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Musiktheater
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Klein Zaches, genannt Zinnober

Steampunk-Oper von Coppelius und Sebastian Schwab
nach der fantastischen Erzählung Klein Zaches, genannt Zinnober von E. T. A. Hoffmann, Idee von Michael Schulz
Songtexte von Comte Caspar, Max Coppella und Graf Lindorf
Musik und Arrangements von Comte Caspar, Max Coppella und Thomas Rimes


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Uraufführung im Großen Haus im MiR am 14. November 2015

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Musiktheater im Revier
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Im Getriebe der Maschinen

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Dass das Publikum in Verkleidung ins Theater kommt, kennt man eigentlich nur aus der Rocky Horror Show und dem Karneval. Nun kann Gelsenkirchen zumindest im November noch nicht als Hochburg des Karnevals bezeichnet werden, und auch die Rocky Horror Show steht in dieser Spielzeit erst ab Februar 2016 auf dem Spielplan. Dennoch tummelten sich an diesem Premierenabend im Publikum zahlreiche in viktorianischem Stil kostümierte Menschen, was zeigt, dass ein Teil der Zuschauer durchaus eine Ahnung hatte, was bei dieser Uraufführung zu erwarten war, während sich die sonst üblichen Premierenbesucher unter der "ersten Steampunk-Oper" sicherlich nicht allzu viel vorstellen konnten. Intendant Michael Schulz war vor über zwei Jahren auf die Berliner Band Coppelius aufmerksam geworden, die mit Klarinetten, Cello, Kontrabass und Schlagzeug auf ungewöhnliche Weise nach eigenen Angaben "den guten Ton der deutschen Romantik in die Konzertsäle zurückkehren" lassen. Dabei geben sie nicht nur vor, durch einen Stromschlag aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart versetzt worden zu sein, sondern kleiden sich auch dementsprechend. Ihre Künstlernamen entstammen alle den Werken E. T. A. Hoffmanns, so dass es nicht verwundert, dass ihre erste Steampunk-Oper mit Klein Zaches, genannt Zinnober eine Geschichte auswählt, die Hoffmann drei Jahre vor seinem Tod in einer außergewöhnlichen Erzählung niedergeschrieben hat.

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E. T. A. Hoffmann (Rüdiger Frank) bringt die Maschinen zum Laufen.

Dabei dürfte den meisten zwar der verwachsene Zwerg Klein Zaches aus Offenbachs Oper Les Contes d' Hoffmann bekannt sein, da dieser Figur direkt zu Beginn der Oper eine der bekanntesten Arien aus dem Werk gewidmet ist. Die Geschichte des Zwergs erzählt Hoffmann in Offenbachs Oper allerdings nicht. Klein Zaches ist der missgestaltete Sohn des armen Bauernweibs Liese und kann weder sprechen noch laufen, so dass er für seine Mutter eine ständige Last darstellt. Da hat eine Fee Mitleid mit ihm und belegt ihn mit einem Zauber, der ihn fortan allen Menschen schön, liebenswert und begabt erscheinen lässt. So gelangt er später in der nahe gelegenen Stadt Kerepes zum Professor Mosch Terpin, der ebenso wie seine wunderschöne Tochter Candida begeistert von ihm ist. Nur der junge Student Balthasar, der ebenfalls in Candida verliebt ist, erkennt, dass hier irgendein Zauber im Spiel ist. Als Klein Zaches Balthasar ein Gedicht stiehlt und es Candida als sein eigenes vorträgt, beschließt Balthasar, dem Treiben des hinterlistigen Zwerges ein Ende zu setzen. Gemeinsam mit seinem Freund Fabian sucht er den Zauberer Prosper Alpanus auf. Gemeinsam entdecken sie, dass der Zauber in einem Kamm liegt, mit dem die Fee Zinnobers Haare kämmt. In einer wilden Verfolgungsjagd versucht Alpanus, der Fee den Kamm zu entwenden, wobei der Kamm zerbricht. Damit ist der Zauber gebrochen, und Balthasar kann die bevorstehende Hochzeit zwischen Klein Zaches und Candida in letzter Sekunde verhindern.

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Der schwärmerische Balthasar (Bastille) ist verliebt (im Hintergrund von links: Fabian (Comte Caspar), Max Coppella und Mosch Terpin (Sissy Voss)).

Sebastian Schwab, der gemeinsam mit der Band Coppelius die Geschichte für die Bühne dramatisiert hat, lässt als Rahmenhandlung E. T. A. Hoffmann persönlich auftreten. Zu kosmischen Klängen der Neuen Philharmonie Westfalen, die an diesem Abend hinter der Bühne positioniert ist, wird Rüdiger Frank als Hoffmann in einem kleinen Karren aus dem Schnürboden herabgelassen, während er versucht, in der Luft schwebende riesige Zahnräder zum Laufen zu bringen. Doch dieser Versuch ist zunächst nicht von Erfolg gekrönt. So muss sich Frank im wahrsten Sinne des Wortes erst das Herz aus der Brust schneiden und die Maschinen damit füttern, bevor die ganze Apparatur in Bewegung gerät. Aus dieser Maschine gehen dann auch die Bandmitglieder hervor, die von einem Teil der Zuschauer mit frenetischem Jubel begrüßt werden. Nun schlüpft Frank / Hoffmann selbst in die Rolle des Klein Zaches, und die eigentliche Erzählung beginnt. Wieso Graf Lindorf bei den Zuschauern einen Hype auslöst, wenn er sein Cello verlässt, um in die Rolle der Liese zu schlüpfen, lässt sich wohl nur nachvollziehen, wenn man ein Anhänger der Band ist. Gleiches gilt für den Schlagzeuger Nobusama, der als Gehilfe von Prosper Alpanus nur die Bühne betreten muss, um die Anhänger jubeln zu lassen.

