regel ist, zieht uns hinein in ein prägendes und als Sujet überaus populäres Kapitel der französischen Nationalgeschichte - die Zeit der Hugenottenkriege. Giacomo Meyerbeer arbeitete sich zeitgleich mit Ferdinand Hérold daran ab. Doch während Meyerbeers "Les Huguenots" die blutigen Ereignisse der Bartholomäusnacht verhandelt, ist Hérolds Oper zehn Jahre später in einer bukolischen Szenerie angesiedelt.
    Eine Art multifunktionaler Treffpunkt
    "Le Pré aux Clercs" bezeichnet einen realen Ort im historischen Paris, eine Art multifunktionalen Treffpunkt für Gelage, Rendezvous und Duelle. Vor diesem Hintergrund läuft die Opernhandlung ab, in der als einzige historische Figur Marguerite von Valois, Gattin des Königs Heinrich von Navarra eine Rolle spielt. Das restliche Personal ist mehr oder weniger fiktiv und folgt den Gesetzen der heiteren Oper: Ein Buffo-Paar, Nicette und Girot, steht einem "hohen" Paar gegenüber, der Adeligen Isabelle de Montal, Patenkind der Königin Marguerite, und ihrem Geliebten, dem Hugenotten Baron de Mergy. Zur Staffage gehören außerdem ein Unterhaltungskünstler und der gewaltbereite Marquis de Comminge – ausgerechnet ihn soll Isabelle ehelichen; doch die schwärmt lieber von ihrem heimlichen Geliebten.
    Marie-Eve Munger in der Rolle der Isabelle meistert die Tücken von Hérolds Partitur in exemplarischer Weise. Denn Hérold verlangt sichere Höhen, geschmeidige Koloraturen und verträgt sich gar nicht mit vokaler Kraftmeierei. Alles muss leicht und mühelos klingen, denn Hérolds eingängige Melodien entfalten nur dann ihren schmeichelnden Reiz.
    Im Ensemble der Pariser Produktion gibt es diesbezüglich keine Abstriche zu verzeichnen, insbesondere das "hohe" Paar mit Marie-Eve Munger cremigem Sopran und Michael Spyres gelenkigem Tenor glänzt durch Stimmschönheit und Stilgefühl, auch Marie Lenormands Marguerite de Valois lässt mit glutvollem Mezzo aufhorchen. Erstaunlich ist, mit welcher Selbstverständlichkeit die Sänger vom artifiziellen Koloraturgesang in die gesprochenen Dialoge wechseln, ohne den gefürchteten Sänger-Ton zu bemühen.
    Orchestre Gulbenkian mit schlankem Klangideal
    Paul McCreesh hat das Orchestre Gulbenkian mit schlankem Klangideal im Griff und steuert sicher durch die Untiefen heikler Instrumentalsoli, die in der trockenen Akustik des Saals unbarmherzig präsent sind.
    Regisseur Éric Ruf, auch für die Ausstattung verantwortlich, geht die Sache vorhersehbar defensiv an. Die Bühne zeigt Bäume in herbstlichem Laub, später fahren ein paar Mauern herein. Das Personal trägt historische Kostüme und bewegt sich schnörkellos am Text entlang. Das ist nicht sonderlich aufregend, und schon gar nicht erhellend, aber in seiner eleganten Leichtigkeit auch nicht ärgerlich oder gar lächerlich. Denn bei Hérolds charmantem Dreiakter scheint es, als sei mit ironischer Distanz oder kritischer Brechung wenig zu erreichen. Wahrscheinlich trifft Hérolds wohltemperierte Heiterkeit ohne größere Gefühls- und Geistestiefen genau das Lebensgefühl jenes "Juste Milieu", das zur Zeit der Restauration im Frankreich der Julimonarchie vorherrschend war. Am Schluss kriegen sich die beiden Paare und der Nebenbuhler um die Gunst der schönen Isabelle wird im Duell geräuschlos und abseits der Szene beseitigt. Da den unangenehmen Herren aber niemand betrauert, kann eben doch nichts die Dur-gestimmte Leichtigkeit des Seins trüben.