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"Thebans" am Theater Bonn
Die alten Griechen im neuen Bonn

Der britische Komponist Julian Anderson und der Dramatiker Frank McGuinness haben die Familiengeschichte um Ödipus in der Oper "Thebans" konzentriert. Nun wird das Auftragswerk für die English National Opera in London am Bonner Theater gezeigt.

Von Frieder Reininghaus | 04.05.2015
    "Thebans" am Theater Bonn
    "Thebans" am Theater Bonn im Mai 2015. Ödipus (William Dazeley), Jocasta (Anjara I. Bartz), Messenger (Christian Georg), Polynices (Giorgos Kanaris) (Theater Bonn / Foto: Thilo Beu)
    Dass wir uns mit den Griechen beschäftigen, steht auf der Tageordnung. Die Aufmerksamkeit muss einigen offensichtlich immer noch in philosophischer Ruhe über Grundsätzliches nachdenkenden heutigen Hellenen gelten und ihren Ahnherren vor rund 2.500 Jahren. Ihr Einwirken auf das geschäftliche und kulturelle Leben nördlich der Alpen ist erheblich. Daher: Dank erst einmal Richtung Athen für die vielfältigen Beiträge zum Muntermachen!
    Drei Tragödien an einem Abend
    Das Londoner Autoren-Duo McGuiness/Anderson hat die von Sophokles in drei Tragödien ausgebreitete politische Familiengeschichte ("Oidípous Týrannos", "Antigonae" und "Oidípous epi Kolōnō") an einem Abend absolviert - in der Reader's Digest-Manier der 1960er-Jahre. Da wird bei den besserverdienenden Pensionisten im halb gefüllten Bonner Opernhaus humanistische Bildung reaktiviert.
    Viele Steine gibt's und wenig Glück rund um die Betonstufen, die zu Thebens Machtzentrale hinaufführen - Brot und Wein schon gar nicht. Denn groß ist die Not des Volkes, dessen Frauen "Eimer voll Blut gebären". Dass es so sei, wird gesungen - die Inszenierung von Pierre Audi vermeidet, dies zu zeigen. Die vielen Steine wurden in Drahtgitter gepresst, wie dies auch für Schutzwände gegen Lawinen und Erdrutsch gebräuchlich ist.
    Die ChoristInnen kauern zur Klage in nazarenisch-antikischen Umhängen auf dem Boden. Im Wechselgesang zwischen dem als Kind ausgesetzten, dann unwissentlich zum Schlächter des Vaters und zum Ehepartner der Mutter gewordenen König, seinem Schwager Kreon, der doppelfunktionalen Jokaste und dem prophetisch begabten Politikberater Teiresias wird die Anamnese der Patchwork-Familie entwickelt.
    Die Musik hangelt sich, ohne Befähigung zum Strukturieren, Formbilden, Schürzen und Kulminieren, am Text entlang - mit kompositorischen Mitteln, wie sie in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bei Komponisten des angelsächsischen Raums gang und gäbe waren. Als hätten Jack Beeson oder Thea Musgrave nicht genug Opern geschrieben.
    Auch für den Blick in die Zeit nach dem Ableben des Ödipus stehen die vielen Steine bereit. Lediglich die Gewandung des Chors wechselt: Ganz in Schwarz singen sie nun - eben so, wie die Zukunft einem wie dem über seine Selbsttäuschungen so entsetzten Selfmademan Ödipus erscheinen mag. William Dazeley beglaubigt den tragisch verstrickten König so überzeugend als noch recht jungen "Macher" wie als gebrochenen blinden Greis. Rolf Broman orakelt und intrigiert als Teiresias mit sonorem Bass. Anjara Bartz verkörpert die Frau in den besten Jahren, die so lange wie möglich am Ball bleiben möchte, nicht minder plausibel.
    Musiktheatralik auf dem Niveau der englischen Küche der 1960er-Jahre
    Von jener Raffinesse, mit der Antikenmythenbearbeiter im 20. Jahrhundert (wie Jean Cocteau oder Wolfgang Rihm) die Tragödie des Ödipus reaktivierten, sind Anderson und McGuiness weit entfernt. Sie präsentieren Musiktheatralik auf dem Niveau der englischen Küche der 1960er-Jahre. Dass in einem Milieu, in dem die musikalische Moderne Mitteleuropas seit der Zweiten Wiener Schule für einen irrigen "Sonderweg" gehalten wird, eine Oper wie "Thebans" gepusht werden kann, sollte hierzulande nicht ernsthaft irritieren.
    Bedenklich bleibt lediglich der Import des Machwerks in die Bundesstadt. Die hielt sich lange etwas auf ihre Aufgeschlossenheit gegenüber dem musikalisch Neuen zu gute - und in der Bundeskunsthalle eine Pflegestätte für das Avancierte. Angelangt ist die Oper Bonn an einem Punkt, an dem sich Häuser ihrer Couleur von Pierre Boulez schon 1967 die Frage gefallen lassen mussten: "Die teuerste Lösung wäre, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Aber glauben Sie nicht auch, dass dies die eleganteste wäre?" Da heute vermutlich schon diese Frage unter Terrorismusverdacht geriete und mobile Einsatzkommandos in Bewegung setzen würde, mag ja darüber nachgedacht werden, ob der Rhein nicht kurzfristig in Höhe der Kennedybrücke aufgestaut und die glücklos verwaltete Halle durchgespült werden sollte. Für Bildungsbeflissene: Methode Augiasstall.