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Musiktheater
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Tosca

Melodramma in drei Akten
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La Tosca von Victorien Sardou
Musik von Giacomo Puccini



in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (zwei Pausen)

Premiere im Musiktheater im Revier am 12. Dezember 2015


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Musiktheater im Revier
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Geht es hier eigentlich um Kunst?

Von Stefan Schmöe / Fotos: Pedro Malinowski

Ausgerechnet Tosca, dürfte mancher ambitionierte Jungregisseur fluchen, wenn ihm diese Oper angeboten wird. Was soll man da schon groß an eigenen Ideen inszenieren? Das Stück, ein bis ins Detail festgelegter Opernkrimi, läuft ja quasi von allein. Zumal dann, wenn man einen formidablen Dirigenten hat wie bei dieser Gelsenkirchener Premiere Rasmus Baumann am Pult der ebenso engagierten wie zuverlässigen Neuen Philharmonie Westfalen, der die Musik fiebrig aufgepeitscht in Hochspannung versetzt, und wenn auch noch ein gutes Sängerensemble unbeeindruckt von allen Klanggewalten unerschrocken dagegen hält. Und Puccini hat ja textlich wie musikalisch ziemlich eindeutig festgelegt, wer hier gut ist und wer böse ist. Was kann ein ambitionierter Jungregisseur da noch eigenes einbringen?

Szenenfoto kommt später

Cavaradossi und Tosca vor Marienstatue

Na ja, zum Beispiel die Geschichte in die Zeit des Faschismus verlegen. Faschismus geht immer, zumal die italienische Variante, das hat sich vielfach bewährt. Das ist uns historisch näher als die napoleonischen Kriege und wirkt auf der Bühne auch immer ein bisschen gefährlicher. Und das funktioniert auch hier in der Inszenierung von Tobias Heyder, in Kostümen der 1930er oder 1940er-Jahre. Die Kinderchor-Chormädchen mit braven Zöpfen deuten auf eine ziemlich konservative Gesellschaft hin, die wenig revolutionär gestimmt ist - da liegt ein Hauch von Kritik an der katholischen Kirche in der Luft, die mit der ins lächerliche gezogenen Figur des denunziatorischen Mesners ja auch bei Puccini angelegt ist. Die Bühne (Tilo Steffens) ist von einer unterkühlten Rundbogen-Architektur umgeben wie ein Gefängnis (leider sieht das arg nach Sperrholz aus). Handwerklich gelungen ist das Konzept nur teilweise. "Sie haben ein altes Weib aus mir gemacht", dürfte Petra Schmidt alias Tosca der Kostümbildnerin Verena Polkowski entgegen seufzen, denn so matronenhaft, wie sie hier ausgestattet ist, wird sie wohl kaum die Begierde des Superbösewichts Scarpia auf sich ziehen. Tapfer singt Petra Schmidt, Ensemblemitglied am Musiktheater im Revier, gegen das unglückliche Outfit und die ziemlich holzschnittartige Personenregie an und gibt, auch wenn die Stimme nicht mehr ganz jung ist und hier und da etwas matt bleibt, eine bravouröse Diva mit dramatischer Kraft bis zum tragischen Ende.

Szenenfoto kommt später

Absonderliche Pietá: Scarpia mit barbusiger Marienerscheinung und Plattenspieler. Man hört Bach.

Die Personenregie scheint überhaupt weitgehend den Sängern selbst überlassen zu sein, jedenfalls beschränkt sich der smarte amerikanische Gasttenor Derek Taylor als Cavaradossi auf ein paar Standardgesten, die weder falsch noch besonders aufregend sind, und konzentriert sich aufs Singen - und das macht er eindrucksvoll, mit kraftvollem, angenehm timbrierten Forte und sicherer, nicht zu dünner Höhe, und er gestaltet die Partie sehr kultiviert ohne irgendwelche tenoralen Manierismen. Eine echte Entdeckung auf deutschen Bühnen (laut seinem Lebenslauf hat er in Europa bisher, bis auf einen einzelnen Abstecher nach Basel, am kleinen Theater in St. Gallen gesungen). Mit sehr viel höherem Körpereinsatz und großer, jugendlich-dramatischer (nicht sehr dunkler) Stimme singt und spielt Aris Argiris, der zu Beginn seiner Karriere im Gelsenkirchener Ensemble engagiert war, den Scarpia als animalischen Lüstling - kein Schreibtischtäter, sondern einer, der nie stillsitzen kann. Und da Dong-Won Seo als Angelotti und Joachim G. Maaß als Mesner sehr ordentliche Besetzungen sind und auch Chor und Kinderchor prächtig singen, ist es um die vokale Seite sehr gut bestellt - mit Countertenor Sion Choi als fremdartig schön klingendem Hirten als Zugabe obendrauf.

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Kunstsammler Scarpia interessiert sich noch mehr für schöne Frauen wie Tosca als für alte Meister.

