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Salzburger Pfingstfestspiele
Leiser und Caurier deuten Glucks "Iphigénie en Tauride"

Mittlerweile ist man ja wirklich enttäuscht, wenn Cecilia Bartoli beim pfingstlichen Klassikfest an der Salzach nicht irgendetwas völlig Neues und Schräges wagt. Diesmal Glucks "Iphigénie en Tauride". Dabei zieht sie ihre singuläre Koloraturen-Show ab, ob es nun zur Rolle passt oder nicht. Trotzdem toll – ebenso wie die Inszenierung. Der fehlt es allerdings an Mythos.

Von Jörn Florian Fuchs | 23.05.2015
    Die italienische Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli
    Die italienische Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli (AFP / Dieter Nagl)
    Ihr Debüt als "Norma" (Salzburg 2013) etwa beeindruckte durch wirklich stupende vokale Effekte, Puristen allerdings kamen nicht so sehr auf ihre Kosten. Jetzt stand mit Christoph Willibald Glucks "Iphigénie en Tauride" schon wieder ein Rollenerstling für La Bartoli auf dem Programm. Und wieder muss man von einem wirklich brillanten Spektakel sprechen. Wie Cecilia Bartoli hier tiefste Emotionen scheinbar mühelos über die Rampe bringt, ist toll, fantastisch, einmalig. Es gab zwar ein paar winzige technische Ungenauigkeiten, aber die fallen angesichts der Gesamtleistung nicht ins Gewicht.
    Gewichtiger ist jedoch erneut das Thema historisch-interpretatorische Präzision. Denn mit der von Gluck intendierten, spezifischen Mischung aus Emphase und 'zurückhaltenden' Effekten unter einer übergreifenden musikdramaturgischen Klammer hat Bartolis Herangehensweise wenig zu tun. Auch die Hauptherren der Handlung, Christopher Maltmans Oreste und Topi Lehtipuus Pylade kümmern sich kaum um den typischen Gluck-Duktus. Oreste klingt ausnehmend laut und kraftvoll, Pylade dagegen extrem innig und zurückgenommen. Die beiden sind potentielle Opfer für Iphigénie, die ja einem seltsamen Kult frönen muss. Oreste stirbt tatsächlich beinahe. Zum Glück erkennt Iphigénie rechtzeitig ihren Bruder, zudem schwebt Göttin Diana herab und sorgt für umfassenden Frieden und Freude.
    Ja, der Mythos, er kommt in Moshe Leiser und Patrice Cauriers Inszenierung etwas hemdsärmelig daher. Diana liebt glitzerndes Gold, doch der Rest trägt lumpige Kleidung. Offenbar befinden wir uns in einem Auffanglager für Flüchtlinge, grau sind die Wände des spärlich möblierten Raums, hinten versperrt eine rostige Stahlwand die Sicht nach draußen. Als sie am Ende eingerissen wird, erscheinen muntere Videowellen, doch die Figuren schauen weiterhin gequält aus der Wäsche. La Bartoli trägt einen Jogginganzug, Oreste darf vor seinem Fast-Tod ausführlich den nackten, gestählten Körper zeigen, Pylade taumelt als ziemliches Weichei herum. Der recht unheilvolle König oder Aufseher oder Clanchef Thoas rumpelt mit umgeschnalltem Fettbauch über die Bühne und wird zuletzt erschlagen. Oreste erlebt seine böse Tat - er hat seine Mutter ermordet - nochmals in Form einer sehr lächerlichen Alptraumvision, mit drohenden Choristen und zuckenden Händen aus dem Souffleurkasten.
    Den Chor übrigens muss man in aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit loben, er nennt sich Coro della Radiotelevisione Svizzera, wurde von Gianluca Capuano einstudiert und macht seine Sache hinreißend gut. Diego Fasolis am Pult des Ensembles I Barocchisti holt viel aus dem Stück heraus, was gar nicht drin ist. Nach einem zarten orchestralen Beginn wird es rasch rau und hart, oft hört man ein Dauer-Espressivo mit Hang zum Brutalen. Durch rasche Tempiwechsel und kernige Phrasierungen rücken Fasolis und seine Musiker Ritter Glucks formschöne Klanglichkeit in die Moderne. Dies wirkt wiederum irgendwie ziemlich falsch, macht aber großen Spaß. Und durch die ordentliche Personenführung und vor allem Bartolis körperbezogenes Spiel schaut man sich diese wohl nicht recht durchdachte, vom Publikum ziemlich umbuhte Sache auch sehr gerne an. Wenn der Lappen im Salzburger Haus für Mozart an diesem Premierenabend fällt, bleiben viele Fragen offen, doch wir strecken vor Bartolis Können wieder mal sämtliche Waffen. Und freuen uns auf 2016, wenn Santa Cecilia - kein Witz - als Maria in der "West Side Story" auf der Bühne stehen wird.