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  4. Hamburger Staatsoper: Kent Nagano startet mit „Les Troyens“ von Berlioz

Bühne und Konzert Kent Nagano Hamburg

Wie man ein unspielbares Meisterwerk aufführt

Freier Feuilletonmitarbeiter
Das soll Troja sein? Wenigstens erkennt man im Einheitsbühnenbild der Hamburger „Trojaner“-Inszenierung Catherine Naglestad als Seherin Kassandra am wehen, furienhaften Gesichtsausdruck Das soll Troja sein? Wenigstens erkennt man im Einheitsbühnenbild der Hamburger „Trojaner“-Inszenierung Catherine Naglestad als Seherin Kassandra am wehen, furienhaften Gesichtsausdruck
Das soll Troja sein? Wenigstens erkennt man im Einheitsbühnenbild der Hamburger „Trojaner“-Inszenierung Catherine Naglestad als Seherin Kassandra am wehen, furienhaften Gesichtsaus...druck
Quelle: dpa
Star-Dirigent Kent Nagano hat seine erste Premiere als Chef der Hamburger Staatsoper herausgebracht: In Michael Thalheimers Inszenierung von Berlioz’ „Trojanern“ ertrinkt Kleinasien im Kunstblut.

Blut. Blut. Blut. Zweimal knallt es megaliterweise auf ein überdimensioniertes Garagentor, sabbert und suppt träge tropfend herab. Zuerst wenn die Trojaner das hier nicht vorhandene Holzpferd mit dem verdächtig schepprigen Griechenkriegerinhalt in ihre Stadt holen. Und dann noch einmal, wenn das große Metzeln beginnt. Zum Dritten läuft der rote, fies glibbernde Kunstsaft an der monströsen Katzenklappe runter, wenn sich Dido, die sagenhafte Königin von Karthago, verbrennen lässt: Ihr Geliebter Aeneas, ein Flüchtling aus Troja, hat sie verlassen, weil seine Götter ihm befahlen, nach Italien zu segeln und Rom zu gründen.

So will es Vergil, der zur Zeit der römischen Bürgerkriege einen Nationalmythos großdichterisch zum Epos ausschmückte, und so möchte es auch der funkensprühend exzentrische Romantiker Hector Berlioz, der mit seinem zwischen Gluck-Bewunderung und Grand-Opéra-Pathosprunk so herrlich schillernden und schwankendem Zweiteiler „Les Troyens“ das Großwerk des französischen Musiktheaters schuf.

Das freilich erst posthum 1890 einigermaßen vollständig in Karlsruhe uraufgeführt wurde. Und seitdem als irgendwie unspielbar gilt, obwohl längst (und vor allem in jüngster Zeit) kleinere und kleine Häuser sowie diverse CD-Einspielungen bewiesen haben, dass es zu schaffen ist. Auch wenn Kent Nagano, Hamburgs neuer Generalmusikdirektor, der damit einen möglichst spektakulären Einstand an der Staatsoper geben wollte, im Programmheft behauptet, die Oper würde ohne Striche sieben Stunden dauern – es sind etwas über vier; das komplette Stück ist kürzer als die „Meistersinger“.

Nagano ist nicht schuld, Berlioz auch nicht

Würde freilich Nagano, sagen wir mal, Jörg Wiedmann beauftragen, aus Wagners Partitur eine Stunde Musik wegzustreichen? Ein Aufschrei wäre die Folge. In Hamburg glaubte man freilich, eben dies tun zu müssen, und engagierte für das Schnippelwerk extra den französischen Komponisten Pascal Dusapin. Und der entsorgt alles, was eine Grand Opéra ausmacht, „viel dekoratives Ballett, kostümierte Aufzüge großer Chormassen“, so nennt es despektierlich der zuständige Dramaturg, und auch gleich noch das halbe Liebesduett, den lyrischen Mittelteil der schweren Aeneas-Arie, den patriotischen Schluss und vieles, eben nicht Überflüssiges, mehr.

Trotzdem wurde es ein zäher Abend. Woran nicht Berlioz schuld ist und auch nicht Kent Nagano. Der trippelt nämlich betont schnell durch das Stück, hat die fein balancierten Holzbläser sehr lieb, kost die leuchtenden Streicher, gerät aber immer wieder (schon nach den ersten Takten) aus dem Tritt, läuft dem oft verwaschen klingenden, mit ältlichen Sopranspitzen aufwartenden Chor davon und bringt seine Klangkollektive öfter ins Ruckeln und Schwanken. Souveräne Berlioz-Beherrschung geht anders. Da ist künftig in Hamburg noch einige philharmonische Luft nach oben.

