Festspiele: Wehmütig im weiten Wien

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'DER ROSENKAVALIER'
SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'DER ROSENKAVALIER'APA/BARBARA GINDL
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Strauss' „Rosenkavalier“, unter Franz Welser-Möst wieder ungekürzt musiziert, von Altmeister Harry Kupfer lebendig inszeniert: Berechtigter Jubel trotz kleiner Macken.

Mit wehmütigem Lächeln hält die Marschallin den Blick von Octavian abgewendet. Sie werde ihm mitteilen lassen, ob sie am Nachmittag in den Prater fahre. Da setzt die Regie an: Octavians Blut gerät sichtlich in Wallung, schon erhofft er sich wieder ein erotisches Tête-à-tête auf vier Rädern so wie „vor fünf, sechs Tagen“ geschehen. Doch setzt die Marschallin fort, er könne hinkommen und „neben meinem Wagen reiten“: ein subtiler Korb. Octavians Gesicht friert ein, verletzt geht er ab. Und sie hat ihn nicht einmal geküsst.

Es ist die Fülle solcher und ähnlicher Details, scheinbar leicht eingestreut, in Wirklichkeit aber von Gewicht, die Harry Kupfers Salzburger „Rosenkavalier“-Inszenierung so nuanciert, lebendig und wahrhaftig wirken lassen. Und im großen Ganzen wird das fortgesetzt von jenem anspielungsreichen Vexierspiel, das Bühnenbildner Hans Schavernoch treibt: Vor riesig projizierten Bildern aus Wien, die vom Meer aus Dächern und Kuppeln über prunkvolle Interieurs bis hin zu kahlen Alleen im Novembernebel reichen und weich überblendet werden, lässt er wechselnde Bühnenelemente herein- und hinausgleiten.

Dialektschwächen

Die Szenerie bleibt dadurch flexibel, passt sich so ökonomisch wie geschmeidig dem Inhalt an. Die Welt Maria Theresias ist nur mehr Erinnerung in der gezeigten Gegenwart von Werkentstehung und Fin de Siècle, dem Zeitalter Hofmannsthals, Schnitzlers und Freuds. Das schafft auf der Riesenbühne doch intime Gefühlsräume, die eine glorios-kaiserliche Historie ebenso herbeizitieren, wie Hofmannsthal das mit seinem fiktiven, künstlich-kunstvollen Wienerisch tut.

Überhaupt, die Sprache! Vielleicht ist es der Fluch einer insgesamt so außergewöhnlich gelungenen Produktion wie dieser, die nach dem großen Erfolg im letzten Sommer nun wieder aufgenommen und erneut bejubelt wurde, dass man ihr ihre kleinen Unvollkommenheiten weniger leicht verzeiht als einer bloß durchschnittlichen. Freilich, über manche Einzelheiten lässt sich immer diskutieren – aber es fällt doch auf, dass die meisten Protagonisten besser spielen als sie singen. Merkwürdig, dass ein keineswegs frischg'fangter, sondern durchaus lang dienender Octavian vom Rang der darstellerisch wunderbar noblen, vokal zuletzt mit ein paar harten Tönen um Piano ringenden Sophie Koch in den Mariandl-Travestien sprachlich nicht ganz sattelfest ist: Wer „na, na“ singt statt „nein, nein“, darf dann den „Wein“ nicht mehr darauf zu reimen versuchen, sonst entlarvt er sich als Tourist.

Ein Auffrischungskurs in allerlei Dialektfärbungen ließe sich etwa bei Günther Groissböck belegen, der auch Endsilben à la Minister Klug beherrscht und mit jugendfrischer Fitness den Baron Ochs nicht als alten Lüstling, sondern als üblen Proleten noch vor den „besten Jahren“ darstellt. Gewiss, sein Bass hat insgesamt weniger Saft und Kraft, als man ihm und sich selbst für die unbarmherzige Monsterpartie wünschen würde, zumal ohne jede Kürzung musiziert wurde: Franz Welser-Möst hat den „Rosenkavalier“ ungestrichen einstudiert – und erweist sich am Pult der Wiener Philharmoniker nach recht trägem Beginn als unaufgeregter, niemals schleppender Sachwalter der Partitur, der die orchestralen Kantilenen, Kommentare und Kontraste möglichst sängerfreundlich an die Bühne anschmiegt.

Dort regiert Krassimira Stoyanova als zart tönende Marschallin, deren fallweise Hitzewallungen ihrer hoheitsvollen Statur keinen Abbruch tun. Und man spürt: Der jungen Sophie, mit silbrigem Glanz gesungen und entzückend, weil nicht zu trotzig, gespielt von der Festspieldebütantin Golda Schultz, könnte es dereinst ähnlich ergehen...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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