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"Antigone": Geschichten aus der Gruft in der Kammeroper

Groß ist sie bereits, die Gruft des Labdakiden-Clans - und sie wird bis zum Ende des Abends noch voller werden. In diesem Mausoleum siedelt Regisseur Vasily Barkhatov in der Kammeroper Tommaso Traettas "Antigone" an. Und das Junge Ensemble macht diese erstmals in Wien gespielte Oper an der Schwelle zwischen Barock und Klassik mit gewohntem Spielwitz zur Entdeckung. Drama at its best.

Der gebürtige Süditaliener Tommaso Traetta (1727-1779) wurde 1768 Hofkapellmeister der russischen Zarin Katharina II. in St. Petersburg, wo er 1772 seine "Antigone" herausbrachte. Als Reformoper konzipiert, ist das dramatische Geschehen um die Nachkommen des unglücklichen Ödipus, die sich im Kampf um den Thron selbst meucheln, psychologisch konzipiert. Dass sich Ödipus' Tochter Antigone der Anordnung ihres Onkels Creonte widersetzt, dem toten Bruder Polyneikes die ehrenvolle Beerdigung zu verweigern, bedeutet für sie unweigerlich den Tod, ist aber menschlich fundiert.

Für Zuschauer, die bei den antiken Mythen weniger sattelfest sind, bereitet Barkhatov den Labdakiden-Stammbaum zu Beginn optisch auf - und lässt bereits angesichts der Vorgeschichte der Familie erahnen, dass das Ganze kein gutes Ende nehmen wird. Das Inszenierungsmittel wird über den Lauf des Abends hindurch beibehalten, wenn etwa hochformatige Filmaufnahmen mit dem Handy am Zentralfriedhof in das Geschehen einleiten oder von dem letztlich im tödlichen Streit verfangenen Brüderpaar Kinderfotos projiziert werden.

Ansonsten fokussiert diese "Antigone" ganz auf das Mausoleum der Familie, einen Symbolraum, in dem letztlich alle Figuren gefangen sind. Mit Schwarzblenden wie im Film wird das scheinbar statische Bühnenbild dynamisiert. Am Ende dieser Geschichte aus der Gruft gibt es ein Gläschen für die eingemauerte Antigone mit dem Geliebten Emone und den reuigen Peinigern - Wahnfantasie einer Sterbenden, der der Sauerstoff ausgeht. Barkhatov findet auf diese Weise die stimmige, bei aller Dramatik doch humorvolle Lösung für das in unserer heutigen Empfindung aufgesetzte Happy End der Oper.

Die "Antigone" bietet dabei eine Paraderolle für Viktorija Bakan in der Titelpartie. Mit ihrem stark vibrierenden, zwitschernden Sopran bewältigte die Litauerin selbst schwerste Koloraturläufe. Als Geliebter Emone an ihrer Seite beherrschte Countertenor Jake Arditti mit Charisma abermals die Bühne während seiner Auftritte, wohingegen Natalia Kawalek als Antigone-Schwester Ismene ihren Mezzo mit gewohnter Wärme einsetzt. Und schließlich ist Christoph Seidl mit seinem Bass als väterlicher Adrasto wieder eine verlässliche Stütze des Geschehens. Der einzige Ausreißer des Abends blieb somit der Australier Thomas David Birch als Bösewicht Creonte, der sowohl mit den hohen wie den tiefen Passagen seines Parts zu kämpfen hatte.

Die gute Leistung auf der Bühne ergänzt das tadellose Bach Consort unter Attilio Cremonesi im Graben. Zum einen arbeitet man die an Mozart erinnernden Geigenläufe und Holzbläser ebenso heraus wie die Begleitung der Arien und den Einsatz der Stimme, die klar den Barock erkennen lassen. Alles in allem ist diese "Antigone" mithin zu Unrecht über die vergangenen Jahrhunderte in der Versenkung, vulgo Gruft, verschwunden.

(S E R V I C E - "Antigone" von Tommaso Traetta in der Kammeroper, Fleischmarkt 24, 1010 Wien in der Regie von Vasily Barkhatov. Bühnenbild: Zinovy Margolin. Das Bach Consort Wien dirigiert Attilio Cremonesi. Mit Viktorija Bakan/Antigone, Natalia Kawalek/Ismene, Thomas David Birch/Creonte, Jake Arditti/Emone, Christoph Seidl/Adrasto. Weitere Aufführungen am 2., 4., 6., 9., 11., 15., 17., 19. und 21. Dezember. http://go.apa.at/Ar23SQAx)

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