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Bühne und Konzert Kunstfest Weimar

Auschwitz-Prozess mit Streichquartett

Der Komponist Frederic Rzewski ist ein noch zu entdeckender Unbequemer der Moderne. Sein Kammermusiktheater „Der Triumph des Todes“ erlebte beim Kunstfest Weimar seine deutsche Erstaufführung.

Nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben, sei barbarisch – das war eins von Adornos provozierenden Nachkriegsverdikten. Dass man über Auschwitz sogar Opern schreiben kann, hat nicht zuletzt der lange vergessenen polnisch-russische Komponist Mieczyslaw Weinberg mit seiner „Passagierin“ bewiesen. Dass man über Auschwitz reden, das Grauen protokollieren muss, ist für das Theater keine Frage. Schon gar nicht, seit Peter Weiss aus den Protokollen der Auschwitz-Prozesse von 1963-65 seine „Ermittlung“ collagiert und das deutsche Publikum damit konfrontiert hat.

Ob die Opernvariante, die Frederic Rzewski vor dreißig Jahren nachgereichte, ebenso unverzichtbar ist, dazu kann sich zumindest das Publikum in Weimar jetzt selbst eine Meinung bilden. Das Kunstfest hat sich dem hier unvermeidlichen geistigen Spagat zwischen Klassiker-Beruhigung und (KZ-)Buchenwald-Verunsicherung mit der deutschen Erstaufführung von „Der Triumph des Todes“ gestellt, mit dem der heute 77-jährige Amerikaner aus der Theatercollage von Peter Weiss eine Art oratorische Kammeroper für Streichquartett und fünf Stimmen gemacht hat.

Der 1938 geborene Frederic Rzewski ist einer der großen, lange vergessenen Unbequemen der Moderne, auch durch seine unbequeme Art. Er studierte bei Virgil Thomson, Roger Sessions, Walter Piston, Milton Babbitt und in Italien bei Luigi Dallapiccola. Einige Jahre später gründete er die Gruppe Musica Elettronica Viva. Kennzeichnend für ihre Musik waren improvisatorische Elemente und der Einsatz live-elektronischer Instrumente. 1977 erhielt er eine Professur für Komposition am Konservatorium in Lüttich und wirkte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2003.

Unmöglich schwerer Variationszyklus

Viele Kompositionen von Rzewski haben einen politischen Bezug, außerdem enthalten sie oft improvisatorische Elemente. Selbst ein exzellenter Pianist, komponierte er 1975 auf ein chilenisches Revolutionslied die exorbitant schweren, fast eine Stunde langen Variationen über „The People United Will Never Be Defeated“, die seit einigen Jahren der aufstrebende Pianist Igor Levit wieder ins Repertoire gebracht und eben auch aufgenommen hat.

Im morbid charmanten Saal des Schießhauses koordiniert Kapellmeister Martin Hoff souverän die vier Damen des Amalia-Quartetts, die neben dem Streicherklang noch allerhand weitere Geräusche (von singender Säge bis zum Zertrümmern eines Stuhls) beisteuern. Die fünf Sänger kämpfen sich aus dem Untergrund nach oben, nachdem sie einen Kanaldeckel weggeschoben haben. Ulrika Strömstedt liest das Schicksal von Lili Tofler, die wegen eines verbotenen Briefs an einen Gefangenen zu Tode gequält wurde, in einem Brautkleid. Oder Andreas Koch und Bjørn Waag spielen als Aufseher eine Runde Tennis, während sie über die Kosten und die Wirkung von Zyklon B räsonieren …

Gesänge aus dem Feuerofen

Die Hauptsache bleiben die protokollierenden elf Gesänge: von der Rampe bis zu den Feueröfen. Inklusive des kollektiven Verleugnungsgemurmels als Epilog. Am stärksten wirkt das Grauen durch die Macht des Wortes. Oft beschränkt sich Rzewski auf ein illustrierendes Parlando. Erst, wenn er die Lageralltagsgeschichte und die protokollierten Grausamkeiten mit Melodiezitaten etwa von „Die Gedanken sind frei“, den Moorsoldaten oder einem leichten Unterhaltungssound unterlegt, wird das Ganze zur bewussten Provokation für den Zuhörer. Der kann dann gar nicht anders, als über das protokollierte Entsetzen und die Banalität des Alltäglichen beim Umgang mit der Erinnerung nachzudenken.

Am Ende kommen freilich weder die Musik von Rzewski noch die Inszenierungsbemühung von Alexander Fahima wirklich an das geschilderte Grauen heran. Und fast übergangslos geht es über in die Thüringer Kulturscharmützel von heute mit einem Appell ans Publikum, beim Kampf gegen die bekannt gewordenen Pläne der roten Erfurter Landesregierung dabei zu sein, bei der ausgerechnet die traditions- und erfolgreiche Weimarer Opernsparte auf der Strecken zu bleiben droht. Samt der Erinnerung daran, dass gerade die Oper gelebte Integration ist. Und zum Kern des zivilisatorischen Selbstverständnisses gehört. Oder gehören sollte. So wie das Erinnern an die schlimmsten Kapitel der eigenen Geschichte.

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