Kent Nagano an der Staatsoper Hamburg
Kent Nagano an der Staatsoper Hamburg
Quelle: dpa

Der Ausfall ist Michael Thalheimer, der mit seinem Bühnenbildner Olaf Altmann und der Kostümschneiderin Michaela Barth sich einfach nicht auf das Werk einlassen, es nur seiner langsam nervenden Dauerästhetik untertan machen will. Kein Troja und kein davon unterschiedenes Karthago gibt es, dafür einen ewig gleichen, öden, hart ausgeleuchteten Holzkisteneinheitsraum mit Wendetor. Kein Trojanisches Pferd, kein Scheiterhaufen für Dido, aber auch keine überzeugenden Ersatzsymbole, keine königliche Jagd (nur prasselnden Gewitterregen – wieder megaliterweise), und keine nordafrikanische Wüste.

Die stets ähnlich, blockartig oder an den Wänden lang hereinschlurfenden Chormassen tragen fantasielosen Military-Look und Kittelschürzen (die Trojaner), schwarze Uniformen (die Griechen), Sonntagsanzüge- und -kleidchen (die Karthager). Das könnte von „Orpheus und Eurydike“ bis „Die Soldaten“ so ziemlich jede Oper sein, vor allem weil die Protagonisten, mal mehr oder weniger blutverschmiert, sich ebenfalls an der Rampe zum Arienabsingen aufpflanzen oder (Liebe darf nicht sein, Berührungen haben Seltenheitswert) von den gegenüberliegenden Bühnenseiten aus miteinander duettieren.

Das ergibt freilich keinen scharfen Minimalismus, der irgendetwas freilegt oder zuspitzt – wie im Schauspiel. Oper gehorcht anderen Gesetzen. Hier gibt Berlioz den Rhythmus vor, selbst amputiert.

Kassandra, die trojanische Seherprinzessin im bald rot befleckten Brautkleid, kommt gerne wirkungsmächtig als personifiziertes Schicksal aus dem Hintergrund. Catherine Naglestad singt sie mit Würde, aber auch mit abgehackter, oft wegbrechender Legatolinie. Der Aeneas von Tosten Kerl (er war in der Generalprobe unpässlich) klingt müde und gepresst, ein apathischer Antiheld im schwarzen Verlegenheitsmantel, als Charakter nie greif- und erlebbar.

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Das einzig Königliche an der Dido von Elena Zhidkova ist ihr royalroter Samtrock zur schwarzen Spitzenbluse. So wirkt sie freilich mehr wie eine gelangweilte Ufa-Sirene mit seltsamen Schlingergesten denn wie eine afrikanische Herrscherin. Niemand hat ihr vermittelt, dass sie diese Rolle mit Farben und Schattierungen singen muss, sich nicht auf ihr sattschönes, weiches, aber nicht warmes Mezzotimbre im Einheitsforte verlassen darf. Selten berührte Didos Tod so wenig.

Wie überhaupt sich der Abend müde dahinschleppt. Man ärgert sich über das schlechte Französisch (die Dusapin-Gage wäre hier weit besser angelegt gewesen), den Verweigerungsaufwand, die nach Einheitsbrei schmeckenden, modernistischen Klischees stattdessen. Das solide Restensemble gefällt, einzig der in letzter Sekunde eingewechselte Julian Prégardien in der traumverlorenen (gottlob unangetasteten) Arie der Episodenfigur Hylas schafft einen idiomatisch richtigen, interpretatorisch bemerkens- und erinnerungswerten Moment.

Aus München weggewünscht, in Hamburg vernetzt

Simone Young, Hamburgs nur lau geliebte GMDeuse und Opernintendantin, will man vor Ort offenbar schnell zu den Akten legen, der angebliche Glamour Kent Naganos soll ihre nicht wirklich glücklichen Spielplanentscheidungen möglichst überstrahlen. Ihr Einstieg 2005 mit Paul Hindemiths sprödem, düsterem Künstlerdrama „Mathis der Maler“ war freilich weit stärker als dieser höchstens halb geglückte Auftakt des neuen Musiktheaterteams.

Kent Nagano, in München noch vor zwei Jahren von vielen weit heftiger weggewünscht als Simone Young in Hamburg, und bereits angesichts des Dauer-Kirill-Petrenko-Taumels vergessen, setzt freilich klüger auf vernetzte Mitstreiter. Der unauffällige Ex-Basler Intendant Georges Delnon hilft beim Opernspielplan, der bewährte Dieter Rexroth konzipiert Konzerte.

Und so startete Kent Nagano bereits mit zwei Akademiekonzerten des neugebildeten Kammerorchesters im Michel. Es folgt am 27. das erste Philharmonische Konzert.

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