Kostüme wie im Karneval von Venedig: Musikalisch ist "Il Germanico", hier mit Klara Ek (Rosmonda), David Hansen (Arminio) und Carlo Vincenzo Alemanno (Segeste), allerdings großartig umgesetzt.

Foto: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik / Rupert Arl

Innsbruck – Wunder des Lebens: Alles ändert sich, und doch bleibt alles gleich. Von jeher schätzt der Mensch Berechenbarkeit und vorgegebene Abläufe, bewahrt sich aber ein Alzerl Spontaneität als Spurenelement der Freiheit. Lässt er sich theatralisch unterhalten, konsumiert er gern Endlosfolgen der knallfarbigsten Emotionen, um sein eigenes Gefühlsgrau für kurze Zeit zu übertünchen.

"Stylus Phantasicus" lautet das Motto der diesjährigen Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, als "freieste und ungebundenste" Art des Musizierens wurde dieses von Johann Mattheson einst definiert. Das seit 2010 von Alessandro De Marchi geleitete, feine Festival (Budget 2,5 Mio. Euro, Gesamtbesucherzahl 2014: 23.000) widmet sich in diesem Sommer schwerpunktmäßig der Kunst des Improvisierens. Neben zweieinhalb szenischen Produktionen wird vor allem im reichen Konzertprogramm frei und ungebunden musiziert.

Was die Barockoper anbelangt, so ist dort ja oft schon die Umsetzung der Partitur ein schöpferischer Akt: Deren skizzenhafte Anlage will vom Profi zum prachtvollen Gemälde einer orchestralen Umsetzung erweitert werden. Dies glückt Alessandro De Marchi bei Nicola Porporas Oper Il Germanico auf einzigartige Weise.

Herausragend, mit welcher Präzision, aber auch mit welcher Sinnlichkeit und Fantasie De Marchi und die 32-köpfige Academia Montis Regalis die musikalischen Vorgänge bei der Premiere des Fundstücks im Landestheater schildern: mal in Sturm und Braus, mal glühend, mal delikat und immer differenziert. Man kann sich in den fünf Stunden der Aufführung nicht satthören. De Marchis Musizieren ist in den letzten Jahren körperlicher, dringlicher, reicher geworden: toll.

Heftige Familiengewitter

Worum geht's in der 1732 uraufgeführten Oper des Komponisten und Gesangslehrers von Farinelli? Um seifenopernartig auffrisierte Verwerfungen eines Familienverbands, der im Fokus völkischer Fehden steht. Etwa zwölf Jahre nach Christi Geburt erhält der römische Feldherr Germanico den Auftrag, eine aufsässige Rheinprovinz wieder ins Römische Reich zu integrieren. Der ortsansässige Germanenfürst Segeste hat nichts dagegen, sein Volksgenosse Arminio will sich aber nicht kampflos in die große Kulturnation aus dem Süden reintegrieren lassen.

Arminio ist mit Segestes Tochter Rosmonda verheiratet; die liebt ihren Heißsporn innig und folgt ihm auch in Sachen Romskepsis. Rosmondas Schwester Ersinda ist hingegen mit dem Römischen Feldherren Cecina verbandelt. Innerfamiliäre Zwistigkeiten entladen sich ob der Causa Rom wie eine endlose Folge heftigster Gewitter. Germanico besiegt Arminio schließlich auf dem Feld, der Gutmensch muss aber eine Niederlage einstecken, als er den Kämpfer zum Beitritt in die doch so kultivierte römische Gemeinschaft auffordert. Eure großartige Kultur habt ihr euch doch auch nur von den Griechen und den Ägyptern zusammengeklaut, spottet der Germane.

David Hansen gibt den Arminio kämpferisch, mit ganz auf Kraft aufgebauter Gesangstechnik. Ebenfalls eine Streitbare: die meist fein singende Klara Ek als Rosmonda. Leicht und liebreizend Emilie Renard als Ersinda, intensiv Hagen Matzeit als Cecina; Carlo Vincenzo Alemannos kraftvoller Segeste ist eher romantisch-heldisch timbriert. Herausragend die Präsenz von Patricia Bardon als Germanico; der Mezzo der Irin ist von countertenorhafter Weichheit und fügt sich so ideal in das Klangbild ihrer Kollegen Hansen und Matzeit.

Szenisch umgesetzt wird der musikalische Reichtum, wie relativ oft hier in Innsbruck, leider sehr ärmlich. Die Kostüme: wie wenn man in der ehemaligen DDR den Karneval in Venedig nachgestellt hätte. Die mit kargen Bauten bestückte Drehbühne erinnert an eine progressive Volksoperninszenierung aus den 1960ern (beides: Alfred Peter).

Regisseur Alexander Schulin animiert die Sänger zu intensivem Schauspiel, zeigt aber kein Interesse, die vielen langen Da-capo-Arien fantasievoll zu bebildern. Am Ende dennoch Begeisterung, vor allem für die fantastische Musik. Dafür lohnt sich eine spontan-improvisierte Reise nach Innsbruck allemal. (Stefan Ender, 14.8.2015)