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Candida (Ulrike Schwab) mit Max Coppella (links), Nobusama (hinten) und Comte Caspar (rechts)

Musikalisch bietet der Abend einen Mix zwischen romantischer klassischer Musik, die durch moderne Technik verstärkt und variiert wird, und modernen Klängen, die zwar teilweise sehr laut, dabei aber dennoch wesentlich harmonischer klingen als manch andere zeitgenössische Opern. Die Bandmitglieder treten dabei einerseits als Musiker auf und schlüpfen andererseits in die diversen Figuren der Geschichte, während die Neue Philharmonie Westfalen aus dem Hintergrund neben den klassischen Elementen auch einen elektronischen Sound beisteuert. Dass sich das Ensemble dabei selbst nicht immer ganz ernst nimmt, wird an einer Szene deutlich, wenn Balthasar auf dem Weg zum Zauberer Prosper Alpanus seinen Freund Fabian fragt, woher die merkwürdige Musik denn komme, und dieser ganz lapidar antwortet: "Vom Orchester da hinten." Die Band Coppelius scheint an diesem Abend genau die Erwartungen der zahlreichen Fans zu bedienen, was sich in lautstarkem Zwischenapplaus und stehenden Ovationen am Ende des Abends äußert. In wahnsinnigem Tempo wechseln die Bandmitglieder zwischen Musiker und Figur im Stück und spielen bisweilen auch im Kostüm ihr jeweiliges Instrument. Bastille begeistert als empfindsamer und melancholischer Balthasar, der um die geliebte Candida kämpft, kann aber auch auf der Bühne mit wallender Mähne richtig abrocken. Comte Caspar gibt seinen Studienkollegen Fabian mit trockenem Humor, der deutlich macht, dass er weitaus bodenständiger als sein schwärmerischer Freund ist. Graf Lindorf begeistert als Prosper Alpanus vor allem bei der Verfolgungsjagd durch großartige Slapstick-Einlagen. Auch Max Coppella verfügt als Pfarrer und Sbiocca über großes komisches Talent.

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Klein Zaches / E. T. A. Hoffmann (Rüdiger Frank) am Ende der Geschichte (im Hintergrund von links: Prosper Alpanus (Graf Lindorf), Pfarrer (Max Coppella), Candida (Ulrike Schwab), Gehilfe von Prosper Alpanus (Nobusama), Balthasar (Bastille), Fabian (Comte Caspar) und Mosch Terpin (Sissy Voss))

Für Rüdiger Frank bietet die Partie des Klein Zaches eine absolute Paraderolle. Mit der ihm ganz eigenen Bühnenpräsenz beherrscht er das Geschehen und macht aus dem Zwerg einen absoluten Fiesling, der die Gesellschaft genauso beherrscht wie Hoffmann die ganze Bühnenmaschinerie. Mit wallender Rokoko-Perücke beschimpft er das Publikum aufs Äußerste, bevor er im Anschluss mit "We will rock you" den Saal zum Toben bringt. Ulrike Schwab überzeugt mit leichtem, frischem Sopran und zeigt in der Darstellung der beiden Figuren große Wandlungsfähigkeit. Während sie die begehrte Candida als leicht naives und dümmliches Mädchen anlegt, wirkt sie als gute Fee wesentlich berechnender und lässt sich den Zauberkamm von Prosper Alpanus nicht abschwatzen. Bei der Verfolgungsjagd beweist sie großes komödiantisches Talent. Witzig ist auch, dass sie zu Beginn die Arie der Gräfin Almaviva aus Mozarts Le nozze di Figaro, "Porgi amor", singt, wenn sie auf Klein Zaches als missgestaltetes, hilfloses Bündel stößt, und beschließt, seinem Leben durch den Zauber eine Wendung zu geben. Ganz großes Lob verdient auch Britta Tönne für das überwältigende Bühnenbild, das mit zahlreichen Maschinenteilen Hoffmanns Begeisterung für Apparate jeglicher Art widerspiegelt.

FAZIT

Nach dem Schalke-Oratorium zu Beginn der Spielzeit versucht das Musiktheater im Revier nun, mit einer Steampunk-Oper neues Publikum ins Haus zu locken. Für die Premiere ist dieses Konzept aufgegangen. Es bleibt zu hoffen, dass es noch zahlreiche weitere Coppelius-Anhänger gibt, die in die Folgevorstellungen strömen und für eine vergleichbare Stimmung im Publikum sorgen. Der Anhänger des "klassischen" Opern- und Operetten-Repertoires kann hier ebenfalls auf seine Kosten kommen, wenn er sich ein bisschen aufgeschlossen zeigt, zumal hier mit Sebastian Schwab jemand inszeniert, der das Stück selbst mitentwickelt hat, und somit keine moderne Regietheater-Umdeutung vorliegt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Rimes

Stückfassung und Inszenierung
Sebastian Schwab

Bühne und Kostüme
Britta Tönne

Licht
Sebastian Schwab
Jürgen Rudolph

Sounddesign
Jörg Debbert

Dramaturgie
Juliane Schunke

 

Neue Philharmonie Westfalen

 

Solisten

E. T. A. Hoffmann /
Klein Zaches
Rüdiger Frank

Frl. Rosenschön /
Fee Rosabelverde / Candida
Ulrike Schwab

Die Band "Coppelius":

Balthasar
Bastille

Fabian
Comte Caspar

Liese / Prosper Alpanus
Graf Lindorf

Pfarrer, Sbiocca
Max Coppella

Mosch Terpin
Sissy Voss

Gehilfe von Prosper Alpanus
Nobusama


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