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Opernpremiere in Hamburg Das Blut fließt in Strömen, die Musik ist fein geschliffen

Kent Nagano debütierte als musikalischer Chef an der Hamburger Staatsoper mit Hector Berlioz' Antike-Monster "Les Troyens". Dazu lieferte Michael Thalheimer seine erste Opern-Regiearbeit in Hamburg ab. Dabei überzeugte viel, wenn auch nicht alles.
Blutvoller Auftritt: Catherine Naglestad mit dem Hamburger Opernchor in Berlioz' "Les Troyens"

Blutvoller Auftritt: Catherine Naglestad mit dem Hamburger Opernchor in Berlioz' "Les Troyens"

Foto: Hans Jörg Michel

Dreifach-Premiere in Hamburg! Mit einem großen Aufschlag übernahm Kent Nagano von Simone Young den musikalischen Chefposten an der Staatsoper: "Les Troyens" von Hector Berlioz servierte der neue Top-Dirigent als Einstand, und mit Michael Thalheimer führte einer der renommiertesten und erfolgreichsten Spielleiter des deutschsprachigen Theaterraumes erstmals Opernregie in der Hansestadt.

Eine üppige Lichtinstallation krönte zudem den Eingang der Staatsoper - ein gutes Omen, wie sich zeigte, denn die Saison-Eröffnung brachte tatsächlich viel Licht, wenig Schatten, aber auch keine Sensationen.

Ein kluge Wahl, diese französischen "Trojaner", die sich der 63-jährige Kent Nagano für sein Debüt ausgesucht hatte. Die Berlioz-Oper, mit dreieinhalb Stunden ein opulentes Format, bietet musikalisch genau das, was Nagano liegt: feingeschliffenes, filigranes Orchester, elegante Pointen, dezente rhythmische Akzente, aber keine krachende Kraftentfaltung, keine Exzesse - auch wenn es in der Handlung um den Trojanischen Krieg, die Flucht der Geschlagenen nach Karthago und schließlich nach Rom geht.

Elegante Pointen, keine Exzesse

Viel Emotionen, viele Menschen auf der Bühne, und die führte Michael Thalheimer eher konservativ über die Bretter. Aber die großen Chorszenen der ersten beiden Akte wollen bewältigt sein. Auftritt, Abgang, vorwärts, rückwärts schritten die Massen, dazu die Solisten von links nach rechts über die Bühne, das sah nicht aufregend oder innovativ aus, freute aber den Dirigenten und die Sänger, denn die durften sich gesanglich frei entfalten. Allen voran der grandiose Hamburger Opernchor (wie immer souveräne Leitung: Eberhard Friedrich), der sich als der Aktivposten bewies, den Kent Nagano für seinen Einstand schon mal auf der Rechnung hatte.

Einzig eine hohe, bewegliche Rückwand setzte auf der Bühne (solide und effizient von Olaf Altmann erdacht) Akzente. Sie wurde zur bedrohlichen Schräge, führte die Blutströme des Krieges und reinigenden Regen vor, regelte zuweilen den Personenverkehr und schloss inhaltliche Bögen. Alte Schule, bestens passend zu den großen Tableaus aus denen "Les Troyens" hauptsächlich besteht.

Die klare Teilung zwischen dem Troja-Part (Akt eins und zwei) und dem Karthago-Part (Akt drei bis fünf) tat ein Übriges, diese Schablonenhaftigkeit zu fördern - entweder man bürstet alles gegen den Strich, oder es wird bieder erzählt. Hier entschieden sich alle fürs Erzählen, was exzellent zur sanft analytischen Klanggebung Kent Naganos passte.

Blutvolles Profil

In diesen breiten Tableaus spinnt sich die Handlung - wenn nicht gerade der Chor zauberte - zwischen den bekannten Protagonisten der antiken Dichtung ab. Im Zentrum des ersten Teiles steht die Seherin Kassandra, der die US-Sopranistin Catherine Naglestad stimmlich und darstellerisch im Wortsinne blutvolles Profil gab.

Die Wagner-erfahrene Sängerin arbeitete schon in München unter Kent Nagano, und sie setzte im von Michael Thalheimer eher statisch gestalteten ersten Teil des Abends die dringend benötigten dramatischen Akzente. Das trojanische Personal, vom stimmlich etwas eng agierenden Äneas (Torsten Kerl) bis zum Kassandra-Verlobten Chorèbe (Kartal Karagedik) verblasste neben der Diva Naglestad.

Volle Punktzahl für die Dido

Diesen Staffelstab der bühnenbeherrschenden Persönlichkeit übernahm im zweiten Teil die Königin Dido von Karthago. Deren populäre Liebesgeschichte mit dem trojanischen Flüchtling Äneas bestimmt die Akte drei bis fünf, und hier kam erheblich mehr Bewegung und Leben auf die Bühne.

Die russische Mezzosopranistin Elena Zhidkova übergeigte darstellerisch zwar ein wenig die emotional gebeutelte Figur der Dido, ihr Haare zerwühlendes Kopfzurückwerfen und die wilde Körpersprache setzten zur fein ausgebreiteten, hier fast schon Verdi-haften Musik grobe Akzente, aber alles überstrahlte Zhidkovas kraftvoller, wandlungsfähiger Sopran. Der trug jede Emotion, jede Regung ihrer Persönlichkeit bis in die letzte Parkettreihe, sie sang tatsächlich, wie von der Rolle verlangt, um ihr Leben und ihre Liebe, da kann man ihr alles Gesten-Gewusel verzeihen. Schließlich musste eine große Bühne gefüllt werden, was dank dieser dollen Dido gelang: Volle Punktzahl für Elena Zhidkova.

Den romantischen Liebestod erzählt Berlioz in seiner Musik breit aus, doch trotz aller Gefühlsschwere klang das elegant und luftig gegliedert. Offenbar gab es hier dichtes Einverständnis zwischen den Musikern des Philharmonischen Staatsorchesters und ihrem neuen Chef Nagano, der präzise führte, ohne zu forcieren oder in der Partitur nach versteckten Widerhaken oder Untiefen zu forschen.

So wurde Kent Naganos Einstand keine überwältigende Jubelveranstaltung, sondern eine gelungene Produktion, in deren Schlussbeifall sich wenig Missfallen mischte. Nicht der schlechteste Ausgangspunkt für eine weitere Zusammenarbeit.