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Bühne und Konzert Salzburg-Festspiele

„Fidelio“ als Konzept, „Figaro“ als Klamotte

Er reißt diese konzeptlastig-aseptische „Fidelio“-Deutung heraus: Jonas Kaufmann Er reißt diese konzeptlastig-aseptische „Fidelio“-Deutung heraus: Jonas Kaufmann
Er reißt diese konzeptlastig-aseptische „Fidelio“-Deutung heraus: Jonas Kaufmann
Quelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Mit „Opern von Beethoven und Mozart haben die Salzburger Festspiele ihr knappes Premierenpensum erledigt. Zwei völlig differente Produktionen, von denen jedoch keine richtig glücklich macht.

Die Gattenliebe. Bei „Fidelio“ wird sie am Ende besungen, bei Mozarts „Figaro“ mit List von den Frauen eingefordert. Bei Beethoven ist sie hehr, bei Mozart fragil und wird wohl flüchtig bleiben. Genauso wie vermutlich auch die beiden Neuproduktionen, die man bei den Salzburger Festspielen nun vorgestellt bekam.

Claus Guth wagte dabei die Regieherausforderung mit Beethoven, um die er nach eigenem Bekunden lange einen Bogen gemacht hat. So federt man wohl ab, wenn man nicht restlos von der eigenen Arbeit überzeugt ist. Dabei hat Guths Wagen an die Freiheits- und Humanismusutopie zumindest interessante Ansätze, ist ein genau gedachter Versuch, sich dem sperrigen Opernwerk aus heutigen Sicht anzunähern. Guth, der Grübler und Zweifler, glaubt bei Fidelio nicht an eine Oper – und schon gar nicht an ein glückliches Jubelfinale. Die Dialoge sind gestrichen. Nummer reiht sich an Nummer. Dazwischen gibt es drohend dräuende Geräuscheinlagen: Brummen, Dröhnen, Stimmengewirr, Atmen und Stöhnen.

Ausstatter Christian Schmidt hat wieder einmal die weißen Kassettenwände ausgepackt, diesmal überdimensional große. Aus denen hat er einen Raum auf Eck gestellt, in dem die Personen beziehungslos herumgeistern. Ein schwarzer, geheimnisvoller Kubus fährt dann aus dem Bühnenhimmel herab. Gleichsam ein Störelement, das freilich benötigt wird, um die Auf- und Abtritte im türlosen Riesenzimmer zu ermöglichen. Später fährt er auch hoch, um den Kerker und das Grab von Florestan als Öffnung im Bühnenboden freizugeben.

Vor allem statische Arrangements

Es sind vor allem statische Arrangements, assoziative szenische Sequenzen, die diesen „Fidelio“ fast oratorienhaft vorsetzen. Jeder in diesem freudschen „Salon des Unterbewussten“ (so Guth) ist ein große Schatten werfender Gefangener seiner selbst. Egal ob die am Ende ihrer Illusion ans Eheglück beraubte Marzelline oder der vergebens um sie freiende Jaquino, die von Olga Bezsmertna und Norbert Ernst ganz spießerbrav gesungen werden. Auch Rocco, dem Hans-Peter König gepflegte Basstiefe verleiht, steht am Ende einsam auf seinen Stock gestützt, der ihm zuvor durch die Nichthandlung geholfen hat.

Nur der Bösewicht Don Pizarro, dem Tomasz Konieczny mit schneidend dunklem Bassbariton einige Gefährlichkeit eingehaucht hat, knöpft sich befreit die Hemdknöpfe auf, nachdem der Minister Don Fernando, bei Sebastian Holecek tatsächlich durch und durch ein Beamter, die Sache geordnet hat. Und Leonore und Florestan? Ihnen bleibt das glückliche Ende ebenso versagt. Denn Florestan ist von seiner Gefangenschaft rettungslos schwer traumatisiert. Statt an die Gattinnenbrust zu sinken, steht er herum und zuckt und windet sich, sobald sich ihm jemand nähert. Am Ende dann, wenn der Wiener Staatsopernchor als Volk prächtig jubelt, das freilich bei Guth ein hinter die Bühne verbanntes Hirngespinst bleibt, und ein monströser Luster den Fidelio-Salon erhellt, verlassen Florestan die Kräfte. Er bricht zusammen.

