Jephtha - zerrissen zwischen Zuneigung und Opferpolitik.

Foto: Stefan Gloede

Wien - Trockeneisnebel überall. Dann der lange Tisch mit Büchern und anatomischen Schaustücken: Da ein Herz, dort eine abgetrennte Hand. Es ist eine Art Lese- und Lehrraum, in dem die Schüler wirken, als wären sie aus einem Harry-Potter-Film herübergebeamt worden - in die Halle E des Museumsquartiers. Das Festwochenpublikum kann sich ein klares Bild von der Inszenierung machen: Es sitzt in der Nähe des endlosen Tischs, nahe an den Eleven, während das Orchester am Raumrand dem Barock huldigt; man gibt Händels Jephtha:

Regisseurin Lydia Steier erzählt nicht einfach die Geschichte der biblischen Figur des Jephtha (intensiv, klangschön, in Koloraturen nicht immer elegant Lothar Odinius), der in den Krieg gegen die Ammoniter zieht und nach dem Sieg seine Tochter Iphis (delikat Katja Stuber) zu opfern hat. Schließlich versprach er Gott jenen zu opfern, der ihm als Erster begegnet.

Steier erzählt also nicht nur, sie wechselt Ebenen, teilt den Figuren Doppelrollen zu. Sie sind Schüler oder Lehrer, die sich zu Gestalten des Oratoriums wandeln, also zu begeistertem Volk oder zu in Deckung gehenden Angstfiguren werden (profund Maria Streijffert als Storge). Effektvoll wechseln einander Realitätsebenen ab, präzise hat Steier die Charaktere modelliert und jedem Chorsänger prägnantes Profil verliehen. Eine genaue Arbeit, die schon in Potsdam in der Evangelischen Friedenskirche reüssierte.

Am packendsten die posttraumatische Zerrissenheit, die Jephtha heimsucht: Nachdem er seine Tochter doch nicht opfern muss (Maria Skiba verkündet es als barocker Theaterengel), bleibt er traumatisch gefangen im Wiederholungszwang, will das Opferritual nun ganz vollziehen und dabei auch sich selbst mitbeseitigen.

Alles sehr intensiv. Durch die Raumgestaltung ergibt sich musikalisch indes eine heikle Situation. Der Chor der Potsdamer Winteroper wirkt nicht immer sauber und koordiniert. Am Rande der Halle allerdings berückt die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Konrad Junghänel mit akzentuierter, delikater und historisch informierter Gestaltungskraft. Markant auch Christian Ballhaus als Sprecher, der als professoraler Gott eingreift. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 26.5.2015)