Kampf gegen das Wasser

Die zehnten St. Galler Festspiele warten mit Verdis selten gespielter Oper «I due Foscari» auf. Die Rehabilitation des dramaturgisch schwachen Stücks ist nicht gänzlich gelungen, die Musik aber lohnt.

Thomas Schacher
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Die Hauptprobe I von Verdis Oper «I due Foscari» an den 10. St. Galler Festspielen auf dem Klosterhof in St. Gallen. Das Stück feierte am Freitag Premiere. (Bild: Gian Ehrenzeller / Keystone)

Die Hauptprobe I von Verdis Oper «I due Foscari» an den 10. St. Galler Festspielen auf dem Klosterhof in St. Gallen. Das Stück feierte am Freitag Premiere. (Bild: Gian Ehrenzeller / Keystone)

Der Komponist hat die Schwächen des Librettos durchaus erkannt. «Ich stelle fest», schrieb Giuseppe Verdi an den Librettisten Francesco Maria Piave, «dass das Stück nicht die bühnenmässigen Qualitäten besitzt, die nun einmal für eine Oper erforderlich sind.» Heutzutage fristet Verdis Frühwerk «I due Foscari» – im Unterschied zum zwei Jahre früher komponierten «Nabucco» – auf den Opernbühnen ein Randdasein. Hauptgrund dafür sind die dramaturgischen Schwächen von Piaves Vorlage. Handlung im Sinne eines diskursiv verlaufenden Geschehens findet kaum statt.

Drei Hauptfiguren hadern mit ihrem Schicksal, können aber nichts dagegen unternehmen. Da ist Francesco Foscari, der Doge von Venedig, der seinen eigenen Sohn in die Verbannung nach Kreta schicken soll, weil dieser angeblich einen Umsturz geplant hat. Der Sohn seinerseits, Jacopo, beteuert zwei Stunden lang seine Unschuld, was ihm letztlich aber doch nichts nützt. Lucrezia, Jacopos Gattin, wird nicht müde, für ihren Mann beim Schwiegervater um Gnade zu bitten. Loredano schliesslich, der Anführer des Geheimrates der Zehn und Gegenspieler des Dogen, tritt erst in der Mitte des Stückes auf und bleibt ein Bösewicht, dessen Handeln kaum motiviert ist.

Spektakuläre Freilichtbühne

Keine leichte Aufgabe also für einen Regisseur. Carlos Wagner, dem an den St. Galler Festspielen vor drei Jahren eine schlüssige Deutung von Berlioz' Dramatischer Legende «La Damnation de Faust» gelungen war, scheitert diesmal. Wagner rückt nicht den Konflikt zwischen dem Dogen und dem machtgierigen Loredano ins Zentrum, sondern baut die Handlung auf dem Gegensatz auf zwischen der machtbesessenen Oberschicht insgesamt und dem unterdrückten Volk. Dazu passen die von Ariane Isabell Unfried entworfenen Kostüme, die diesen Kontrast akzentuieren. So muss der Rat der Zehn in einer stummen Pantomimenrolle agieren, und die von Verdi vorgesehenen Senatoren kommen gar nicht vor. Der Gesangspart dieser Honoratioren wird von den Fischern und Gondolieri des Chors des Theaters St. Gallen und dreier weiterer Chöre übernommen. Dies geht schon rein textlich nicht auf, überdies kann sich das Volk nicht entscheiden, ob es sich nun gegen den verbannten Dogensohn auflehnen oder ob es Mitleid mit ihm empfinden soll.

Spektakulär ist hingegen die von Rifail Ajdarpasic konzipierte und von Guido Petzold in raffiniertes Licht getauchte Freilichtbühne auf dem Klosterhof. Hauptattraktion ist ein riesiges Wasserbecken, auf dem sich die Gondel mit dem gefangenen Jacopo bewegt und in dem die Fischer in ihren hohen Stiefeln waten. An das morbide Venedig erinnert auch die Architektur der dunkelgrau und schimmelgrün bemalten Treppen und Brücken. Nicht realistisch als Dogenpalast, sondern symbolisch als «Black Box» gestaltet ist das Machtzentrum, wo sich der alte Foscari und sein Rat oft hinter verschlossenen Türen versammeln. Am Schluss wird dann auch die Kathedrale effektvoll ins Geschehen einbezogen, wenn die Turmuhr schlägt und dem Dogen das Ende seiner Herrschaft ankündigt. Ohnmächtig bricht er im knietiefen Wasser zusammen.

Ein musikalischer Gewinn

Musikalisch lohnt sich die Begegnung mit «I due Foscari» durchaus. Die Hauptfiguren sind treffend charakterisiert, und die Finali verweisen in ihrer Mehrschichtigkeit bereits auf den späteren Verdi. Attilio Tomasello animiert das hinter der Bühne versteckte Sinfonieorchester St. Gallen zu einer professionellen Leistung. Die elektronische Klangverstärkung stört hier weniger als bei den Solisten, bei denen die räumliche Verortung nivelliert wird. An der Premiere überzeugt ausgerechnet der Francesco Foscari von Paolo Gavanelli am wenigsten, dessen Bariton im Leisen oft undeutlich, im Lauten gepresst erscheint. Der Jacopo Foscari des Amerikaners Leonardo Capalbo gefällt mit makelloser Aussprache und einem jugendlichen Heldenbariton. Die überragendste Leistung zeigt die Lucrezia von Yolanda Auyanet mit ihrem ausdrucksstarken Sopran und ihrem bewegenden Rollenspiel. Die einzige profilierte Frau in dem Stück kann aber in dieser Männerwelt nichts erreichen.