Hampelmanns Leidenschaft

(c) Wiener Festwochen
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Achim Freyer macht aus Salvatore Sciarrinos experimentellem Klangstück "Luci mie traditrici" vieldimensional-ahnungsvolles, surrealistisches Marionettentheater.

Eine Oper für Belcanto-Fans, sozusagen – allerdings gebrochen durch die Erfahrungen, die das vergangene Jahrhundert mit den Experimenten der musikalischen Avantgarde gemacht hat; und mit der Desavouierung des klassischen Musiktheaters durch Regietheater-Frechheiten. Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici“ ist eine Art Oper post festum. Die alten Strukturen sind dahin, die Neue Musik hat ihre Klangexperimente auf die Spitze getrieben – nun versucht einer, raffiniert, aus den Trümmern, die die Revolution hinterlassen hat, neue tönende Gebäude zu errichten, die für eine Renaissance des Musiktheaters tauglich sein könnten.

Sciarrino arbeitet mit Erinnerungen an Vergangenes, Echos jener Madrigalkunst, aus der einst die Oper erblühen konnte. Bühnenzauberer Achim Freyer wiederum nutzt die Versatzstücke seiner Bilderwelt, Clowneskes, Papiertheater-Reflexionen, in allen Grundfarben kräftig ausgemalt, die anarchische Ästhetik ungelenker Kinderzeichnungen, Kasperliaden: Das schafft Distanz. Der Zuschauer betrachtet statt Regie- ein hoch artifizielles Marionettentheater, in dem die Gesten, radikal reduziert, den Blick aufs Wesentliche stärken können.

Anarchisches Ton- und Bildertheater

Wer sich auf das Spiel einlässt, gewinnt wie einst Heinrich von Kleist den Eindruck, „daß in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmuth enthalten sein könne, als in dem Bau des menschlichen Körpers ...“

Freyer nimmt damit Sciarrino beim Wort; oder besser bei Wort und Ton. Die Textbausteine des Librettos, das – entsprechend skelettiert – die Geschichte des adeligen Komponisten Carlo Gesualdo da Venosa erzählt, der Frau und Nebenbuhler im Schlafgemach ermordet, werden von der Vertonung geschreddert, verwandelt in Einzelsilben-Staccati oder kunstvoll koloraturüberwucherte, akustisch kostümierte Vokabelskulpturen. Der optischen Jongleurskunst im wundersam verspiegelten Irrgartenraum entspricht die musikalische Schichtungs- und Spaltungstechnik.

Freyer stellt, weil das Stück zu kurz für einen Abend ist, ein Wechselbilderspiel „Tag aus Nacht ein“ voran, je nach Wach- oder Schlafenszeit von murmelnden Menschenstimmen untermalt oder vom Zirpen der Grillen, aus dem die Geräuschkulisse hervorwächst, mit der das unglaublich disziplinierte Klangforum Wien die Handlung trägt.

Ein Kontinuum aus zwitschernden, surrenden, raunenden Flageolett-Tönen, Atem- und Keuchgeräuschen – darüber schweben die Sänger wie Gliederpuppen. Weit voneinander entfernt, suggerieren sie Nähe mit vokalen Mitteln: Ein virtuoses Duettieren, ein Mit- und Gegeneinander der Erinnerungen an Arien- und Cabaletten-Herrlichkeit, fragmentiert, eingedampft auf Miniaturkantilenen, die nur nach Sekunden zählen.

Erinnerungen an eine einsame Melodie

Anfangs vernimmt man, von Esther Lee gesungen, eine Melodie aus einem Madrigal der Gesualdo-Zeit, das dann noch einmal zitiert wird, im Übrigen aber wie eine Ahnung über allem schwebt. Wie ein längst verwehter Gedanke, den es gilt, dem Vergessen zu entreißen. Im kleinsten Vokalfragment dieser Komposition scheint die Sehnsucht zu stecken, sich zur großen Melodie aufzuschwingen. Das verschafft der Musik ihren Sog, der in Freyers szenischer Umsetzung beinah bis zum letzten, ein wenig zu lang geratenen Zwischenspiel erhalten bleibt.

Die Sänger leisten Außerordentliches, verstehen sich darauf, kurze und kürzeste Tonkonglomerate ausdrucksvoll aufzuladen: Anna Radziejewska als Malaspina und Kai Wessel als Ospite lassen in katzenartigen Glissandi hören, dass sich zwischen der Herzogin und dem Fremden ein leidenschaftliches erotisches Abenteuer anbahnt, Otto Katzameier wiederum klagt als betrogener Ehemann in hoch expressiven Ausbrüchen.

Simon Jaunin gibt den Unglücksboten – und immer wieder scheint es, als stürze die eine oder andere Gesangsphrase in den orchestralen Orkus, nicht ohne dort ein subtiles Echo zu finden, eine Träne im Ozean der Töne und Geräusche.

Marionettenmeister am Dirigentenpult

Phänomenal, wie Dirigent Emilio Pomàrico als souveräner Spielmacher das Marionettenspiel akustisch fortführt: Ihm ist es zu danken, dass Sciarrinos Klangkontinuum feinsinnig rhythmisiert abläuft, von einem kraftvollen inneren Puls vorangetrieben.

Belcanto, alles in allem, avantgardistisch. Aufführungen am 18. und 19. Mai, Halle E

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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