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Mit der Uraufführung von „La bianca notte“ verabschiedet sich Simone Young von der Hamburgischen Staatsoper Aus dem Leben eines Taugenichts

Hamburg. Ihre letzte Premiere sollte eine Uraufführung sein und damit an große Zeiten unter Rolf Liebermann anknüpfen – so wollte es Simone Young, scheidende Intendantin und Generalmusikdirektorin der Hamburgischen Staatsoper, haben. Mit Beat Furrers Musiktheater „La bianca notte / Die helle Nacht“ erfüllte sie sich ihren Wunsch.
12.05.2015, 00:00 Uhr
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Von Gerhart Asche

Ihre letzte Premiere sollte eine Uraufführung sein und damit an große Zeiten unter Rolf Liebermann anknüpfen – so wollte es Simone Young, scheidende Intendantin und Generalmusikdirektorin der Hamburgischen Staatsoper, haben. Mit Beat Furrers Musiktheater „La bianca notte / Die helle Nacht“ erfüllte sie sich ihren Wunsch. Der Abend wurde vom Publikum mit einhelligem, wenn auch nicht unbedingt enthusiastischem Beifall aufgenommen. Der Kreis hat sich geschlossen: Vor zehn Jahren begann Simone Young ihr Hamburg-Engagement mit dem Künstlerdrama „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith. Jetzt geht es wieder um ein Künstlerlos auf der Bühne der Staatsoper: In Beat Furrers Musiktheater „la bianca notte / die helle nacht“ steht Dino Campana im Mittelpunkt, ein italienischer Lyriker, 1885 in Marradi in der Toskana geboren, gestorben 1932 nahe Florenz.

Er war eine besonders unglückliche Gestalt in der jüngeren italienischen Literaturgeschichte. Ein Vagabund und ein Weltenbummler, mental sehr gefährdet (die letzten 14 Jahre seines Lebens verbrachte er in einer Heilanstalt). Nur ein einziges Werk schrieb er, „Orphische Gesänge“, eine Sammlung lyrischer Texte von düster-halluzinatorischem Charakter. Das Buch erschien 1914 im Selbstverlag, nachdem das einzige Manuskript bei einem Verleger, der es ohnehin nicht drucken wollte, verloren gegangen war und Campana sich entschlossen hatte, das Werk aus der Erinnerung neu zu schreiben. Übrigens: 1971 tauchte die handschriftliche Erstfassung tatsächlich wieder auf.

Für seine 90minütige Oper hat der Schweizer Komponist Beat Furrer (geboren 1954) aus Texten von Campana und anderen Persönlichkeiten der Literatur- und Kunstgeschichte – unter anderem Leonardo da Vinci – ein Libretto montiert, das keine fortlaufende Geschichte erzählt, sondern Assoziationen wecken will, Stimmungen und Reflexionen schildert, die um das Künstlerschicksal und um den Verlust von Kreativität und Identität kreisen: Tiefsinnige, visionäre Gedanken, in Worte voller Farbigkeit und Musikalität gefasst.

Sie dienen als Basis für Furrers farbige, sensitive, filigrane Komposition, die sich aus komplexen Klängen und Rhythmen und sehr ästhetischen gesanglichen Passagen zusammensetzt. Eine Musik, die sich entfaltet zwischen Flüstern und Schrei, geheimnisvoll flirrend, suggestiv und träumerisch und voller Emotionalität. Eine Musik, die sich mit sanfter Gewalt in Hirn, Herz und Nerven bohrt.

Simone Young führt das Orchester, mit dem sie nun zehn Jahre zusammengearbeitet hat, noch einmal zu einer Höchstleistung, bei der vor allem die instrumentale Transparenz bestach. Auch in den dramatischen Stellen blieb der Klang stets durchsichtig und die Balance zwischen Stimmen und Orchester ausgewogen. Ob die Partitur dagegen über den glatten ästhetischen Schönklang hinaus mit einem Mehr an Persönlichkeit aufzuladen gewesen wäre, muss der Vergleich mit späteren Interpretationen entscheiden. Der Komponist, der zugegen war, schien jedenfalls zufrieden.

Auf der visuellen Ebene entschieden sich Regie (Ramin Gray), Bühnenbildner (Jeremy Herbert) und Kostümdesignerin (Janina Brinkmann) für technisch-surrealistische Aperçus: Metallische Gestänge, geometrische Figuren, auf- und abfahrende Scheinwerferbatterien und – während des Liebesduetts – die an René Magritte erinnernden streng gekleideten Herren mit ihren uniformen Hüten bildeten Grundelemente des ständig sich verwandelnden Bühnenraumes. Wobei die Regieführung eher wenig einfallsreich war; da musste die persönliche Ausstrahlung der Sänger den Hauptteil besorgen.

Herausragend war Tanja Ariane Baumgartner als Seherin Indovina mit ihrem tiefen, satten, orgelnden Alt. Ihr abschließendes „Lied von der Chimäre“, ohnehin wohl der kantable Höhepunkt der Partitur, sang sie in wunderbar ausgeglichener Linienführung wie ein Schubertlied. Daneben punktete Golda Schultz als Campana-Geliebte Sibilla mit ihrer leuchtenden Sopranhöhe. Bei den drei tiefen männlichen Stimmen (ein Tenor ist in dieser Oper ausgespart) beeindruckte vor allem der Isländer Tómas Tómasson als Dino (Campana) mit seinem edlen heldenbaritonalen Timbre.

Nicht zuletzt sorgte der sich momentan unter seinem Leiter Eberhard Friedrich in Höchstform befindliche Hamburger Staatsopernchor für den Erfolg des Werkes. Eines Werkes, das in seiner Komplexität vor allem dem fortgeschrittenen Opernbesucher empfohlen werden kann.

Nächste Aufführungen an der Hamburgischen Staatsoper: 13., 16., 19., 24., 27. und 31. Mai,

jeweils um 19.30 Uhr.

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