„Prometeo“ in Darmstadt : Eine Tragödie des Hörens
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Klang im Raum: Dirigent Johannes Harneit bei den Proben in der Sporthalle am Darmstädter Böllenfalltor. Bild: Michael Hudler, Staatstheater Darmstadt
In Darmstadt hat an diesem Freitag Luigi Nonos „Prometeo“ Premiere. Nicht im Staatstheater, sondern in der Sporthalle am Böllenfalltor.
Wer hier eintritt, soll ganz Ohr sein. Deswegen werden die Zuschauer von Luigi Nonos „Prometeo“ konsequent zu Zuhörern gemacht. Am Eingang bekommen sie schwarze Augenmasken. Feuerrot ist darauf „Prometeo“ zu lesen, eine Flamme züngelt daneben. Darum geht es ja schließlich, um den Helden, der den Menschen das Feuer, auch das Feuer des Wissens gebracht hat. Und bitter dafür bezahlen musste. Mit „Prometeo“, dem gut zweistündigen Klangerlebnis, das heute Premiere hat, schuf Nono 1984/85 einen Meilenstein der modernen Musik. Es war sein letztes großes Werk, 1990 ist der 1924 geborene Venezianer gestorben, der viele Jahre Teilnehmer der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik gewesen ist.
Für „Prometeo“ zieht das Staatstheater in die Sporthalle am Böllenfalltor: Nicht gerade die Chiesa di San Lorenzo in Venedig, wie einst bei der Uraufführung, aber doch, mit ihrer Holzkonstruktion, eine Art Arche, in der sich die Klangkörper des Chors, der Solisten und, an fünf Spielorten, der Instrumente verteilen können. Dirigiert von Johannes Harneit und zwei weiteren Dirigenten, die dessen Einsätze aufnehmen, vom extremen Pianissimo, das nur noch ein leises Sirren ist, bis hin zu gewaltigen Klanghaufen, die auf den Gesichtern ein überwältigtes Lächeln hervorrufen - ungefähr so, als hätte man in eine wohltuend aromatische Zitrone gebissen.
Stück war bisher ein großer Erfolg
Intendant Karsten Wiegand hat „Prometeo“ eingerichtet, offenbar ein Herzensanliegen. „Prometeo“, so Wiegand, habe „Ereignischarakter. Keine CD oder DVD kann das wiedergeben. Es ist ein Kunstwerk, das man nicht reproduzieren kann.“ 1993, als Student, hat er es bei den Salzburger Festspielen zum ersten Mal gehört und danach immer wieder
„Das Stück ist eine Einladung zum Hören und Reisen. Überall, wo es bislang gespielt wurde, war es ein sagenhafter Erfolg“, sagt Wiegand. An Repertoiretheatern allerdings habe es noch nicht stattgefunden. Und an den meisten Festspielorten wie Salzburg, Zürich oder Amsterdam wurde „Prometeo“ höchstens zweimal aufgeführt, „viermal, das ist schon Luxus“. Den ermöglicht der Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main.
In Musik übersetzte Handlung
Als „Tragedia dell’ascolto“ hat Luigi Nono seinen „Prometeo“ untertitelt. Keine „Hörtragödie“ also, sondern eine „Tragödie des Hörens“. Eine Fähigkeit, von der Nono schon vor 30 Jahren annehmen musste, dass sie verkümmert. „Die Handlung liegt in der Musik“, erklärt Wiegand, „das ist das Visionäre und Radikale daran.“ Doch die in Musik übersetzte Handlung ist durchaus nachvollziehbar, es gibt Texte, etwa von Aischylos, Rilke oder Benjamin. Neben einigen Gästen, dazu gehören auch die drei Live-Elektroniker vom Experimentalstudio des SWR, stemmt das Theater die Produktion aus eigener Kraft.
„Ich habe in Weimar eine gute Erfahrung damit gemacht, sehr moderne Werke in ein Repertoiretheater zu holen und sie nicht nur mit Spezialisten zu besetzen. Die Musiker, die in einer Spielzeit Werke verschiedener Epochen aufführen, lassen uns hören, wie stark diese Musik aus der Tradition kommt. Man kann darin Jahrhunderte Musikgeschichte wie in einer Landschaft begehen“, so Wiegand.
Dazu passt, dass das Theater nun auch seine Eröffnungsinszenierung, Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ mit Nonos Prolog „No hay caminos, hay que caminar“ (1987) noch einmal aufführt: Der Weg führt gewissermaßen von Monteverdi über Verdi zu Nono. „Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken“ ist für Wiegand ein „wunderbarer Satz“ Nonos, den er seiner ersten Spielzeit vorangestellt hatte. „Mit Prometheus fängt es an, dass die Menschen Götter spielen, da stellt sich die Frage nach der Freiheit, der Erkenntnis und nach der Moral, nach den Abgründen.“ Deshalb wird es ein Begleitprogramm zu „Prometeo“ geben, unter anderem mit Vorträgen von Philosophen, Physikern, Medizinern über die Ziele und Grenzen des Wissens.
Weitere Aufführungen
Am 17. und 19. Juli um jeweils 20 Uhr in der Sporthalle am Böllenfalltor, Darmstadt. Infos und Tickets finden Sie hier.