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So geht eine Festspielaufführung

FESTSPIELE / NORMA

01/08/15 Casta Diva. Den Opern-Schlager hat jeder im Ohr. Aber was macht Cecilia Bartoli daraus! Da wird unmittelbar greifbar, wie die Priesterin mit ihrer „keuschen Göttin“ hadert – denn eben die Keuschheit hat sie selbst ja eingebüßt, indem sie sich ausgerechnet mit dem Statthalter des Feindes, mit Pollione, eingelassen, ihm sogar sogar zwei Kinder geboren hat.

Von Reinhard Kriechbaum

„Fraternisierung“ hat man so etwas genannt. Im Frankreich zur Zeit der Résistance, wohin die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier die Opernhandlung verlegt haben, sind solchen jungen Damen die Haare abgeschnitten worden um sie zu brandmarken. Auch Norma wird auf diese Weise gedemütigt werden, bevor man sie sie und Pollione abfackelt. Nicht, wie im Libretto vorgesehen auf dem Scheiterhaufen, sondern mitsamt dem Schulgebäude.

Zur Erinnerung: Norma ist nicht Priesterin und Wahrsagerin, sondern Schuldirektorin, Adalgisa nicht Novizin, sondern Junglehrerin. Kein heiliger Hain, sondern ein Schulgebäude, das Freischärlern als konspirativer Treffpunkt und als Waffenlager dient. Nichts da also von Kelten und Römern in der Inszenierung von den Pfingstfestspielen 2013, sondern eine Geschichte, die sich so in Frankreich, im Franco-Spanien zutragen hätte können und genau so gut in einer heutigen Militärdiktatur auf dieser Welt denkbar wäre. Moshe Leiser und Patrice Caurier erzählen uns damit eine anschauliche, emotional so glaubhafte wie bedrohlich wirkende Story. Gerne nimmt man dafür die kleineren und größeren Ungereimtheiten zum Libretto in Kauf.

Aber wir wollen uns jetzt, nach der Wiederaufnahme von Bellinis Oper in diesem Festspielsommer, gar nicht mit den Details der Inszenierung aufhalten. Vor allem zu berichten ist nämlich von einem Musik-Wunder. Da ist also über drei Jahre eine Besetzung bis in die Nebenrollen hinein beibehalten worden. War schon die Wiederaufnahme im Festspielsommer 2013 musikalisch merklich gereift, so wurde nun nochmal, quasi aus innerer Vertrautheit aller Beteiligten heraus, nochmal aufs Feinste nachjustiert.

Es ist ja viel Gewöhnungsbedürftiges in dieser von Musikologen nicht unwesentlich umgekrempelten „Norma“. Neue Gewichtungen entstehen vor allem durch die exzessive Tessitura der Titelrolle, Koloraturen sind nach Originalquellen „bereinigt“: Eine Fundgrube also für den Originalklang-Apostel Giovanni Antonini, der als „Norma“-Dirigent allen Furor aus „Il giardino armonico“-Zeiten abgelegt und zu einer geradezu Harnoncourt'schen Langsamkeit gefunden hat.

Wie viele Verzierungen haben da pro Takt Platz, wie sehr helfen diese unendlich zahlreichen und vor allem unendlich genau gesetzten Fiorituren der Singstimmen, Inhalte zu transportieren, Emotion quasi hinaus zu schleudern. Auch kleinere Bühnendialoge beginnen zu knistern vor Energie – und das hat nicht mit Lautstärke und eben schon gar nicht mit Tempo zu tun: Ganz wenige Geiger sitzen im Orchestergraben, das Orchester „La Scintilla“ (die Originalklang-Crew der Zürcher Oper) wirkt irgendwie unterschwellig eingesetzt: unverzichtbare Basis, aber nicht einmal vorlaut, im Sänger-Atem geführt. Da also ranken sich die einzelnen instrumentalen Beiträge heraus, die Soloklarinette insbesondere, auch Flöte und Fagott.

An den feinsten Schrauben wurde gedreht, um die Synchronisation zwischen den Protagonisten und zwischen Bühne und Graben so hin zu kriegen. Das Ergebnis ist eine Ausdrucksintensität, die einem schier den Atem nimmt. Was spielt sich da ab zwischen den beiden Nebenbuhlerinnen um die Gunst Polliones, dieses amourösen Erzschurken? Wie da Cecilia Bartoli als Norma eingeht auf die stimmlich leichtgewichtigere Rebeca Olvera (Adalgisa), die wiederum am Widerpart Bartoli wächst und wächst! Leidenschaft, Einsicht, Resignation in allen verborgenen und jäh aufbrechenden Schattierungen. Da wird in den Duetten nicht Timbre vereinheitlicht, sondern auf spannendste Weise mit dem Chroma und dem Ausdruck der jeweiligen Stimmen gearbeitet.

John Osborn (Pollione): Dieser sagenhafte Tenor-Lyriker mit geradezu spielerisch ansprechenden Höhen wird im Wortsinn hin- und hergerissen zwischen den beiden Frauen, einfach zermalmt zwischen den Emotionen, die er selbst entfacht hat. Solche Gegenspielerinnen sind ein Glücksfall für einen Sänger, der sich nicht mutwillig mit seinen Hochtönen vordrängt, sondern genau so akkurat wie die beiden Damen aus den Koloraturenketten heraus die Affekte ableitet.

Bleiben zu nennen der melancholisch wirkende Michele Pertusi (Oroveso), ein elegant phrasierender Bass ganz ohne Gewalt: ein Humanist fast unter den Freischärlern. Präsent in den Nebenrollen sind Liliana Nikiteanu (Clotilde) und Reinaldo Macis (Flavio).

Der Coro della Radiotelevisione Svizzera besticht mit feinen Piano-Werten. Das sind Leute, die um die Gefahr wissen, in die sie jedes laute Wort bringen würde. Aber wenn sie sich dann mit dem Ruf „Guerra! Guerra!“ mit der Bartoli unmittelbar an der Rampe aufpflanzen, dann könnte man es schon mit der Angst zu tun kriegen.

Die Bartoli: Natürlich ist sie das Zentrum der Aufführung, indem sie das umsetzt, was der Komponist in einem Brief als „enzyklopädischen Charakter“ dieser Figur bezeichnet hat. Es ist einfach jede Seelenlage drin, und Belcanto-Skalen auf und ab kehrt Cecilia Bartoli das heraus, ohne je oberflächlichem Spiel mit der vokalen Virtuosität zu erliegen. Wie sie da sitzt, bereit und doch nicht fähig zum Mord an den eigenen Kindern, das Messer in der einen, die Schnapsflasche in der anderen Hand. Wie sie gleich drauf Adalgisa das Baby zärtlich in den Arm legen und sie zugleich bedrängen wird. Sie spielt und singt nicht, sie ist Norma.

Und gerade damit macht sie sie es den anderen Sängerinnen und Sängern so leicht, ihre je eigenen Charaktere mit nicht geringerer Wahrhaftigkeit zu entwickeln. So geht eine Festspielaufführung.

Weitere Aufführungen am 3., 6. und 8. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Hans Jörg Michel

 

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