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Im Museum, dort, wo der Schöngesang der alten Dame Oper in Wahrheit sein Zuhause hat: Anna Netrebko (als Leonora) und Francesco Meli (als Manrico).

Foto: APA/NEUMAYR/MMV

Salzburg – Neuinszenierungen dienen der musealen Musiktheaterbranche als Schutzmittel gegen den Vorwurf der Gestrigkeit und der gesellschaftlichen Irrelevanz. Nachdem Blüte- und Hochzeit der alten Dame Oper schon Jahrhunderte zurückliegen, adjustiert sie sich mit wechselnden Inszenierungskleidern immer wieder anders. Die Kundschaft soll nur bitte nicht das Interesse verlieren und sie als altmodisch ansehen!

Bei den Salzburger Festspielen hat der große Zampano Alexander Pereira im Opernbereich einst ausschließlich Neuinszenierungen präsentiert, nach seinem Abflug in Richtung Mailand wird nun wieder auf bereits Bewährtes zurückgegriffen: Von den sieben gezeigten Opern sind 2015 nur drei neu inszeniert. Ausverkauft war aber, dank der Gesangsstars, zuerst das Altbekannte: Norma mit Cecilia Bartoli und Il trovatore mit Anna Netrebko.

Mutation zur Museumsaufpasserin

Regisseur und Bühnenbildner Alvis Hermanis ist in seiner Inszenierung der beliebten Verdi-Oper ein genialer Coup gelungen: Er transportiert das wüste Schauerdrama vom fernen 15. Jahrhundert in die Gegenwart, steckt es aber gleichzeitig ins Museum. Leonora, Hofdame der Prinzessin von Aragón, mutiert zur Aufpasserin in einer Bildergalerie, die sich zusammen mit anderen Angestellten des Hauses die grausamen Vorgänge um Kindsmord, Hexenverbrennungen und eine erzwungene Verheiratung herbeifantasiert.

Wie im vergangenen Sommer macht Anna Netrebko ihre Sache ganz fantastisch. Alle warten auf ihre Auftritte, die Herren halten den Atem an, und die Damen lassen ihre Fächer ruhen, wenn ihr weich-glänzender Sopran erklingt, der im unteren Register fülliger und dunkler geworden ist. In ihren ruhigen Arien zelebriert die 43-Jährige ebenmäßigen Schönstgesang so vollendet und entspannt, wie es sonst keine kann.

Anflug von Reserviertheit

Werden die musikalischen Strömungen quicker und agiler, schwimmt Netrebko gern mit einem Anflug von Reserviertheit mit. Eine Dramatikerin, die einem in gesanglicher Selbstentäußerung die Seele aufrisse, ist die Russin nicht. In den nächsten Jahren wird Netrebko ihr Repertoire übrigens um die Norma und die Aida erweitern, Tosca und Turandot sollen folgen. Spannend wird auch ihr Ausflug ins deutsche Repertoire 2016, als Elsa in Dresden mit Christian Thielemann.

Eine noch rundere, intensivere Leistung als Netrebko gelingt Francesco Meli als Manrico. Der Italiener singt kraftvoll, doch nie kraftmeierisch, und versteht es auch, mit Zartheit zu berühren: wunderschön, traumhaft, ideal. Man beginnt wieder an Helden und an Tenöre zu glauben. Melis Gegenspieler, den Conte di Luna, gibt Artur Rucinski (als Nachfolger von Plácido Domingo) mit beamtenhafter Blässe und überschaubar dimensioniertem Bariton. Ekaterina Semenchuk ist als Azucena eine virtuose Extremistin in emotionalen und gesanglichen Dingen. Solide Diana Haller als Ines und Adrian Sâmpetrean als Ferrando.

Kollision von Kunst und Wirklichkeit

Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Leitung: Ernst Raffelsberger) singt und agiert ein wenig lasch, ganz im Gegensatz zu Gianandrea Noseda im Orchestergraben: Der Italiener lässt die Wiener Philharmoniker frisch sowie mit sängerdienlicher Delikatesse und Leichtfüßigkeit musizieren. Nur bei den durchgepeitschten Strette wird's manchmal platt.

Das Publikum reagiert auf die musikalischen Höchstleitungen so frenetisch wie kurz, nach zwei Vorhängen ist Schluss mit begeistert. Danach kollidieren Gestern und Heute, Kunst und Wirklichkeit: Beklatschte man in Verdis Oper noch lautstark die Zigeuner, die fröhlich die Freuden der Arbeit und des Alkohols besingen, so werden die an den Ausgängen knienden Almosensammler aus Osteuropa reaktionslos passiert. Das Abendessen wartet. (Stefan Ender, 10.8.2015)