Hinter den Kulissen

Oper über Oper, das Aufbrechen der Gattungen als Ziel: Die neue Inszenierung von Holger Müller-Brandes verdeutlicht die Selbstreflexion, die in Richard Strauss' «Ariadne auf Naxos» enthalten ist.

Michelle Ziegler
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Rote, gelbe und schwarze Kabel, Scheinwerfer, in Reihen nebeneinander an Eisengestellen montiert, zu beiden Seiten hoch übereinander aufgetürmt: Die Bühne des Luzerner Theaters gibt den Blick frei auf ein Innenleben, das normalerweise bei Aufführungen nicht sichtbar ist. Zudem wird der Zuschauerraum über einen an der Hinterseite der Bühne montierten Spiegel reflektiert, wodurch sich das Publikum selbst hinter die Kulissen versetzt fühlt. Mit diesem Perspektivenwechsel führt die neue Luzerner Inszenierung vor Augen, dass Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in ihrer Zusammenarbeit für «Ariadne auf Naxos» über die Gattungen des Musiktheaters und über den Theaterbetrieb nachdachten. Darüber hinaus verwischt sie bewusst die Grenzen zwischen der Realität und der Scheinwelt der Oper.

Eine Oper über die Oper

Auf der Bühne ein hektisches Treiben: Die Aufführung einer Oper, die ein reicher Herr bestellt hat, steht bevor, als verkündet wird, dass direkt auf dieses glanzvolle Werk ein heiteres Intermezzo folgen soll. Doch damit nicht genug: Während sich die Protagonisten der beiden Darbietungen noch über diese erste verstiegene Idee empören, folgt die endgültige Anweisung, dass beide Stücke nicht nacheinander, sondern gleichzeitig aufgeführt werden sollen. Eine Instruktion, die nun alles aus den Fugen hebt. Dies zeigt der Blick hinter die Bühne im Vorspiel der meist gespielten zweiten Version, aber auch die folgende Oper «Ariadne auf Naxos», in der sich Hofmannsthal und Strauss gegenseitig in ihrem modernen Denken inspirierten.

Der deutsche Regisseur Holger Müller-Brandes entwickelt das Vorspiel in Luzern ganz aus dem im Werk angelegten Spannungsgefüge. Zwei Welten treffen hier aufeinander: Zur einen zählen der Komponist, der Musiklehrer, der Tenor und die Primadonna, welche über die letzten Änderungen an ihrem Trauerspiel diskutieren, zur anderen der Tanzmeister und Zerbinetta mit ihrer Entourage, die eine heitere Tanzmaskerade vorbereiten. Allein die Einführung eines weiblichen Haushofmeisters (Simone Stock) wirkt in Luzern wenig schlüssig. Im Zentrum des Geschehens steht indes der in seiner Welt absorbierte Komponist, dem Marie-Luise Dressen gekonnt ein starkes Profil verleiht. Stimmlich gelingen ihr Nuancen, die alle Aufmerksamkeit auf diese Figur mit ihren Marotten – dem narzisstischen Blick in den Spiegel und den gezierten Gesten etwa – lenken. Obschon sich in seiner Theaterwelt immer wieder die Realitäten des Ersten Weltkrieges, der während der Entstehung von Strauss' Oper wütete, bemerkbar machen, existiert für den Komponisten allein die Kunst. Nur über diese findet er schliesslich den Zugang zu Zerbinetta, die Carla Maffioletti bei der Premiere im Vorspiel etwas gar zurückhaltend gab.

Die Auflösung der Grenzen zwischen Komischem und Ernstem, zwischen hoher und niedriger Kunst erfolgt bei Strauss und Hofmannsthal auf mehreren Ebenen. Strauss greift in die Werkzeugkiste der Operngeschichte, seine Musik benutzt die Mittel des Zitats und der Verfremdung, um die Gattungsgrenzen aufzubrechen.

Wirkungsvoller Effekt

Howard Arman und das Luzerner Sinfonieorchester wussten dies bei der Premiere bereits im Vorspiel trotz heikler Akustik zu akzentuieren. In der eigentlichen Oper «Ariadne auf Naxos» stellen Hofmannsthal und Strauss der Protagonistin Ariadne eine komische Gegenspielerin zur Seite. In diesem Hauptteil des Werks ermattet die sonst überaus gelungene Inszenierung Müller-Brandes' etwas: Die Hinterbühnen-Realität des Vorspiels wird weitergezogen, die Bühne von Philipp Fürhofer verändert sich kaum. Wenig Fokus erhält so die Ankunft des Gottes Bacchus (Carlo Jung-Heyk Cho), mit dem Ariadne – grossartig interpretiert durch Gabriela Scherer – ihre Bindungsängste überwindet und über die Liebe zurück in die Realität findet. Diese dringt anhand eines simplen, aber wirkungsvollen Effekts in den Theaterraum ein – ein grandioser Einfall zum Abschluss eines anregenden Abends, der volle Ränge verdient hätte.