Don Giovanni – weil's Wurst ist

Don Giovanni in der Volksoper
Don Giovanni in der Volksoper(c) Volksoper
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Bei Achim Freyers Deutung ist nur einer normal: der Wüstling selbst. Der originelle Ansatz scheitert jedoch an seiner Umsetzung. Erzählt wird Mozarts Oper hauptsächlich im Orchestergraben.

Am Ende ist Don Giovanni Wurst. Das ist wörtlich zu nehmen. Gemütlich sitzen die anderen Protagonisten, nachdem sie den Wü(r)stling seiner Eingeweide entledigt haben und die brauchbaren Stücke offenbar verarbeitet wurden, an der Tafel des Ristorante Don Giovanni und tun sich an den gleichnamigen Würsteln gütlich. Praktischerweise ist das Leading-Team um Regisseur Achim Freyer auch schon da, was immerhin eine originelle Applaus-Choreografie ergibt.

So eine Wurst ist ja eine amorphe Masse, bei der man die ursprünglichen Bestandteile nicht mehr erkennt. Welch treffendes Bild für die Inszenierung Freyers. Von den (in einer Mischung aus 80 Prozent Commedia dell'arte und 20 Prozent „Alice im Wunderland“) wüst zugeschminkten Darstellern erkennt man übrigens auch nichts, was jegliche Mimik sinnlos macht und damit die Aufführung eines wesentlichen Mittels beraubt, psychologische Prozesse zu transportieren.

Transportiert wird dafür allerhand auf der Bühne, in Permanenz. Schon zu Beginn ist die handelsüblich leicht abgeschrägte Spielfläche mit viel putzigem Krempl vollgestellt. Aber nicht lange, denn schon kommen emsige Helferlein und räumen alles wieder ab. Abgesehen vom Einblick in den Alltag eines Bühnenarbeiters bleibt der Erkenntnisgewinn durch diese und ähnliche Aktionen eher überschaubar. Man tut viel, und das dauernd, aber das tut meist nichts zur Sache.

Sehr viel zur Sache tut dafür das, was aus dem Orchestergraben tönt. Wenn an diesem Abend „Don Giovanni“ erzählt wird, dann über die Musik. Dirigent Jac van Steen hätte gelegentlich flottere, bissigere Tempi wählen können, doch gelingt ihm und dem so geschmackvoll phrasierenden wie gewitzt artikulierenden Volksopern-Orchester eine homogene und hoch transparente Darstellung. Um einen musik-kulinarischen Leckerbissen herauszugreifen: Köstlich, wie das Cello Zerlina bei ihrer „Batti, batti“-Arie umspielt.

Auch Freyer deutet Giovanni als Außenseiter, aber anders, als man das gewöhnt ist. Bei ihm ist nämlich der Don irgendwie der Gute, die Lichtgestalt, der einzig normale, und die anderen, die ihn nicht verstehen können (obwohl in deutsch-italienischer Sprachverwirrung willkürlich zweisprachig gesungen wird) und ihn aus diesem Unverständnis heraus letztlich beseitigen, irgendwie die Bösen. Konsequenterweise ist Giovanni auch die einzige Figur, die Freyer nicht der Lächerlichkeit preisgibt, auch wenn er ihn in ebenso grauenvolle Kostüme steckt und sein Gesicht zukleistert wie er es beim Rest des Ensembles praktiziert. Von Elvira bis Ottavio, von Masetto bis Zerlina, sie werden wenig subtil als Charaktere entwürdigt und müssen allerhand groteske Bewegungen vollführen. Am besten ergeht es noch Donna Anna.

Bass von großer Geschmeidigkeit

Don Giovanni ist übrigens tatsächlich die positivste Gestalt des Abends – gesanglich. Bassbariton Josef Wagner hat eine gut auf die Rolle passende Stimme von großer Geschmeidigkeit bei gleichzeitiger dynamischer Autorität. Er ist auch der Einzige, bei dem es völlig egal ist, ob er Deutsch oder Italienisch singt, jeder Ton ein Giovanni. Bass-Kollege Mischa Schelomianski konnte da nicht mithalten, sein Ton blieb eindimensional und wenig wandlungsfähig. Jörg Schneider in der ewig undankbaren Rolle des Ottavio steigerte sich im Verlauf des Abends. Ausgerechnet die gefürchtete „Il mio tesoro“-Arie gelang ihm am besten. Bei den Damen überzeugte vor allem Kristiane Kaiser. Sie gab ihrer Donna Anna nicht nur die Stimmkraft, die diese Partie fordert, sondern verlieh auch den zarteren Passagen die nötige Wärme. Esther Lee, für die erkrankte Caroline Melzer eingesprungen, ist hingegen nicht unbedingt die ideale Elvira, oft zu scharf im Ton und auch stimmlich übertreibend. Anita Götz ist dafür eine achtbare Zerlina, Ben Connor ein stimmlich zu verhaltener Masetto, Andreas Mitschke ein wenig furchteinflößender Komtur.

Seine Inszenierung solle bewirken, dass der Zuseher mit den Augen hören lerne, sagte Freyer. Dem Volksopernorchester ist es zu danken, dass die umgekehrte Devise zu empfehlen ist: Bei diesem „Giovanni“ sollte man mit den Ohren sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2015)

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