Psychodrama versus Comic?

Der Dirigent Kevin John Edusei hat einen prächtigen Einstand als künftiger Musikchef von "Konzert Theater Bern". Doch die Inszenierung von Joachim Schlömer tut "Herzog Blaubarts Burg" keinen Gefallen.

Thomas Schacher
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Weil das klassizistische Stadttheater beim Kornhaus renoviert wird, muss «Konzert Theater Bern» in dieser Saison auf andere Spielstätten ausweichen. Für die Produktion von Béla Bartóks Operneinakter «Herzog Blaubarts Burg» ist man in die Reitschule ausgewichen. Statt bürgerlicher Musentempel also ein Ort, der während der Unruhen der 1980er Jahre als «autonomes Jugendzentrum» besetzt worden war. Der Ort hätte Anlass für eine revolutionäre oder doch mindestens normbrechende Inszenierung sein können. Doch der Regisseur Joachim Schlömer hatte nichts Derartiges im Sinn. Im Gegenteil: Es ist ihm ausgesprochen wenig eingefallen.

Umso erfreulicher die Bilanz auf der musikalischen Seite. Statt sich mit der Platznot im Orchestergraben herumzuschlagen, kann sich das Berner Symphonieorchester in der grossen Halle der Reitschule nach Herzenslust breitmachen und in einer geradezu luxuriösen Streicherbesetzung auftreten. Die Befürchtung, dass die Akustik der Halle den Erfordernissen einer Opernaufführung nicht genügen könnte, erweist sich als hinfällig. Auch auf der interpretatorischen Ebene hinterlässt die Premiere hervorragende Eindrücke. Das Seelendrama um den Psychopathen Blaubart und Judith, die ihn durch Liebe aus seiner Isolation erlösen will, entfaltet sich ja vorwiegend im Musikalischen. Bartók, dessen Musiksprache 1911 stark von Debussy und der ungarischen Volksmusik beeinflusst war, hat in «Blaubart» eine klanglich raffinierte und melodisch einprägsame Partitur geschaffen. Kevin John Edusei, seit letzter Saison erster Gastdirigent und künftiger Musikchef des Hauses, behält stets die Übersicht über das Klanggeschehen und breitet den illustrativen Charakter der Musik in sinnlich erfassbarer Weise aus.

Bei den Protagonisten findet das musikalische Psychodrama keine Entsprechung. Pavel Shmulevich gibt den Blaubart mit einem kräftigen, virilen Timbre. Stimmlich würde man sich aber mehr Differenzierung wünschen, auch die Mimik lässt kaum in sein Inneres blicken. Von Heide Kastler in rote Hose, roten Gehrock und roten Zylinder gesteckt, wirkt er wie eine Mischung aus Mephisto, Zauberer und Zirkusdirektor. Die Judith von Claude Eichenberger verfügt über einen ausdrucksstarken Sopran, der gegen Ende aber immer monochromer wird. In ihrem kurzen schwarzen Reifrock sieht sie zudem aus wie eine Puppe – dass sie abwechselnd von Angst, Neugier und Liebessehnsucht ergriffen wird, ist ihr nicht anzumerken.

Natürlich könnten die beiden auch anders. Es ist der Regisseur, der auch für die Bühne verantwortlich zeichnet, der es so haben will. Schlömer folgt in seiner Inszenierung einer Comic-Ästhetik, die von der Stilisierung der Gebärden und Kostüme geprägt ist. Die zunehmende Erstarrung der Figuren ist gewollt und mündet am Schluss in ein Standbild, das Blaubart und Judith als quasi eingefrorenes Paar zeigt. Diese Sicht beweist zwar Konsequenz, weicht aber einer psychologischen Deutung dieses explosiven Mann-Frau-Beziehungsdramas aus.

Stilisierung und Comic-Reduktion sind auch dafür verantwortlich, dass auf der Bühne fast nichts geschieht. Man blickt in einen Raum aus Holz, der an den Seiten, aber auch oben und unten mit geschlossenen Türen verbarrikadiert ist. Wenn Judith die sieben Türen öffnet, hinter denen sich die Beweisstücke von Blaubarts unbewältigter Vergangenheit verbergen, sieht das Publikum nichts, und auch Judith starrt, als wäre sie blind, meist in die falsche Richtung. Geradezu mutwillig verdorben wird die Schlusspointe: Wenn Judith die siebte Tür öffnet, erscheinen dahinter nicht die drei getöteten Ex-Geliebten Blaubarts, sondern ein Scheinwerfer, der die Zuschauer mit grellem Licht blendet. Und Blaubart, der Judith das Schicksal seiner Verflossenen schildert, scheint sich in dem Moment mehr für die Inspizientin (Kornelia Lüdorff) zu interessieren, die zu Beginn den Prolog gesprochen hatte. Die Deutung der Szene bleibt der Musik überlassen: Nach Blaubarts Satz «Du warst meiner Frauen Schönste», bricht das Orchester in eine herzzerreissende Klage aus.