Achim Freyer ist der Schöpfer und Alleinherrscher eines artenreichen Paralleluniversums. Seltsame Gestalten tummeln sich hier. Sie können sich in ihren unförmigen Kleidungsstücken, die der blühenden Phantasie des Meisters ebenso entspringen wie die Bühnenbilder, nur schwer und vor allem langsam bewegen. Jetzt nimmt die befremdliche Welt des mittlerweile 81-Jährigen in der Wiener Volksoper Wohnung. Auf dem Programm steht Mozarts "Don Giovanni".

Der Vorhang steht offen, allerlei Gerät aus Pappe liegt herum. Es wird später noch gebraucht. Vorerst räumt das Bühnenpersonal auf, die Sänger suchen ihre Posen und Positionen. Posen sind wichtig an diesem Abend. Jede Figur hat ihr eingeübtes Gestenrepertoire, das sie abspult, abgekoppelt vom Text. Warum Freyer teils Deutsch, teils Italienisch singen lässt, bleibt sein Geheimnis.

Freyer will Typen zeigen, nicht die Musik illustrieren, sagt er. Da Ponte und Mozart aber haben quicklebendige Menschen geschaffen. Sie auf ihre gesellschaftlichen Rollen zu reduzieren, raubt ihnen ihre Kraft. Der Erkenntnisgewinn hält sich in Grenzen. Da helfen die phantasievollen, grob skizzierten Kartonbühnenbilder so wenig wie die Komparsen, die als Fischer oder Totengräber durch die Szene geistern. Freyers Kommentar zur Oper fehlt der Lebenssaft.

Langeweile

Packendes kommt auch aus dem Graben nicht. Jac van Steen, der Generalmusikdirektor in Dortmund, verbreitet im ersten Teil Langeweile. Erst nach der Pause findet er zu einer etwas muntereren Lesart des Stücks.

Die Protagonisten plagen sich mit der zwiefachen Behinderung. Josef Wagner, ein prachtvoller, jugendlicher Don Giovanni, leidet sichtlich unter der Bewegungseinschränkung, die Freyer ihm aufzwingt. Da sein musikalisches Temperament vom Dirigenten keinerlei Unterstützung erfährt, trägt er den Abend mehr oder weniger im Alleingang, ehe ihn die kannibalische Meute verzehrt.

Kultivierte Unterstützung gewährt der gagenabhängig treue Leporello Mischa Schelomianski. Musikalische und optische Freuden bereitet Anita Götz als verführbare Bauernbraut Zerlina, der zur Belustigung des Publikums mobile Brüste vom Kostüm baumeln. Ihr gehört der zarteste Moment des Abends, wenn Giovanni sie, an Seilen hängend, auf einer Hand zu tragen scheint, während im Hintergrund bunte Blasen aufsteigen. Liebestaumel. Greift der tölpelhafte Masetto hin, fällt das Mädchen zu Boden. Jörg Schneider als der in Konvention erstarrte Don Ottavio findet erst spät zu seiner Form.

Die Volksoper hat mit ihrem "Don Giovanni" viel mehr gewagt als die Staatsoper. Ein Sieg blieb ihr versagt.

THOMAS GÖTZ