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Musiktheater
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Jenůfa

Oper in drei Akten
Brünner Fassung (1908)
nach dem Drama »Její pastorkyňa« (Ihre Stieftochter) von Gabriela Preissová (1890)
Musik und Libretto von Leos Janá
ček

In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h  (zwei Pausen)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 11. Juli  2015

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Stilisiert und realistisch


Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Was braucht man mehr als einen Stapel Mehlsäcke, um als Ort der Handlung eine Mühle anzudeuten? Was mehr als die Farben Goldgelb, Schwarzgrau und frisches Grün, um Sommer, Winter und Frühling zu markieren? Derart stilisierte Bühnenbilder sind besser als jeder überladene Naturalismus und jede überzogene Aktualisierung geeignet, den Blick auf das Wesentliche zu fokussieren: Auf die Personen, auf das was mit und zwischen ihnen geschieht. Mit der Neuproduktion von Leos Janáčeks Jenufa ist dies im Opernhaus Hannover geradezu mustergültig gelungen.

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Robert Künzli (Laca, links oben), Ivan Turšić (Števa, 2. links oben), Kelly God (Jenůfa, Mitte r.), Chor, Statisterie

Ausstatterin Dieuweke van Reij stellt die Szene in den Rahmen eines ungleichmäßigen Fünfecks, dass auf seiner längsten Seite steht und dessen Öffnung nach hinten die Umrisse eines leicht schrägen Hauses ahnen lässt. Die jahreszeitlich farbig marmorierten Wände dieses Gebildes schaffen trotz gleicher Form unterschiedlich wirkende Stimmungen und Räume,  unterstützt durch das – farblich den Jahreszeiten der drei Akte entsprechend unterschiedliche – Blau des Himmels. Im ersten Akt steht im Hintergrund ein einzelnes kleines stilisiertes Haus, im zweiten und dritten Akt sind es mehrere. Der erste Akt spielt im Dorf und im Hintergrund sieht man das Haus der Küsterin, die beiden folgenden Akte spielen in ihrem Haus und im Hintergrund steht das Dorf. Eine dezente, unaufdringliche Andeutung, von denen es in dieser Inszenierung einige gibt.

In diesen stilisierten, fast schon abstrakten, aber höchst ästhetischen Bildern gelingt es dem Regisseur Floris Visser mit einer sehr realistischen, natürlich wirkenden Personenregie, die Figuren lebendig werden zu lassen. Aus jeder Person macht er eine Charakterstudie. Besonders spannend gelingt ihm das bei der Küsterin, die zwischen Haltung, Ordnungssinn und Verzweiflung die falsche Entscheidung trifft, sich in angedeuteter, nicht überzogener Weise dafür mit Krankheit gestraft sieht und ihrer tatsächlichen Strafe für den Kindsmord nach einem geradezu heroischen Bekenntnis ganz selbständig, ohne abgeführt werden zu müssen, entgegengeht. Eine Figur, die in ihrer Verkörperung der Religion etwas Dämonisches hat und schon bei ihrem ersten Auftritt im warmen Sonnenlicht wie ein Galgenvogel wirkt. Während sie im ersten Akt die Familiengeschichte erzählt, erstarrt die Szene zu einem lebenden Bild und im Hintergrund erscheinen die Figuren wie in einer Rückblende und bebildern die Schicksalsgeschichte dieser hart gewordenen Frau – die sich und ihr Schicksal auch nicht selbst gemacht hat. Eine ähnliche Vision zeigt sich im zweiten Akt, wenn sich die Küsterin in ihre Angst vor der Wut der Dorfgemeinschaft steigert: Vor einem riesigen Kreuz sammeln sie sich mit Steinen bewaffnet. Die tatsächlich gesungene Forderung „Steinigt sie!“ im dritten Akt wird dann zu einer wahr gewordenen Befürchtung.

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Hedwig Fassbender (Küsterin, l.), Robert Künzli (Laca), Kelly God (Jenůfa)

Beeindruckend gelingt es auch, die unterschiedlichen Charaktere der rivalisierenden Halbbrüder herauszuarbeiten – und dabei bedient er sich auch der unterschiedlichen Stimmcharaktere beider Tenöre. Laca, als der vom Schicksal benachteiligte, der sich (zuweilen auch rohe) Kraft und Stärke erkämpft hat und sich mit ihr verteidigt und Števa, dem als eitler Schönling alles zugeflogen ist, der aber hinter der Fassade nicht viel zu bieten hat. Ein Feigling sondergleichen, was in seiner selbstmitleidigen Jammerei im zweiten Akt fast schon wie in einer Karikatur deutlich wird. Ihre unterschiedlichen Kindheitserfahrungen leben noch einmal auf, wenn die alte Buryja Števa immer noch wie einen kleinen Jungen an den Schoß drückt und Laca als erwachsener Mann von der Küsterin die Streicheleinheit bekommt, die die Großmutter ihm nie gegeben hat. Auch beim Segen hält die alte Buryja ihre Hände nur über die Köpfe Jenůfas und Lacas, während die Küsterin sich nicht scheut sie tatsächlich zu berühren.

