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Wenn der Wald kopf steht
Von Roberto Becker
/ Fotos © Opera Vlaanderen / Annemie Augustijns
Beim Katalanen Calixto Bieito geht es zur Sache. Immer. Doch was sich in seinen Anfangsjahren als Opernregisseur mit einem Crescendo der auf der Bühne gezeigten Grausamkeiten verband, das ist längst einer packenden Personenregie gewichen, die sich genauso aus der Musik speist wie aus dem doppelten Boden, den die großen Opernstoffe ja immer auch haben. Im Falle seiner Wagner-Inszenierungen ist das bisher noch jedes Mal gut gegangen. Sowohl beim Fliegenden Holländer als auch beim Parsifal, die er beide in Stuttgart auf die Bühne brachte, hat er die Menschen in ihren verinnerlichten Abhängigkeiten von äußeren Mächten und in ihrer Rebellion dagegen ausgelotet. Das sind die Stoffe, die Bieito liegen.
Dazu gehört per se natürlich auch der Mann zwischen den zwei Frauen-(bildern) auf der einen Seite und dem klerikalen Bann gegen jede körperliche Lust, die sich als Selbstzweck gilt, auf der anderen. Dieses Hin- und Hergerissensein des Künstlers, vor allem aber des begehrenden Mannes, geht seinem Tannhäuser an die Nieren, lässt sein Herz verkrampfen (ganz wörtlich schüttelt ihn jedes Mal eine Herzattacke, wenn von den höheren Mächten die Rede ist), macht ihn zum Abtrünnigen von seinem angestammten Platz in der Männergesellschaft, zum Rebellen gegen deren Scheinheiligkeit. Neben dieser Konzentration auf die Personen bzw. der Personenregie bezieht diese Neuinszenierung der Flämischen Oper, die jetzt zuerst in Gent herauskam, aus dem opulenten und analytisch hintersinnigen Bühnenbild von Rebecca Ringst, das optisch eine These, eine Antithese und eine Synthese bietet, einen Teil seiner Wirkung. Folkloreanklänge an die Wartburg oder eine Liebesgrotte gibt es da natürlich nicht. Aber einen merkwürdig auf dem Kopf stehenden Wald. Die Bühne ist im ersten Akt mit lauter Gestrüpp bedeckt, das dann mit einem spektakulären Effekt, mit den belaubten Baumkronen nach unten in die Höhe gezogen wird. Ein dichtes Gestrüpp mit Eigendynamik als Metapher für ausbrechende Obsessionen. Eine traumatisierte Frau unter Männern - die Wartburggesellschaft Darin gefangen sind ein Mann und eine Frau. Diese Venus, nur im schwarzen Unterkleid, wird sichtbar von einem durchaus körperlichen Verlangen beherrscht. Bei Ausrinne Stundyte lodern die Leidenschaften vokal auf und krümmen ihren Körper vor Verlangen - ein Spiel am Limit von atemberaubender Expressivität! Doch auch Heinrich ist ein Getriebener, bei dem Verlangen an der Grenze zur physischen Gewalt explodiert. Ihn zur dieser Frau treibt und zugleich von ihr weg. Dass ihm der Hirtenknabe in Gestalt eines pubertären Mädchens über den Weg läuft, sich ihm quasi aufdrängt, gehört schon zu jener bei Bieito oft mitschwingenden Frage, nach der Grenze zwischen selbstbestimmtem Verlangen und Verführung oder Missbrauch. Wenn seine alten Kumpels von der Wartburg auftauchen, ahnt man schnell, wo bei denen der Hund begraben liegt. Die forsche Körperlichkeit der Machos untereinander (besonders der auch sonst höchst markante und überzeugende Daniel Schmutzhard liefert als Wolfram eine beeindruckend Studie dieser Art von Körpersprache), die bei der Begrüßung des wiedergefundenen Heinrichs ausbricht, hat ihre Kehrseite.
