Neue Oper Wien: Schönberg und der Bewusstseinsstrom

Schönberg in Erwartung
Schönberg in Erwartung(c) Neue Oper Wien/ Armin Bardel
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„Schönberg in Erwartung“, ein Abend mit dem „Buch der hängenden Gärten“ und der „Erwartung“, verbunden durch Musik von Richard Dünser: musikalisch stärker als szenisch.

Eine überdimensionale Schlafstatt aus weißen Stufen und mit einigen Polstern am Fuß einer Treppe. Darüber Emporen und eine Bar. Ein androgyn gekleideter, unterschiedlich gehörnt auftretender Barkeeper serviert Getränke. Eine Partygesellschaft ergeht sich in einem Spiel der Paare: kühle, ihre Mähnen schwingende Blondinen und blasse Jünglinge, diese oft mit nackten Oberkörpern und Wolfsmasken. Von der Decke hängen weiße Tücher, suggerieren ein riesiges Himmelbett. Etliche fallen später wie Tränen herunter – der Barkeeper sammelt sie auf, um damit den Wolfsmann zu bedecken, der mittlerweile erstochen daliegt. Die „junge Frau“ hat ihn auf dem Gewissen – und wird als „ältere Frau“ den Leichnam entsetzt wiederfinden...

Die Absicht der Regie ist klar, allzu klar: Vorsicht, Traum! Vorsicht, Sexualität! Vorsicht, Schönberg!

Die Neue Oper Wien macht eine Tugend aus der Not ihres Nomadendaseins und hat sich nun eine weitere neue Spielstätte erschlossen: die EMS-Lounge in Wien Landstraße, laut Eigendefinition der „Geheimtipp unter den angesagtesten Event Locations der Stadt“. Wo vor Kurzem die Lego-Ausstellung „Welt der Steine“ zu sehen war, heißt es nun „Schönberg in Erwartung“. Aus drei größeren musikalischen Bauklötzen ist dieser mit weniger als eineinhalb Stunden schlagkräftig kompakte Musiktheaterabend zusammengesetzt. Den Anfang macht Schönbergs Liederzyklus „15 Gedichte aus ,Das Buch der hängenden Gärten‘ von Stefan George“ (1808/09), der aus kleinen, aphoristisch knappen Teilchen besteht; den dramatischen, ins Offene verwehenden Schluss bildet das große Monodram „Erwartung“ (1909) nach einem Libretto Marie von Pappenheims, in dem Schönberg seine Vision einer nicht nur atonalen, sondern auch athematischen Oper verwirklicht: Kein Motiv kehrt jemals gliedernd und Halt gebend wieder, die expressionistische Musik folgt unablässig dem (vielleicht psychotischen) Bewusstseinsstrom der Protagonistin.

Dazwischen hat Richard Dünser ein „Entreacte“ gestellt: Seine Kammeroper „Radek“ ist in einer Aufführung der Neuen Oper Wien (2007) in guter Erinnerung. Ähnlich assoziativ bilden nun seine beziehungsreich nachlauschenden und vorausahnenden, sich ganz an Schönbergs Idiom anschmiegenden Klänge das gut geölte Scharnier zwischen seiner Kammerorchesterfassung des Liederzyklus und der bereits vielfach erprobten, stark reduzierten Orchesterversion der Kurzoper von Faradsch Karaew. Walter Kobéra hält sein gutes Amadeus-Ensemble mit gewohnter Sorgfalt auf Linie – schade freilich, dass die seitliche Position des Grabens und die unbefriedigende Akustik in der Lounge Schönbergs Seelendurchleuchtungen zwischen Expressionismus und sogenannter Hysterie in die Ferne rücken.

Nach dem Willen der Regisseurin Elisabeth Gabriel erlebt die zweigeteilte, sich auch selbst gegenübertretende Protagonistin in Gestalt des allzu braven Mezzos Verena Gunz im „Buch der hängenden Gärten“ ihr sexuelles Erwachen und dessen (reale oder irreale) blutige Konsequenzen; in „Erwartung“ kehrt dann Magdalena Anna Hofmann gereift in diese ihre Vergangenheit zurück. Inmitten der freilich kaum je packenden Inszenierung entpuppt sich Hofmann dank ihrer Bühnenpräsenz und ihres glutvoll und differenziert eingesetzten, dabei stets wortdeutlichen dramatischen Soprans als das eigentliche Atout der Produktion: eine glaubwürdig Getriebene mit Heroinenaplomb.

EMS-Lounge, Wien 3, Dietrichgasse 25: am 23., 25. und 26.4., 19.30 Uhr (Einführungsgespräch 18.45 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2015)

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