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Robert Künzli (Laca), Kelly God (Jenůfa), Ivan Turšić (Števa), Carmen Fuggiss (Karolka)

Jenůfas Hoffnung, Verzweiflung, ihre zunächst nur gewollte, dann doch tatsächlich eingetretene Liebe zu Laca, ihre unbedingte Liebe zu ihrem von der Stiefmutter aus  gesellschaftlichen Gründen gehassten Kind und ihre Hoffnung, dass „alles gut“ wird, zeigt sich auch in dem von ihr gepflegten, als szenisches Leitmotiv den Abend begleitenden Rosmarientopf, der Unglück bringt, wenn er verdorrt und den sie wie die Myrte, die sie einmal als Braut tragen soll, pflegt. Und es zeigt sich auch im zweiten Akt, denn spätestens wenn die Küsterin die Hochzeitsgäste im dritten Akt auffordert, die reiche Aussteuer zu besichtigen, wird klar, dass Jenůfa im zweiten Akt – im weißen (Büßer-) Nachthemd – an ihrer Aussteuer gearbeitet hat (z. B. Laken, die die Küsterin zu den prägnanten Schlägen der Musik rhythmisch zusammenlegt).  Es sind solche Details, die den Abend besonders spannend machen. Sie sind verständlich und nachvollziehbar und auch, wenn ein uneheliches Kind in unserer Zeit nicht mehr das gesellschaftliche Drama ist, das es zur Zeit dieser Geschichte war (in der wir uns dank der entsprechenden Kostüme auch tatsächlich wiederfinden), so sind die Herausforderungen und Ängste einer ledigen Mutter, die Eifersucht und ihre brutalen Auswirkungen, Konkurrenzen zwischen Geschwistern, die Aufarbeitung einer schweren Kindheit usw. durchaus Themen, die auch heute aktuell sind. Doch diese geistige Transferleistung bleibt den Zuschauern überlassen. Und sie sind durchaus in der Lage sie zu leisten.

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Hedwig Fassbender (Küsterin), Kelly God (Jenůfa), Daniel Eggert (Dorfrichter), Eunhye Choi (Jano,3.v.r.)

Gute, intensive Personenregie fordert auch gute und intensive Sängerdarsteller. Und mit denen ist diese Produktion reichlich gesegnet. Kelly God gestaltet die Jenůfa mit seelenvollem, substanzreichem, warmen und in vielen Farben leuchtendem Sopran und scheut dabei auch keine harten Töne, wenn es der Ausdruckskraft dient. Hedwig Fassbender gelingt es höchst überzeugend, die Küsterin zwischen Ordnungs- und Regelbewusstsein und Momenten der Verzweiflung darzustellen, aber partieadäquat immer mit hoher Stimmkultur und –kontrolle. Die kurzen emotionalen Ausbrüche wirken dann umso intensiver.  Robert Künzli ist ein stimmprächtiger Laca mit kraftvollem Tenor, der heldischen Glanz und emotionalen Ausdruck mit sicheren, strahlenden Höhen und sanften Zwischentönen vereint. Ivan Turšić verleiht dem Števa auch stimmlich die oben näher beschriebenen Eigenschaften, stimmschön, aber nicht unbedingt stimmstark und gerade in der Höhe fordert die Partie doch etwas mehr Volumen. Diane Pilcher überzeugt als alte Buryja und lässt, neben  charaktervollen, auch immer wieder einfach schöne Töne hören, was dem zwiespältigen Charakter der ungerechten Großmutter die freundlichen Züge verleiht, die diese Figur eben auch hat. Auch die kleineren Partien sind ansprechend besetzt: Daniel Eggert als vollstimmiger Dorfrichter, Julie-Marie Sundal als herrlich zickige Gattin des Dorfrichters und Carmen Fuggiss als quicklebendige Karolka seien stellvertretend genannt.

Hannovers GMD Karen Kamensek bringt die Partitur zum Blühen und Leuchten, arbeitet die kantigen Seiten der Komposition ebenso klangvoll heraus wie die Bögen und die Steigerungen und es gelingt ihr ganz besonders im zweiten Akt, das Publikum in einen musikalischen Bann zu ziehen, der sogar dem hartgesottensten Bonbonpapierraschler die Finger erstarren lassen konnte.  Das Staatsorchester folgt ihr hochkonzentriert. Wohl einstudiert und ausgewogen im Klang leistet der Chor, zum Teil auch tanzend, seinen Beitrag.

FAZIT

Stilisierte, stimmungsvolle Bühnenbilder, eine natürlich-realistische, intensive Personenregie:  Musiktheater vom Feinsten. Ein Abend der lange und intensiv nachwirkt und nachklingt


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Karen Kamensek

Inszenierung
Floris Visser

Bühne, Kostüme
Dieuweke van Reij

Choreographie
Loris Zambon

Lichtdesign
Alex Brok

Licht
Elana Siberski

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Swantje Köhnecke

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover


Solisten

Die alte Buryja
Diane Pilcher

Laca Klemen
Robert Künzli

Števa Buryja
Ivan Turṥić

Die Küsterin Buryjovka
Hedwig Fassbender

Jenůfa
Kelly God

Altgesell
Michael Dries

Dorfrichter
Daniel Eggert

Seine Frau 
Julie-Marie Sundal

Karolka, ihre Tochter
Carmen Fuggiss

Barena
Athanasia Zöhrer

Schäferin
Marie-Sande Papenmeyer

Jano
Eunhye Choi

Tante
Danuta Volpe




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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