Ein Opernkrimi um Sex und Macht mit großer Musik, das war dem Regieteam aber doch etwas zu wenig. So rückt die Kunst, und zwar die bildende, in den Fokus, schließlich ist Cavaradossi ja Maler. Was er da gestaltet, ist der herrschenden Schicht offenbar zu modern und zu freizügig - sein Monumentalbild aus dem ersten Akt wird im letzten vom Mesner schwarz übermalt, das ist die stärkste Szene der Inszenierung. Scarpia sammelt offenbar alles von Rang und Namen, wenn es nur alt genug ist, und er streicht immer wieder mit den Händen über die alten Meister (schleudert sie dann aber auch schon mal unvermittelt durch den Raum). In solcher Kunstauffassung spiegelt sich der Konflikt zwischen den reformfreudigen Anhängern der Republik wie der aus dem Gefängnis entflohene Angelotti und dem mehr zufällig da hinein geratenen Cavaradossi einerseits, der repressiven System um Scarpia und letztendlich der katholischen Kirche andererseits. Offenbar gibt es eine ganze Reihe von Anspielungen auf unterschiedliche Gemälde, die aber ziemlich unklar bleiben. Zum Te Deum am Ende des ersten Aufzugs erscheinen eine Reihe surrealer Gestalten, eine Madonna mit riesigen entblößten Brüsten zum Beispiel. Die scheinen einem Bild entsprungen zu sein (nur welchem?). Die Kunst bricht in den Alltag herein.

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Einen Moment lang glauben sie an Rettung: Cavaradossi mit akkurat aufgemalten Theaterblutspritzern und Tosca.

Auf den ersten Blick ist das ja schön gedacht, auf den zweiten ist es nicht allzu plausibel. Scarpia als kunstbeflissener Schöngeist, das will nicht passen - nicht seiner abgrundtiefen Bösartigkeit wegen, sondern weil er sich nicht einen Hauch für den Künstler Cavaradossi interessiert, der für ihn nur unbequemer Freigeist und, viel wichtiger, Liebhaber der begehrten Tosca ist und damit den eigenen sexuellen Ambitionen im Wege steht. Nein, als Diskurs über moderne Kunst in totalitären Systemen taugt Tosca auch hier nicht. Und sehr rätselhaft bleibt ein Bild, mit dem Heyder den zweiten Akt beginnt: Da liegt, eine absonderliche Pietá, Scarpia wie tot in den Armen der barbusigen Madonna, und vom Uralt-Plattenspieler ertönt leiernd Bachs Erbarme-Dich-Arie aus der Matthäuspassion. Später wird Scarpia die CD wütend zerbrechen, aber er hat offenbar vorgesorgt für solche Ausbrüche und gleich weitere Exemplare bereit gelegt. Am Ende des Akts legt Tosca eben diese Platte noch einmal auf, und jetzt macht die Bitte um Erbarmen zwar mehr Sinn, überlagert aber leider störend Puccinis musikalischen Aktschluss.

Am Ende gibt es nach allerlei solcher Ungereimtheiten neben großem Jubel für Sänger, Dirigenten und Orchester ein paar kräftige Buhs für das Regieteam, ein wenig ungerechtfertigt, schließlich ist der Wille zur Stückausdeutung erkennbar, und als Provokation sind die schwer entschlüsselbaren, wohl auch nicht wirklich konsequent durchdachten Einschübe sicher nicht gemeint - aber sie prallen an dem Werk ab, das sich dem Regietheaterzugriff einmal mehr entzieht. Ausgerechnet Tosca, wird vielleicht das Team um Tobias Heyder nach der Premiere leise fluchen.


FAZIT

Große Oper mit tollen Sängern, einem vorzüglichen Dirigenten und einem bestens aufgelegten Orchester. Die Inszenierung ist dann am besten, wenn sie nicht groß stört. Der halbherzige Versuch, dem geradlinig erzählten Opernkrimi eine Metaebene zu verpassen, auf der über die Rolle von Kunst und Künstler sinniert wird, geht nicht auf, nicht zuletzt wegen mancher handwerklichen Schwächen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rasmus Baumann

Inszenierung
Tobias Heyder

Bühnenbild
Tilo Steffens

Kostüme
Verena Polkowski

Licht

Chor
Christian Jeub

Kinderchor
Alfred Schulze-Aulenkamp

Dramaturgie
Anna Grundmeier



Statisterie des Musiktheater im Revier


Chor und Extrachor
des Musiktheater im Revier

Gelsenkirchener Kinder- und Jugendchor

Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Floria Tosca
Petra Schmidt

Mario Cavaradossi
Derek Taylor

Scarpia
* Aris Argiris /
Thomas Berau

Cesare Angelotti
Dong-Won Seo

Der Messner
Joachim G. Maaß

Spoletta
* William Saetre /
Philipp Werner

Sciarrone
Peter Rembold

Kerkermeister
Jacoub Eisa

Hirt
Sion Choi



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Da capo al Fine

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