Leonore und ihr Schatten: Adrianne Pieczonka
Leonore und ihr Schatten: Adrianne Pieczonka
Quelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Alle Mühen von Leonore waren vergebens. Ihr hat Guth übrigens einen Schatten, ein zweites Ich zur Seite gestellt. Nadia Kichler übersetzt in Gebärdensprache, was Leonore bewegt. Zum Chorfinale schließlich fuchtelt sie so wild herum, dass es längst komisch anmutet. Auch der Tänzer Paul Lorenger, hat als Doppelgänger von Pizarro wieder seinen Auftritt. Das alles hat etwas Redundantes. Am Ende ist dieser Fidelio dann doch nicht viel mehr als ein in seiner Form erwartungsgemäßes Gedankenprodukt aus der Werkstatt Guth/Schmidt, das der Opernangelegenheit wenig weiterhilft.

Jonas Kaufmann verströmt Sängerglück

Da kann selbst Jonas Kaufmann nicht viel anrichten. Auch wenn er sich, wie erwartet und erhofft, als das strahlende Sängerglück des Abends erweist. Herrlich, wie er sein anfängliches „Gott“, hinter dem dunklen Quader versteckt, in die Festspielhalle hinein anschwellen lässt und mit seinem dunkel leuchtenden Tenor die kurzen aber großen Hürden des Florestan beeindruckend meistert. Hier kann die tapfere, aber wenig strahlkräftige und auch nicht immer tonhöhensichere Leonore von Adrianne Pieczonka lange nicht mit.

Nur Franz Welser-Möst hält dem am Pult mit den prächtig spielenden Wiener Philharmonikern einiges entgegen. Da wurde hörbar und genau geprobt. Welser-Möst gestaltet diesen „Fidelio“ nervig, mit viel Feinsinn für Details und Klang, versagt sich jegliches Pathos und erntet für die dritte Leonoren-Ouvertüre dann endlich jenen Jubel, der dem Ganzen letztlich versagt bleibt.

Dennoch muss man diesem „Fidelio“ ein hohes Maß an Interpretationsambition und Regie-Wollen attestieren. Mit Mozarts „Le nozze die Figaro“ machen es sich die Salzburger Festspiele dagegen sehr gemütlich. Interimsintendant Sven-Eric Bechtolf hat damit seinen bisher recht glücklosen Mozart-Da-Ponte-Zyklus ins Ziel gebracht.

Mozart-Aristokratie von unten

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Man könnte diesen „Figaro“ auch als „Toller Tag in Gosford Park“ bezeichnen. Denn statt des fantasiearmen Ausstatterpaares Glittenberg hat sich Bechtolf diesmal die jungen Briten Alex Eales für die Bühne und Mark Bouman für die Kostüme geholt. Das ergibt vier Schnitte durch ein schon etwas heruntergekommenes englisches Landhaus in den 20er-Jahren, in dem sich nicht nur die „Figaro“-Besetzung, sondern auch jede Menge Dienerschaft in den passend hübschen Kostümen bewegt. Das funktioniert gut, Bechtolf hat das ordentlich arrangiert und organisiert.

Gleichzeitigkeit auf zwei Stockwerken: der Salzburger „Figaro“
Gleichzeitigkeit auf zwei Stockwerken: der Salzburger „Figaro“
Quelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Da darf die Gräfin, die Anett Fritsch frei und ansprechend singt, ihre Beinchen in die Höhe recken, um sich die Strümpfe überzustreifen. Der Graf ist ein komischer Aristokratentölpel, der im Keller seine Weine pflegt, auch wenn er bei Luca Pisaronis kernigem Bass gar nicht so klingen mag, während sein Diener Figaro den etwas tumben Kraftlackel markieren muss, und Adam Plachetka ihn dementsprechend singt. Ganz aufgeweckt ist dagegen die ihren lichten, leichtgängigen Sopran hübsch einsetzende Susanna von Martina Janková. Die immer noch wunderbare Ann Murray darf sogar eine launige Schwips- und Hicks-Nummer im letzten Akt vollführen. Tüchtig, wenn auch insgesamt unter Festspielniveau, beleben auch all die anderen dieses spießige Mozart-Spiel, diesen harmlose Nobrainer, der trotz aller Mühen um Heiter- und Leichtigkeit bald langweilt.

Daran hat auch Dirigent Dan Ettinger seinen guten Anteil. Er zerdehnt seltsam unakzentuiert diesen „Figaro“, lässt die Partitur vor allem auf orchestraler Sparflamme köcheln. So sind dann selbst die Wiener Philharmoniker im Graben nur selten bei sich. Erst im allerletzten Moment, wenn es zum Feiern gehen soll, dreht Ettinger das Tempo plötzlich so gehörig auf, dass das Publikum gar nicht mehr mitbekommt, dass die Oper schon zu Ende ist. Da prosten sich die verstummten Sänger heftig mit Champagner zu – und keiner klatscht. So schnell kann man in Salzburg ein Fest verpassen!

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