«Ich habe Durst»

In seiner Oper «Wilde» hat der Komponist Hèctor Parra einen Text des Dramatikers Händl Klaus vertont. Dessen Protagonist leidet unter ständigem Durst – was selbstverständlich metaphorisch gemeint ist.

Peter Hagmann
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Traumatisiert: Ekkehard Abele als Gunter aus Bleibach in Hèctor Parras neuer Oper «Wilde». (Bild: H. J. Michel / SWR)

Traumatisiert: Ekkehard Abele als Gunter aus Bleibach in Hèctor Parras neuer Oper «Wilde». (Bild: H. J. Michel / SWR)

Dass die Oper von gestern sei, dass es in der Gattung an Innovation fehle, gehört zu den gern wiederholten Klischees. Wer einen durchschnittlichen Spielplan durchgeht, kann zwar den Eindruck bekommen, dass es damit seine Richtigkeit habe. Zugleich ist aber nicht zu übersehen, dass laufend neue Opern komponiert werden – dass es also nicht an Bemühungen fehlt, die Gattung weiterzuentwickeln. Als ein Ort, an dem dies in besonders intensiver Weise geschieht, dürfen die Schwetzinger Festspiele gelten, bei denen der scheidende Basler Theaterdirektor Georges Delnon seit 2009 bis zu diesem Jahr das Musiktheater geleitet hat und eine stolze Reihe fruchtbarer, natürlich nicht immer gleichermassen überzeugender Uraufführungen hinterlässt.

Krankheit als Metapher

Die Prämissen der Gattung blieben dabei allerdings unangetastet: Oper war hier immer Oper, auch wenn es die Einkleidungen bisweilen nicht so direkt spüren liessen. Das gilt auch für «Wilde», die neue Oper des Katalanen Hèctor Parra, die dieses Jahr, wiederum als Auftrag der Schwetzinger Festspiele, im Barocktheater der grosszügigen Schlossanlage zur Uraufführung gebracht wurde.

Bemerkenswert daran war, dass auch bei diesem Werk – wie schon bei «Bluthaus» und «Thomas», den beiden Opern des Österreichers Georg Friedrich Haas – der Schriftsteller Händl Klaus als Librettist beteiligt war. Wie in den beiden Opern von Haas geht es in den «Wilden» um ein etwas seltsames Elternhaus als Ort unverarbeiteter Vergangenheit wie unheilbarer Krankheit. Die Krankheit des Protagonisten, er nennt sich Gunter aus Bleibach, heisst Durst – was selbstverständlich metaphorisch gemeint ist.

Immer wieder ruft der Mediziner, der traumatisiert von einem Einsatz bei den «Ärzten ohne Grenzen» zurückkehrt, nach Wasser. Doch weder am Bahnhof von Neumünster an der Au, an dem er strandet, noch in dem Haus der fünf Geschwister Flick, die sich in beklemmender Penetranz an ihn heranmachen, ist dieser Schluck zu haben. Geschildert wird das Geschehen, das eigentlich kein Geschehen, vielmehr eine vielfach ausgeleuchtete Situation ist, in der fragmentierten, atemlosen, mit enormer Spannung aufgeladenen Sprache von Händl Klaus, dessen Libretto auf den Theatertext «(Wilde) Mann mit traurigen Augen» zurückgeht.

Mit der feingliedrigen, mikrotonalen Musik von Georg Friedrich Haas hatte dieser sprachliche Ausdruck optimal zusammengefunden, besonders in «Bluthaus». Weniger gut kommt die Sprache von Händl Klaus mit der Musik von Hèctor Parra zur Geltung. Das Fragmentierte geht auf in einem kontinuierlichen, gewiss farbenreichen, aber doch ebenmässigen Strom, der Ausgleich und Nivellierung erzeugt.

Drastische Ikonografie

Und dann eben: Oper. Im dritten Teil des Werks geht Händl Klaus von seinen sprachlichen Prinzipien ab, und so bekommen der Arzt Gunter wie die drei Schwestern Flick allesamt richtiggehende Arien, die dann auch mit gehöriger Lautstärke in den kleinen Raum des Schwetzinger Schlosstheaters hineingesungen werden – was vollends altmodisch wirkt.

Doch schon in früheren Phasen des Stücks stellte sich musikalisch der Eindruck unpersönlicher Konventionalität ein. Das von Peter Rundel geleitete Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR bildete eine Grundierung, die im Ganzen des Bühnengeschehens nur wenig Präsenz erreichte. Und die Anklänge an die vom Komponisten so geliebte Barockmusik wie das Aufscheinen eines berühmten Lieds von Robert Schumann hinterliessen eher den Anschein des Atmosphärischen und des Peripheren, als dass sie strukturell wirksam geworden wären. Dazu kamen markante Ungleichgewichte zwischen den Parametern eines musikalisch-szenischen Werks. Während das Orchester seitlich auf der Bühne positioniert war und dort zu leise klang, zog, von Susanne Gschwender erdacht, ein massives Holzgestell, das aus der Bühne in den Raum ragte, viel Aufmerksamkeit auf sich. In diesem Verschlag kletterte das trotz Umbesetzungen imposant sichere Ensemble – besonders eindrücklich Ekkehard Abele als Gunter – Leiter auf und Leiter ab. Ein Kreuzweg sollte es sein, so hat es sich der Regisseur Calixto Bieito zurechtgelegt – nicht ohne Grund, wenn man an den Ausruf Jesu am Kreuz denkt, auf den hin ein Schwamm mit Essig vorbereitet wird. Es fehlte denn auch nicht an Anklängen an das ikonografische Erbe.

Ebenso wenig fehlte es an Blut und drastischer Körpersprache – was in diesem Fall besonders von Nachteil war. Denn nicht nur stülpte sich die Szene mit ihrer brutalistischen Haltung über das Werk, sie konkretisierte auch eine Spannung, die in der Vorlage eher latent ausgedrückt ist. Auch dadurch ist dieses Stück neuen Musiktheaters zu einer altvertrauten Oper geworden.