Uhrmachergattin auf Abwegen. Natalia Kawalek zieht als Conception in Maurice Ravels "L‘heure espagnole" in der Kammreoper alle Register ihres Könnens.

Foto: Andreas J. Hirsch

Wien – Selbstbestimmte Frauen überall. In Maurice Ravels L’heure espagnole ist es die vor Verlangen glühende Uhrmachergattin Conception, die erst mit einem Dichter und einem Bankier turtelt, dann aber mit einem gebauten Maultiertreiber zur Sache kommt.

In Francis Poulencs Les mamelles de Tésiras ist es die junge Thérèse, die sich emanzipiert – und wie: Sie entledigt sich ihrer Brüste und lässt sich einen Bart stehen. Conchita, andersrum. Zur Revanche verwandelt sich ihr Mann in eine Frau und bekommt über Nacht 40.000 Kinder. Die Moral der surrealistischen Geschichte: "Il faut s’aimer/ Man sollte sich lieben." Wie auch immer.

Lieben sollte man auch die Wiener Kammeroper, auch die letzte Produktion des kleinen Hauses ist ein großes Vergnügen. Denn auch musikalisch passen die beiden Werke gut zusammen: Die 1947 uraufgeführte Opéra-bouffe von Poulenc wirkt in ihrer tänzerischen Beschwingtheit fast wie eine musicalnahe Fortschreibung von Ravels Einakter aus 1911.

Gelsomino Rocco hat farbige Kammerfassungen von beiden Werken erstellt, der Italiener leitet sanft das Wiener Kammer Orchester. Regisseur Philipp M. Krenn siedelt die Handlung von Les mamelles de Tirésias auf der Hinterbühne eines Musiktheaters an, an dem gerade L’heure espagnole geprobt wird. Dies verleiht den Stücken eine inszenatorische Klammer, die Unterbrechungen stören aber beim Ravel die zauberhafte Atmosphäre (Ausstattung: Uta Gesina Gruber-Ballehr).

Und die Sänger? Toll. Natalia Kawalek zieht als Carmen-hafte Conception alle Register ihres Könnens, Tobias Greenhalgh ist ein kraftvoller Ramiro. Vladimir Dmitruk schmachtet als Dichter Gonzalve, Christoph Seidl albert als fetter Bankier.

Ben Connor kehrt als Ehemann im Poulenc souverän an seine alte Wirkungsstätte zurück, Gan-ya Ben-gur Akselrod emanzipiert sich auf vokal verführerische Weise. Und Julian Henao Gonzalez lässt gegen Ende eine Tenorstimme hören, so geschmeidig-glänzend wie flüssiges Gold. Begeisterung. (Stefan Ender, 29.5.2015)