Ein «Rosenkavalier» ohne Lebenstiefe

Zum Auftakt der Baden-Badener Osterfestspiele gab es den «Rosenkavalier» von Richard Strauss – in der Inszenierung von Brigitte Fassbaender und mit Simon Rattle am Pult der Berliner Philharmoniker.

Christian Wildhagen
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Recht viel Stehtheater auf der Festspielbühne in Baden-Baden. (Bild: Monika Rittershaus)

Recht viel Stehtheater auf der Festspielbühne in Baden-Baden. (Bild: Monika Rittershaus)

Der «Rosenkavalier» von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal gilt als meistgespielte Oper des 20. Jahrhunderts. So besagen es internationale Aufführungsstatistiken seit Jahrzehnten, und anlässlich des Strauss-Jubiläums 2014 dürfte die «Komödie für Musik» wieder einmal sämtliche Rekorde gebrochen haben. Dennoch haftet der Statistik etwas Fragwürdiges an. Denn sie verharmlost das Stück: Als sei diese hochartifizielle Oper so leichtgängig wie «Carmen» oder «La Traviata» — und als seien nicht eingehende Befragungen der Musik und des Stoffes geboten, um den «Rosenkavalier» überhaupt als ein Werk des 20. Jahrhunderts zu begreifen.

Dass die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Simon Rattle den «Rosenkavalier» nun für ihre dritten gemeinsamen Osterfestspiele in Baden-Baden ausgewählt haben, ist offenbar weniger dem Bedürfnis nach einer solchen ästhetischen Neubestimmung des Werkes entsprungen als dem Vertrauen auf dessen Popularität. Bei einem privat finanzierten Festival wie Baden-Baden ist die Wahl einer «sicheren Bank» verständlich. Überraschend ist eher, dass man sich sehenden Auges auf einen Wettstreit mit der Festspiel-Konkurrenz in Salzburg eingelassen hat, die seit der vergangenen Saison einen wahrhaft festivalwürdigen «Rosenkavalier» im Portefeuille hat. Die lebenskluge Produktion von Harry Kupfer wird in diesem Sommer wiederaufgenommen.

Die Baden-Badener Inszenierung von Brigitte Fassbaender kündet, keine Frage, von der innigen Vertrautheit der Sängerin mit dem Werk – war die Mezzosopranistin doch während ihrer aktiven Karriere eine Idealverkörperung der Titelrolle. Auch später, während ihrer Zeit als Intendantin am Tiroler Landestheater, hat sich Fassbaender intensiv weiter mit dem «Rosenkavalier» auseinandergesetzt. Diese intime Kenntnis des Stücks zeigt sich etwa an der Souveränität, mit der sie die gewollten dramaturgischen Umständlichkeiten der Komödie, das ganze Hofmannsthalsche «Qui pro quo», in den Griff bekommt. Die zahllosen Nebenfiguren sind mit Humor gezeichnet, etwa das Intrigantenpaar Annina und Valzacchi, die hier ironisierend als Crossdresser auftreten; oder die als Anstandswauwau für das Nesthäkchen Sophie köstlich-unausstehliche Marianne Leitmetzerin von Irmgard Vilsmaier. In den Ensembles gibt es dagegen zu viel Stehtheater. Die Beisl-Szene des dritten Akts, Hofmannsthals hölzerne Verneigung vor Nestroy, bleibt genau dies: hölzern und unlustig.

Schwerer wiegt, dass Fassbaender den Hauptfiguren, anders als Kupfer, so wenig Lebenstiefe zu geben vermag. Der Ochs ist ein von Peter Rose untadelig und mit erfreulicher dynamischer Zurückhaltung gesungener Vorstadt-Falstaff; wie man dieses konventionelle Rollenprofil aufbrechen kann, zeigte Günther Groissböck in Salzburg. Magdalena Kožená ist als Octavian stimmlich über ihren Zenit hinaus – keine Spur von dem Feuer, mit dem sie kürzlich am Theater Basel Charpentiers Medea durchglühte. Auch darstellerisch weiss sie der doppelten Travestie ihrer Rolle kaum erotischen Reiz abzugewinnen – vielleicht weil der achtsame Gatte im Graben wacht.

Merklich eingeschnürt fühlt sich aber auch Anna Prohaska als Sophie. Sie kann hier einmal nicht die Bühnenteufelin geben und klingt in der Rosenüberreichung angestrengt, kaum entrückt. Überhaupt fehlt diesem Schlüsselmoment die Zauberkraft, die alles weitere vorantreibt. So bleiben der ungewöhnlich präsente Faninal von Clemens Unterreiner — und die alles überstrahlende Marschallin von Anja Harteros. Sie zeigt, was der Produktion an Festspielniveau fehlt.

Dabei verbirgt Harteros zu keiner Zeit, dass sie die führende Verdi-Sopranistin unserer Tage ist. Ihre Sache sind nicht so sehr die grossen Strauss-Bögen, obwohl ihre leichte, noch immer jugendliche Spinto-Stimme keinerlei Mühen kennt. Ihr geht es vielmehr um eine jede Phrase durchgeistigende Wort-Ton-Gestaltung. Hier trifft sie sich mit Simon Rattle, den die grosse Strauss-Emphase, alles Rauschhaft-Spätbürgerliche, weit weniger interessiert als die aberwitzige Detailfülle der Partitur. Dies könnte, wie im hochvirtuos hingehuschten Vorspiel zum dritten Akt, ein Ansatz sein für eine radikal entschlackte Lesart des «Rosenkavaliers». Eine stimmige Gesamtinterpretation ist es noch nicht.