Dame ohne Unterleib: Myung Joo Lee als Violetta Valéry.

Foto: LANDESTHEATER LINZ/OLAF STRUCK

Linz – So monolithisch und einförmig Terry Pawsons Bau des Linzer Musiktheaters nach außen wirkt, so vielfältig-bunt ist das Programm, das der scheidende Intendant Rainer Mennicken in dieser Saison innen drin so zeigt. Egal ob Schauspiel, Musical oder Oper: Da ist Interessantes zu sehen. Zur Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "La Traviata" wurde Robert Wilson geladen. Der US-Amerikaner hätte das Stück eigentlich an der Madrider Oper machen sollen, doch nach Gerard Mortiers Tod stieg das Teatro Real aus der Koproduktion aus – und das Linzer Landestheater ein.

Wilson hat ja schon vor einiger Zeit zu seinem Stil gefunden, der 73-Jährige inszeniert längst keine Mozarts, Verdis oder Puccinis mehr, sondern verwandelt ihre Werke in lauter Wilsons. Bühne, Kostüme und Licht verbindet der versierte Gesamtkunstwerker dabei zu einem kühlen, klaren Plädoyer für das künstlerische Credo "Weniger ist mehr".

Alles äußerst aufgeräumt auch bei der Linzer "Traviata". Das Seminar "Schöner leiden" mit Robert Wilson kann beginnen. Zum Vorspiel entschwebt eine aparte Metallskulptur nach oben. Der Hauptakteur Licht kommt gern flächig von hinten und trägt bevorzugt die Farben Blassblau, Zartsilber und Milchweiß.

Auftritt der bizarren Pariser Hautevolee. Der Salonadel trägt pomadisierte Wackelköpfe zu nach oben abgewinkelten Handflächen und ist ganz hohle, überdrehte Gespreiztheit. Eine pinguinhafte Puppenarmee aus der Werkstatt von Hoffmanns Spalanzani. Was wird mit den Händen abgewehrt: die dunklen Triebe? Ohrenscheinlich konnte Wilson auch Dirigent Daniel Spaw (er leitet das solide Bruckner-Orchester Linz) und Chorchef Georg Leopold zu seinen Mitstreitern machen: Die Bühnenmusik im ersten Akt klingt wie eine musikalische Karikatur, der Chor singt eckig, wie buchstabiert.

Die Komik der Nebenfiguren trifft auf die Tragik der drei Protagonisten, auch diese agieren mit ihren festgefrorenen Fluglotsenbewegungen nicht primär auf natürliche Weise. Wilson lässt Violetta von der Taille aufwärts mit einem Scheinwerfer bestrahlen: Die bei Verdi zum selbstlosen, entsagenden Engel stilisierte Kurtisane ist auch bei ihm Schönheit und Reinheit in Personalunion, eine Dame ohne Unterleib.

Myung Joo Lee ist eine ikonenhafte Violetta Valéry mit großer Ausstrahlungskraft. Das Timbre ihres Soprans zählt nicht zu den Glänzendsten, aber sie bewältigt die enormen Anforderungen der Partie souverän, bietet berührende Pianissimi. Kernig und geschmeidig der Tenor von Jacques le Roux (Alfredo), die klangschönste Stimme der solistischen Trias. Ausgerechnet Seho Chang drückt als Spießbürger Giorgio Germont am kräftigsten auf die theatralische Tube und auf die Stimmbänder.

Am Ende ermüdet das Glatte, Schöne, Stilisierte etwas, Violettas Tod knickt kaum. Ob die Sänger wohl vom ewigen frontalen Ansingen der Galerie schon ein steifes Genick haben? Stehende Ovationen im Großen Saal, nur bei Wilson leises Missfallen. (Stefan Ender, 20.9.2015)