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Sexy, aber arm

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Die Flucht endet für Manon (Nadja Stefanoff) am Zaun.
Die Flucht endet für Manon (Nadja Stefanoff) am Zaun. © Stephan Walzl

Oldenburg - Von Andreas Schnell. Es ist natürlich ein Vorurteil, aber ein schönes: dass in der Oper viel geliebt wird, sehr oft unglücklich – und am Ende stets alle tot sind. Puccinis Oper „Manon Lescaut“, mit der das Staatstheater Oldenburg am Samstag die Musiktheatersaison eröffnet hat, ist so ein Werk mit tödlichem Ausgang. - Von Andreas Schnell.

Allerdings bleibt manches unklar in „Manon Lescault“. Warum Manons Vater beschlossen hat, die Tochter in ein Kloster zu geben? Das wusste wohl Abbé Prévost, der die Geschichte in seiner Novelle erzählte, aus der Puccini und seine Librettisten eine Oper machten. Aber das Opernpublikum wird im Dunkeln gelassen. Auch macht Puccinis frühes Meisterwerk nicht plausibel, warum Manon eigentlich verhaftet wird, nachdem sie den wohlhabenden Steuerpächter Geronte de Ravoir zugunsten des mittellosen Des Grieux verließ, den sie liebt. Wobei sie, bevor sie mit Des Grieux flieht, dann doch noch ein paar der teuren Klunker retten möchte, die ihr de Ravoir geschenkt hat. Am Ende bleibt den beiden Liebenden nur die Einöde, in der Manon geschwächt stirbt.

Peter Hailer (Regie) und Martin Fischer (Bühne und Kostüme) haben die Szenerie in eine nicht genauer bestimmte Gegenwart verlegt. Ein Bahnhof in frischem Waschbetongrau mit dunklen Marmorsäulen ist universeller Handlungsort, martialisch aufgerüstete Polizisten sorgen für Ordnung unter der gelegentlich aus unbestimmten Gründen aufsässigen Bevölkerung. Manon und ihr Bruder treffen in schwarze Ledermäntel gekleidet ein, eine Aura von Rebellion umweht die beiden. So eine Frau soll in ein Kloster?

Es ist dann eine andere Art von Abgeschlossenheit, die für sie vorgesehen ist. Ein großer Gitterzaun zieht sich in der zweiten Hälfte des Abends über die Bühne. Was natürlich an die Zäune denken lässt, die heute an den Grenzen Europas gebaut werden, um den ungeregelten Zuzug von Flüchtlingen fernzuhalten. Flüchtlinge wie Manon? Immerhin: Die geplante Verbannung ins Kloster lässt ihre Rebellion geradezu zum politischen Akt werden. Und auch wenn es dann doch nur die große Liebe ist, die sie fliehen lässt: Dass sie eigentlich vor allem Freiheit will, lässt sich noch aus ihrer Zerrissenheit lesen. Denn, das steckt schließlich im fatalen Schluss der Oper: Die Liebe mag noch so groß sein – ohne materielle Grundlage lässt sie sich nicht leben. Insofern, das könnte diese Lesart zumindest dezent andeuten, lassen sich Grenzen zwar zwischen Ländern, aber nicht zwischen politischen und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen ziehen.

Allerdings ist das schon ein wenig spekulativ, die Inszenierung liefert Assoziationsmaterial, aber keine explizite Deutung. Was wir sicher sagen können, ist, dass hier vor allem gesanglich ein bemerkenswerter Abend gelungen ist. Die beiden Hauptpartien sind mit Nadja Stefanoff, dem Bremer Publikum unter anderem als Tosca noch bestens in Erinnerung, als Manon und dem portugiesischen Tenor Paulo Ferreira als Des Grieux exzellent besetzt – auch darstellerisch. Vor allem Stefanoff, die anfangs mit kühlem Stolz agiert, verkörpert die Entwicklung ihrer Figur mit sorgsam eingesetzten Mitteln, wie sie auch stimmlich die enormen emotionalen Höhen und Tiefen ihrer Figur auslotet. Ein Glanzstück ihrer Kunst ist das Finale, in dem sie ihre Stimme zwischen fragilen Leidenstönen und dramatischen Spitzen funkeln lässt.

Ein ebenbürtiger Partner ist Ferreira, der seinen sehr italienischen Tenor in allen Lagen sicher führt. Auch Manons Bruder ist mit Daniel Moon eindrucksvoll besetzt, ein bisschen präsenter hätte Ill-Hoon Choungs Geronte sein dürfen. Philipp Kapeller als Fluchthelfer Edmondo macht seine Sache ebenso gut wie die übrigen Ensemblemitglieder, auch ein kleines Ballettensemble, das de Ravoir zur festlichen Erbauung antanzen lässt, und der Chor des Staatstheaters bekamen am Ende verdienten Applaus.

Roger Epple führt das Oldenburgische Staatsorchester derweil souverän durch eine beinahe makellose Ausleuchtung der komplexen Gefühlswelten, verzichtet auf jeglichen Kitsch und haushaltet klug, um gegen Ende hin die emotionale Wucht umso wirkungsvoller aus der Partitur zu kitzeln.

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