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Kreuzzug im Sportstadion
Von Thomas Molke
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Fotos von Annemie Augustijns (Vlaamse Opera)
Dass Gioachino Rossinis 1817 in Neapel uraufgeführtes Dramma per musica
Armida heutzutage eher selten auf den Spielplänen steht, dürfte weniger der
Qualität des Werkes als vielmehr der Schwierigkeit der Besetzung geschuldet
sein. Neben der extrem anspruchsvollen Titelpartie, die Rossini für die berühmte
Sängerin Isabella Colbran komponiert hatte, benötigt man außerdem sechs
hochkarätige Tenöre. So war es zwar niemand Geringeres als Maria Callas, die im
20. Jahrhundert einen Versuch unternahm, das Werk wieder auf den Spielplänen zu
etablieren, aber auch bei dieser Aufnahme hatte man Schwierigkeiten mit den
Tenören, so dass es noch weitere Jahrzehnte dauern sollte, bis die Oper erneut
auf dem Spielplan stand. Eine bedeutende Inszenierung fand dann 1993 beim
Rossini Opera Festival in Pesaro statt, bei dem Renée Fleming ein umjubeltes
Debüt in der Titelpartie gab. Auch bei der Produktion an der Met schlüpfte sie
17 Jahre später erneut in die Rolle der Zauberin. Dabei gab es insgesamt fünf
Tenöre. Die Produktion beim Rossini Opera Festival 2014 reduzierte die
Anzahl der Tenöre dann auf vier, da zwei Figuren nach dem ersten Akt nicht mehr
auftreten und zwei weitere Tenorpartien erst im dritten Akt erscheinen. Nach dem
gleichen Prinzip verfährt man nun auch an der Vlaamse Opera, wobei man mit
Carmen Romeu die gleiche Sängerin verpflichten konnte, die die Partie bereits im
letzten Jahr in Pesaro interpretiert hat. Rossini-Experte Alberto Zedda ist fünf Jahre
nach Semiramide erneut als musikalischer Leiter an die Vlaamse Opera
zurückgekehrt.
Kreuzritter im Sportstadion (vorne rechts:
Goffredo (Dario Schmunck), hinten rechts: Eustazio (Adam Smith), Mitte: Gernando
(Robert McPherson), dahinter: Herrenchor)
Die Handlung basiert auf Torquato Tassos berühmtem Versepos Gerusalemme
liberata, das als beliebte Quelle für Opernkomponisten vor und nach Rossini
fungierte. Die Kreuzritter befinden sich unter der Leitung
von Goffredo (Gottfried von Bouillon) auf einem Kreuzzug vor den Toren Jerusalems. Die Zauberin
Armida will die Kreuzritter gemeinsam mit Idraote von ihrer Mission abbringen.
Deswegen gibt sie sich als eine um ihren rechtmäßigen Thron betrogene Prinzessin aus, die die Kreuzritter um Hilfe bittet.
Rinaldo wird zum neuen Anführer gewählt, der Armida begleiten soll. Da sie ihn
einst aus einer gefährlichen Situation gerettet hat, lässt er sich von ihr
verführen. Als der Kreuzritter Gernando, der ihn einerseits um
seine neue Stellung beneidet und andererseits wegen Armida eifersüchtig ist,
ihn beim Liebesspiel überrascht, tötet Rinaldo den Rivalen und flieht mit
Armida. Diese verwirrt mit einer betörenden
Zauberinsel seinen Sinn. Doch dann tauchen die Kreuzritter Ubaldo und Carlo auf
und überzeugen Rinaldo, erneut seiner Mission zu folgen. Rinaldo verlässt
Armida, die ihn verflucht und anschließend das ganze Zauberreich zum Einsturz
bringt.
Armida (Carmen Romeu) verführt Rinaldo (Enea
Scala).
Das Regie-Team um Mariame Clément legt in der Inszenierung den Schwerpunkt auf
eine von Männern dominierte Gesellschaft und verortet die Handlung daher in
einem Sportstadion. So halten die Kreuzritter im ersten Akt blutüberströmt in
historisierenden Kostümen von Julia Hansen auf den Bahnen eines Sportstadions
Einzug, das im Hintergrund durch einen riesigen Bühnenprospekt angedeutet wird.
Goffredo tritt hier genauso wie sein Gehilfe Eustazio als Sportmanager in
einem modernen Anzug auf, der von einem Rednerpult aus zu seinen Kreuzrittern
spricht. Rinaldo wird als Anführer des nächsten Feldzuges mit einem Pokal auf
einem Siegertreppchen gekürt. Eine Frau gibt
es bis zum Auftritt Armidas nur in Form einer Gummipuppe, mit der sich die
Kreuzritter verlustieren. Im zweiten Akt trägt diese Gummipuppe dann auch
Armidas
pinkfarbenes Abendkleid, in dem im ersten Akt als Vamp Rinaldo und den anderen
Kreuzrittern den Kopf verdreht. Als neuer Anführer tauscht Rinaldo dann seine Rüstung gegen ein Fußballtrikot, das natürlich die
Rückennummer 10 trägt (soll das eine Anspielung auf herausragende Spieler wie Pelé, Zidane, Matthäus oder Podolski sein?). Wenn er sich anschließend mit
Gernando duelliert, bringt er diesen nicht mit seinem Schwert zur Strecke,
sondern "köpft" ihn einfach um. Der Prospekt weicht dann einer grauen Wand, hinter
der Armida und Rinaldo vor der Pause verschwinden.
