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Silben rattern, bis die Abrissbirne kommt

LA SCALA DI SETA
(Gioachino Rossini)

Besuch am
28. November 2015
(Premiere)

 

 

Theater Bielefeld

Selten hat eine Reaktion aus dem Publikum so gut gepasst. Als ein Mann heimlich durch den Belüftungsschacht in eine Bar einsteigt, hört man ein Kind entsetzt „Mamaaaa“ rufen. Lachen noch vor dem ersten Ton, die Bielefelder Philharmoniker setzen trotzdem gerade noch passend zur Ouvertüre von Rossinis La Scala di Seta – die seidene Leiter ein. Eine farsa comica, eine frühe opera buffa von Rossini, eher selten gespielt. Vielleicht deshalb, weil Rossini in eine pausenlose Oper von annähernd zwei Stunden ein konfuses Verwirrspiel gepackt hat, das in einem guten Sketch gerade mal zehn Minuten lustig gewesen wäre. Aber dafür ist es eben italienische Oper. Der vermeintlich ernste Einstieg täuscht: Der Einbrecher ist der heimliche Ehemann, genannt Dorvil, von Giulia, deren Vormund Dormont, nicht wissen darf, dass sie verheiratet ist. Denn der möchte sie mit Blansac verheiraten. Blansac mag sowohl Julia und ihre Cousine Lucilla. Germano mag die Giulia auch. Damit keiner mitbekommt, dass die Giulia schon verheiratet ist, schleicht sich ihr Ehemann nachts über die seidene Leiter in die Wohnung.

Am Theater Bielefeld ist es keine Wohnung, sondern eine Bar namens – Trommelwirbel – La Scala di Seta. Und es gibt keine seidene Leiter, sondern nur die Leuchtreklame, an der man außen hinaufklettern kann. Das kann man deshalb alles so gut sehen, weil Hanna Zimmermann ein tolles Einheitsambiente auf der Drehbühne zusammengestellt hat. Mal draußen, dann zwischen den Türen und meistens drinnen tobt eine Art Slapstick-Reigen, der von Nina Kühner inszeniert wurde. Die Regisseurin versucht erst gar nicht, in dieses krude Versteckspiel eine seriöse Linie zu bringen. Die Protagonisten verstecken sich quasi überall, am liebsten unter den Tischen, oder tarnen sich mit einem Bilderrahmen. Zusammen mit einem Stammgast, der das ganze kopfschüttelnd beobachtet, wird getrunken, was die Flaschen so hergeben. Man rennt gegen Glastüren, küsst die falsche Person – all das eben, was in den diversen Sitcoms auch funktioniert. Auch wenn der Opernabend ein bisschen zu sehr mit Albernheiten überladen ist, bleibt ihm die Kurzweil erhalten. Denn immer wieder macht die Regie deutlich, dass das Ganze mit Rossinis Musik immer irgendwie harmonisiert. Wenn Germano von Gott Amor und Fantasien singen muss, dann können das eigentlich nur die Worte eines Betrunkenen sein und folgerichtig schwankt der ganze Raum hin und her.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Kurzweilig ist der Abend auch, weil das ganze Ensemble so erfrischend und lustvoll aufspielt, dass man sich gar nicht langweilen kann, selbst wenn man es versucht. Angemerkt sei, dass die Sänger bei dieser Masse von Bewegungen und Pointen kaum noch in der Lage sind, sich auf die schwierige Kunst des Rossini-Belcanto zu konzentrieren. Doch das Parlando sitzt und so rattert das Ensemble die Silben herunter, bis die eh schon lädierte Bar unter die Abrissbirne kommt. Die optische Wirkung liegt aber knapp vor der akustischen. Bei Caio Montero müsste man eigentlich mit der Kamera draufhalten. Wie eine Hommage an Leslie Nielsen kommt sein Germano mit unglaublich komischer Mimik daher. So hat der Bariton leichtes Spiel, zum Publikumsliebling zu avancieren – trotz starker Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Cornelie Isenbürger liefert gekonnt die gewitzte und höhensichere Spielmacherin Giulia ab und geizt auch nicht mit optischen Reizen. Eingekleidet in einen hässlichen Traum aus Pink, setzt Nohad Becker ihren attraktiven Mezzosopran als Lucilla ein. Lianghua Gong macht das Versteckspiel als heimlicher Ehemann notgedrungen mit. Sein charmanter Tenor klingt aber deutlich selbstbewusster. Yoshiaki Kimura singt einen passend arroganten Blansac. Vladimir Lortkipanidze überzeugt in der der kleinen Rolle des Dormont.

Caio Montero und Cornelie Isenbürger - Foto © Paul Leclaire

Pawel Poplawski traut Orchester und Ensemble einiges zu und sucht förmlich den Wahnsinn in rasanten Tempi. Beachtlich, dass die Balance zwischen Graben und Bühne kaum ins Straucheln kommt. Das gibt dem ganzen Abend eine riesige Portion Spritzigkeit. Allerdings ist sein Dirigat so differenzierend, dass es die Lust weckt, die Oper öfter zu hören. Die Bielefelder Philharmoniker versemmeln zwar auch ein einige Töne, doch auch hier überzeugt die Lust daran, den Zuschauern etwas zu bieten.
Vom Premierenpublikum gibt es dementsprechende Reaktionen. Einige wenige zeigen sich ostwestfälisch gefeit gegen gute Laune. Ansonsten hört man Glucksen, Lachen und immer wieder herzlichen Szenenapplaus. Der kurze und launige Abend wird mit herzlichen Bravorufen für alle Beteiligten beendet.

Christoph Broermann