In der sterilen oberflächenglatten Wartburgwelt regiert die Scheinheiligkeit. Die Gäste tauchen aus dem Hintergrund wie eine gespenstisch gleichgeschaltete Masse auf, die keinen individuellen Mucks von sich gibt, verliert dann aber die Fassung, wenn Tannhäuser mit seinen Beiträgen sozusagen die geheimsten eigenen Wünsche wie den Geist aus der Flasche entweichen lässt und die dann geradezu nach dem Blut lechzt, dass bei der Klopperei, die unter den Sängern ausbricht, fließen könnte. Die teure Halle wird hier nur durch weiße Säulen angedeutet. Dass das nur eine ziemlich verlogene Moral-Fassade ist, sieht man an der Art, wie sie sich benehmen. Die Rituale werden halbherzig vollzogen - wenn sich die vom Landgrafen mit kurzem Kopfnicken nominierten Sänger wie die Priester bei der Weihe bäuchlings auf den Boden legen (was einzig von Heinrich boykottiert wird). An dem Verhalten des Landgrafen, der bei Ante Jerkunica ein nur jovial wirkender Obermacho ist, und von Elisabeth jedoch merkt man schnell, dass hier etwas faul ist. Auch an der Art, wie sich Sänger ihr gegenüber benehmen, nach dem es zum Eklat gekommen ist, wird klar, wie verkommen und verroht diese Gesellschaft ist. Da hält man es nicht mehr für harmlos, wenn der Landgraf seinen Junior erst auf den Schoss nimmt und ihn dann bei der rituellen Bestrafung Heinrichs durch Auspeitschen mitmachen lässt. Und Elisabeth, die schon bei der geringsten Berührung durch den Landgrafen oder durch Wolfram zusammenzuckt, hat hier offenbar auch schon mehr erlebt, als eine Frau auszuhalten vermag. Auch Wolfram rührt keinen Finger, um sie vor den Übergriffen zu schützen. Am Ende sind alle frustriert Im dritten Aufzug ragen die Baumkronen des ersten in das jetzt auseinanderdriftende Säulenlabyrinth des zweiten. Und der Boden ist voller schwarzer Asche. Zum Finale steht Venus erschüttert, aber doch wenigstens aufrecht inmitten der Wartburg-Gesellschaft, die jetzt am Boden kriecht. Elisabeth ist zwar nicht physisch tot, aber sie hat sich aufgegeben und versucht nicht mal mehr, Wolfram dazu zu bringen, sie zu erdrosseln. Der schließlich versteht die Welt nun überhaupt nicht mehr, kniet heulend vor Venus, die ihn nicht mal zur Kenntnis nimmt. (Eigentlich hat Bieito, wie vor ihm gerade auch Biganzoli in Bielefeld, die Wolfram-Figur am tiefsten ausgearbeitet - Heinrichs Konkurrent hält offenbar deutlich mehr bereit als die schönen ergreifenden Arien.) Auch Heinrich selbst bleibt am Leben und drischt verzweifelt auf eine der Säulen ein. Bei Bieito ist nicht der Papst das Problem, dem auf der Wartburg der Spiegel vorgehalten wird. Es ist diese verlogene Machogesellschaft selbst. In Gent passten die expressive, aufregend packende Szene und das, was Dmitri Jurowski aus dem Graben dazu lieferte, anheizte, auf den Punkt brachte, explodieren ließ, exzellent zusammen. So wie Andreas Schager als imponierend kraftvoller Tannhäuser und Liene Kinca als sich lodernd verströmende Elisabeth. Eigentlich müsste man diese Inszenierung mindestens zweimal sehen, denn Burkhard Fritz und Annette Dasch begeisterten in diesen Rollen in der ersten Vorstellung mindestens genauso.
Calixto Bieito ist mit seinem Tannhäuser erneut ein hochemotionaler, expressiver Wagner-Wurf gelungen. Dieser Regisseur hat sich längst von seinem Berserkerimage emanzipiert und gehört zu den interessantesten Erben eines realistischen Musiktheaters, das längst nicht am Ende seiner Möglichkeiten ist. Wenn man bei den Bayreuther Festspielen die Kandidaten für den nächsten Nibelungen-Ring Revue passieren lässt, sollte Bieito auf jeden Fall mit auf der Liste stehen. Dass die Oper in Gent für die Voraussetzungen eines auch musikalisch überzeugenden Tannhäuser zu sorgen vermag, versteht sich bei diesem vitalen Haus von selbst. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Hermann, Landgraf von Thüringen
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth, Nicht des Landgrafen
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
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