Armida (Carmen Romeu, Mitte) und Rinaldo (Enea
Scala, Mitte) im Zauberreich der Liebe (umgeben vom Chor)
Im zweiten Akt ist der Boden nun mit grünem Rasen bedeckt. Die Assoziation zu
einem Fußballfeld liegt hier nahe, da die Kreuzritter nämlich nun alle im
schwarzen Fußballtrikot auftreten. Dem Sarg entsteigt Astarotte, ein Höllengeist
Armidas, als Rinaldos Alter Ego, der Gernando noch einmal im Duell zur Strecke
bringt. Die ganze Sequenz wirkt wie ein Traum, da Rinaldo zur gleichen Zeit mit
Armida auf einem Sofa schläft. Der Traum hat Rinaldo verunsichert, so dass
Armida das Sofa in den Schnürboden entschweben lässt und ihn mit den
engelsgleich gewandeten Damen des Chores in ein pittoresk kitschiges Arkadien
eintauchen lässt. Hier wird ein großer von Blumen umrankter Bilderrahmen aus dem
Schnürboden herabgelassen, in den sich Armida und Rinaldo in weißen Gewändern
positionieren, während sich zwei leicht bekleidete Jünglinge als Liebesgötter
vor dem Bild aufstellen. Um den Kitsch in dieser Szene auf die Spitze zu
treiben, regnen auch noch rote Blütenblätter von den Balkonen in den
Zuschauerraum herab. Da passt der malerische Prospekt im dritten Akt mit der
Waldlandschaft, der die grauen Wände bedeckt, wunderbar ins Bild. Armida hat nun
ein perfektes Zauberreich kreiert, in das nun Ubaldo und Carlo eindringen. Und
letztendlich ist es der Sport, der Rinaldo wieder auf den "rechten" Weg
zurückbringt. die beiden zeigen ihm eine Vision eines kleinen Jungen, der voller
Stolz den Pokal ergreift. Die Rolle der Frau ist dabei auf die Mutter reduziert,
die sich dezent im Hintergrund hält. Damit wird Rinaldo klar, dass er Armida
verlassen muss. Der Rasen weicht wieder den Laufbahnen des Stadions, bevor
Armida in ihrem Zorn den Waldprospekt hinabstürzen lässt. Ihre abschließende
Rachearie singt Armida dann vor einem feuerroten Vorhang, der
hinter der hochgezogenen grauen Rückwand sichtbar wird.
Ubaldo (Robert McPherson, rechts) und Carlo
(Dario Schmunck, links) dringen auf der Such nach Rinaldo in Armidas Zauberreich
ein (im Hintergrund: Damenchor).
Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Allen voran ist hierbei
der Altmeister Alberto Zedda zu nennen, der mit dem Orchester der Vlaamse Opera
einen spritzigen Rossini-Sound aus dem Graben hervorbringt, der die Solisten
leichtfüßig durch die anspruchsvollen Partien trägt. Carmen Romeu überzeugt in
der Titelpartie, auch wenn ihre Stimme in den schnellen Läufen noch ein bisschen
beweglicher sein könnte. Mit großer Dramatik gelingt ihr stimmlich und
darstellerisch das Finale. Enea Scala begeistert als Kreuzritter Rinaldo durch
tenoralen Glanz. So setzt er die Höhen sauber an und vermeidet in den
Spitzentönen ein zu starkes Forcieren. Mit Romeu findet er in den Duetten
zu einer bewegenden Innigkeit. Robert McPherson stattet die beiden
Kreuzritter Gernando und Ubaldo ebenfalls mit kräftigem und höhensicherem Tenor
aus und gerät nur am Ende seiner großen Arie im ersten Akt stimmlich an seine Grenzen. Ansonsten zeigt er sich der anspruchsvollen Partie absolut
gewachsen. Dagegen fällt Dario Schmunck als Goffredo und Carlo ein
bisschen ab. Zwar gelingen ihm ebenfalls sauber angesetzte Höhen, an manchen
Stellen kann er sich aber stimmlich nicht ganz gegen das Orchester durchsetzen.
Leonard Bernad überzeugt als Astarotte mit solidem Bass und eindrucksvollem
Spiel als Alter Ego Rinaldos, bleibt als Idraote allerdings ein wenig blass.
Auch wird nicht klar, wieso er im ersten Akt gemeinsam mit den Kreuzrittern
zurückbleibt, wenn Armida mit Rinaldo verschwindet. Adam Smith rundet in der
kleineren Partie des Eustazio gemeinsam mit dem stimmgewaltigen Chor unter der
Leitung von Jan Schweiger den Abend musikalisch überzeugend ab, so dass es am Ende begeisterten
Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Der Vlaamse Opera gelingt eine musikalisch überzeugende Umsetzung dieses
stimmlich anspruchsvollen Werkes. Szenisch hat der Abend seine guten Momente,
auch wenn der Bezug zum Sport nur bedingt aufgeht. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme Licht
Chor
Koor Opera Vlaanderen SolistenArmida Rinaldo
Gernando / Ubaldo Goffredo /
Carlo Idraote / Astarotte
Eustazio
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E-Mail: oper@omm.de