Hier fliegt der Papst

Es sollte die Wiedereröffnung des sanierten Opernhauses und ein Einstand nach Mass für Kölns neuen Musikdirektor werden. Doch jetzt braucht man Notfallpläne, um überhaupt den Spielbetrieb der Kölner Oper aufrechtzuerhalten.

Holger Noltze
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Damien Hirst war schneller: Papst Clemens VII. (Nikolay Didenko) übt sich in Köln beim Warten auf ein Kunstwerk von Benvenuto Cellini in Levitation. (Bild: Paul Leclaire)

Damien Hirst war schneller: Papst Clemens VII. (Nikolay Didenko) übt sich in Köln beim Warten auf ein Kunstwerk von Benvenuto Cellini in Levitation. (Bild: Paul Leclaire)

Berlioz' Oper «Benvenuto Cellini» handelt unter anderem davon, dass ein Werk nicht fertig wird: der Guss einer Grossplastik des Perseus nämlich, die dann mittels eines genialen und skrupellosen Aktes aber eben doch noch rechtzeitig vollendet wird. Im Köln dieser Tage ist das eine Vision, ein nachgerade betörendes Versprechen, ja, eine Sehnsuchtsfigur. Denn die Grundsanierung des Opernhauses am Offenbachplatz, ein bedeutendes Werk des Architekten Wilhelm Riphahn aus den 1950er Jahren, wurde nicht rechtzeitig fertig zur Eröffnung der neuen Saison; sie wurde nicht fertig zum Einstand des neuen Kölner Generalmusikdirektors François-Xavier Roth. Und sie wird und wird es auf absehbare Zeit auch weiterhin nicht.

Notlösung im Ausweichquartier

Nach dem Rauswurf des technischen Planungsbüros spricht niemand mehr von einer milden Verschiebung um ein Jahr – der Eröffnungskalender steht inzwischen auf 2018, vorsichtig geschätzt. Und im allgemeinen Gezänk und juristisch-politischen Hickhack ist weit und breit kein Cellini in Sicht. Der wirft in der Oper, als alles schon verloren scheint und der Papst als Auftraggeber höchstselbst erscheint, um seinen Perseus abzuholen, während die Arbeiter streiken und ihm das Material ausgeht, kurzerhand alles in den Schmelzofen, was er bis dahin geschaffen hatte.

Dies ist Berlioz' erzromantische Interpretation, denn sein «Benvenuto Cellini» ist nicht nur eine Komödie, in der ein Raufbold und Mann der genialen Tat wieder und wieder den minderbegabten Kollegen Fieramosca in der Gunst um die schöne Teresa aussticht – es ist auch ein Künstlerdrama, die Feier eines erotischen und schöpferischen Siegertypen, der den Papst nicht fürchtet und die Gewerkschaft schon gar nicht.

Für François-Xavier Roth, den neuen Orchesterchef, war das Operndebüt mit Berlioz und gerade mit diesem Werk eine Herzensangelegenheit. Am Ende bedurfte es wegen der Machenschaften auf der Opernhaus-Baustelle eines Notfallplans, um die Premiere überhaupt zu retten. Anstelle des Riphahn-Baus musste das «Staatenhaus», ein Messebau von 1928 auf der rechten Rheinseite, eilig für die komplexen Anforderungen eines Opernbetriebs hergerichtet werden. Das Kölner Gürzenich-Orchester, das sich, befeuert vom Berlioz-Enthusiasten Roth, in die farbige, raffinierte, vor allem rhythmisch intrikate Partitur warf, fand darin leider nur in der Tiefe der Halle einen Ort zum Musizieren. Welche Wunder an Genauigkeit dort vermutlich vollbracht wurden, war aus der Ferne mehr zu ahnen, als wirklich zu erleben. Für die schnelle, flexible Kommunikation mit den Sängern und dem von Andrew Ollivant bestens vorbereiteten Chor ist diese räumliche Konstellation im Ausweichquartier ein massives Hindernis.

Einmal ist der Dirigent gross zu sehen, als Projektion auf einen Zwischenvorhang, beseligt im Einsatz für die Sache, die hier nicht allein dem Opernkomponisten Berlioz und seinem frühen Schmerzenskind galt, sondern obendrein auch noch der originalen Frühfassung des Stücks. Roth träumte, was er «Berlioz' Traum» nannte: einmal die vollständige «Cellini»-Musik zu spielen, die bei der Pariser Uraufführung 1838 durchfiel. Sie hat es freilich auch 2015 schwer, denn für sie sprechen weniger dramaturgische, sondern wenn überhaupt vor allem musikalische Gründe. Die aber blieben, den Umständen geschuldet, akustisch nebulös.

So war der Kölner «Cellini» die Stunde der Bühnen- und Körperartistik des katalanischen Regieteams La Fura dels Baus um den Regisseur Carlus Padrissa. Sie liessen sich nicht lumpen, immerhin spielt das Geschehen im römischen Karneval. Fliegende Menschen, darunter ein Papst aus Gold (hinreichend prächtig der Bass von Nikolay Didenko als Clemens VII.), Projektionen, eine famose Weinrutsche, fein verrückte Kostüme (Chu Uroz): Es ist immer etwas los. Manchmal gar zu viel, wenn etwa Ferdinand von Bothmers Cellini sublime Tenorhöhenkunst riskiert, während von der Seite eine Art Rosenmontagswagen hereinrumpelt. Bothmer schlägt sich wacker, aber wer in aller Welt soll das so singen, wie es gedacht war: nicht bloss hoch, sondern leuchtend? Hier ist der Weg schon das Ziel.

Emily Hindrichs sang die Teresa stilsicher und mit Akkuratesse, doch ohne den speziellen Schimmer, der diese Partie zum Ereignis machen könnte. Nikolay Borchev gab den Fieramosca mit feinem Klangsinn, etwas im Widerspruch zu dem Tolpatsch, den er zu verkörpern hatte – das ist fürwahr kein Gegner für Cellini! Katrin Wundsam schliesslich verlieh dem Ascanio Farbe und Präsenz.

Girlanden aus dem Hirnkasten

Szenisch geschieht also allerhand, es gibt reichlich Augenfutter, und die für La Fura dels Baus typische Mischung aus Trivialität, Technik und Mysterium lässt diesmal Raum für eine differenzierte Sicht auf Cellini, um den sich alles dreht – in dessen Hirnkasten sich womöglich sogar diese ganze phantastische Räuberpistole abspielt. In Köln ist er vor allem der Autor seiner Autobiografie, aus der sich wunderbare Sätze in Projektionsgirlanden durchs Bild schlängeln. Damit gewinnt Cellini als Künstlerfigur eine Dimension, die etwa Philipp Stölzls Salzburger Produktion von 2007 fehlte, die in erster Linie einen Pop-Star und Hallodri zeigte.

Auch im nahen Bonn steht «Benvenuto Cellini» derzeit auf dem Programm des Opernhauses – ob die kuriose, wohl fehlenden Absprachen geschuldete Parallelaktion das Stück im Repertoire verankern wird, ist indes nicht abzusehen. In Köln war das Publikum verhalten begeistert. Es mochte sich indes auch fragen: Darf man das, nach den Schrecken von Paris, zeigen, so einen Opernkarneval mit Knallbumm-Happy-End? Der Premierenabend hatte mit einer Schweigeminute und mit der Marseillaise begonnen. Darf man jetzt noch «Cellini» spielen? Die Frage stand im Raum, und sie wurde beantwortet: Man muss.