Salzburg
Triumph der Schlichtheit

Umjubelt: Glucks "Iphigénie en Tauride" mit Cecilia Bartoli und Rolando Villazón in Salzburg

20.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:53 Uhr

Packend und hochaktuell: Die Salzburger Inszenierung nimmt die Situation von Flüchtlingen auf. Christopher Maltman als Orest und Cecilia Bartoli als Iphigénie - Foto: Rittershaus/Salzburger Festspiele

Salzburg (DK) Aktueller und packender kann eine Opernaufführung eigentlich nicht mehr sein: Verängstigte Menschen lagern mit den wenigen Habseligkeiten, die ihnen bei der Flucht aus ihrer Heimat noch geblieben sind, auf dem nackten Boden einer mit leeren Bettgestellen notdürftig ausgestatteten Unterkunft. Schrundige Wände ringsum und ein verrostetes Tor im Hintergrund.

Auf die Insel Tauris hat es sie verschlagen. Am Ende ihrer Kräfte sind sie und schwer traumatisiert. Und als ein Orkan über dem Meer vor ihrem zwischenzeitlichen Aufenthaltsort tobt – eine großartige musikalische Schilderung der Naturgewalt in der packenden Ouvertüre – , da fürchten die Gestrandeten endgültig um ihr Leben. Doch Iphigénie, Priesterin der Artemis, ruft die Götter an, klagt ihnen das Leid der Flüchtlinge, die im Auftrag des Skythenkönigs Thoas getötet werden sollen, während sie in Albträumen von ihrem eigenen Schicksal und dem ihrer Familie verfolgt wird.

Die Sage aus der griechischen Mythologie von der Königstochter Iphigénie, deren Vater Agamemnon nach der Rückkehr aus Troja von ihrer Mutter ermordet und dieses Verbrechen von ihrem Bruder Orest gerächt wird, hat der 1714 in Berching geborene Christoph Willibald Gluck in eine ebenso sensible wie berückende Barockoper umgesetzt. Eine Komposition voll schöner Harmonien und tiefer Empfindsamkeit samt eruptiver dramatischer Einschübe, die der Schweizer Dirigent Diego Pasolis dem auf die Musik des 18. Jahrhunderts spezialisierten Orchester „I Baroccisti“ voll Elegie entlockte.

Keine Barockoper mit ausladendem Gepränge haben die beiden Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier für die diesjährigen, von Cecilia Bartoli geleiteten Pfingstfestspiele im Salzburger Haus für Mozart inszeniert und nun als aufgefrischte Wiederaufnahme bei den Sommerfestspielen präsentiert. Ein Glücksfall einer – trotz aller Dramatik – geradezu ruhig dahin fließenden Kammeroper. Keine Regiemätzchen, keine aufgesetzten Gags, sondern eine allein auf die Intensität der Gefühle ausgerichtete Inszenierung, wie Gluck die gesamte Komposition und die einzelnen Partien dieser Reformoper ja auch angelegt hat. Ein sensibles Regietheater vom Allerfeinsten.

Dazu eine Prachtbesetzung: Cecilia Bartoli als die verzweifelte Gefangene, die beschwörende Priesterin und von Humanität durchpulste Iphigénie, die im Auftrag des Tyrannen Thoas auch ihren Bruder Orest töten soll, ist hier keine Primadonna des Mezzosoprans, sondern sie gestaltet diese Figur mit faszinierender verinnerlichter Dramatik. Grandios. Christopher Maltman ist dieser von den Furien gehetzter, traumatisierter Flüchtling, der nackt seinen Opfertod erwartet, dessen Darstellung und Gesang gewaltig unter die Haut gehen. Michael Kraus gibt mit großem Bassvolumen und raumgreifender Bühnenpräsenz den Tyrannen Thoas, während der Chor der Radiotelevisione Svizzera die Ängste der Gefangenen höchst eindrucksvoll offenbart. Und als kleine Sensation darf Rolando Villazóns Pylades gelten: Nicht – wie bei ihm ansonsten üblich – voll Agilität schier übersprühend, gestaltete er diese Partie, sondern in der Darstellung des Orest-Freundes höchst zurückhaltend, doch balsamisch singend. Herrlich.

Eine Festspielproduktion ohne Glamour und Talmiglanz, sondern eine Barockoper voll ergreifender Schlichtheit und hinreißenden Stimmen.

 

Weitere Aufführungen am 22., 24., 26. und 28. August: Restkarten unter info@salzburgfestival.at.