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Bühne und Konzert „Der Freischütz“

Gehen wir Freikugeln gießen mit Pegida

Redakteur Feuilleton
Was ist es denn nun, zum Teufel, das Nationale, wo das nationale Kunstwerk: Eva Verena Müller als Samiel in seinem Atelier Was ist es denn nun, zum Teufel, das Nationale, wo das nationale Kunstwerk: Eva Verena Müller als Samiel in seinem Atelier
Was ist es denn nun, zum Teufel, das Nationale, wo das nationale Kunstwerk: Eva Verena Müller als Samiel in seinem Atelier
Quelle: Thomas M. Jauk / Stage Picture
Höllenfahrt zum nationalpathologischen Untergrund: Auf der Suche nach der nationalen Oper macht Kay Voges in Hannover aus Carl Maria von Webers „Freischütz“ eine grellbunte German Horror Picture Show.

Es gehört vermutlich nicht hierher, aber es gibt in der deutschesten aller Kindersendungen, dem „Sandmännchen“, einen sehr deutschen Zauberer. Der besteht aus Knetmasse, hat eine irgendwie leicht, nein, extrem phallische Nase, entsetzlich abstehende Ohren, wurstige Finger.

Und immer wenn er, weil er ja ein Zauberer ist, „Hokus Pokus Pondorus“ gerufen hat, geht alles schief, was eigentlich gerade sein soll. Eine entsetzlich traurige Figur, dieser Pondorondo. Nur Kinder können drüber lachen.

Nicht hierher gehört Pondorondo wahrscheinlich, weil es hier ja um Kay Voges Inszenierung von Carl Maria von Webers deutscher Nationaloper „Der Freischütz“ in Hannover gehen soll.

Armer Max! Er versagt beim Schießen, dann macht ihn der Faschomob vom Okidoki platt: Eric Laporte muss in Hannover als Max einiges ertragen
Armer Max! Er versagt beim Schießen, dann macht ihn der Faschomob vom Okidoki platt: Eric Laporte muss in Hannover als Max einiges ertragen
Quelle: Thomas M. Jauk / Stage Picture

Dass er vielleicht doch hierher gehört, hat zum einen damit zu tun, dass in der zweiten Operninszenierung des beinahe schon kultig verehrten Dortmunder Schauspielchefs beinahe alles hineinpasst, was irgendwie mit dem Deutschen in Geschichte und Gegenwart in Verbindung gebracht werden kann.

Und zum anderen, weil da – gerade hat Karen Kamensek, die Dirigentin des Abends, ihren Arbeitsplatz erreicht – eine Figur vor den Vorhang tritt, die irgendwie aus Knetmasse zu bestehen scheint, eine eher phallische Nase besitzt, wurstige Finger und extrem abstehende Ohren.

Sie sagt: „Okidoki“. Und der Spuk geht los.Und alles geht schief, was eigentlich Wald-und-Hörnerklang-Oper mit feinem Happy-End werden soll.

Kinder mussten draußen bleiben. Wg. Jugendschutz

Eine Höllenfahrt in den nationalpsychologischen, nationalpathologischen Untergrund beginnt. Immer auf der Suche nach dem Nationalen in der Kunst. Ein paar Lacher gab’s schon in Hannover. Das waren aber keine Kinder.

Die, überhaupt alle unter 16, durften nämlich nicht rein, weil auf einigen der Videos, die Voges beinahe permanent auf irgendeiner der gefühlt halbdutzend Abspielstätten laufen lässt, Dinge zu sehen sind, die selbst und gerade bei männlichen Erwachsenen durchaus Alpträume auslösen können.

Samiel erscheint nicht nur, er ist immer da

Okidoki heißt übrigens eigentlich Samiel. Und kommt natürlich in Webers Oper vor, als eine Art dunkler Gegengott, der angerufen wird, aber nicht zwangsläufig erscheinen muss.

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Bei Voges ist Okidoki, den Eva Verena Müller, die Voges von Dortmund mitgebracht hat, bis zur Selbstaufgabe durch die Ritzen und Breschen der Inszenierung schleudert, die eigentliche Hauptfigur.

Da kommt nichts Gutes raus: Eric Laporte als Max und Eva Verena Müller als Samiel
Da kommt nichts Gutes raus: Eric Laporte als Max und Eva Verena Müller als Samiel
Quelle: Thomas M. Jauk / Stage Picture

Ein manischer Meister des nationalen Kunstwerks. Erzdeutscher Sisyphos. Ständig pinselt er herum in seinem klaustrophisch engen Atelier, übermalt Landkarten, missbraucht süße Kuschellämmchen als Farbaufträger, faselt sich soziophilosophisches Zeug zusammen, ist gerührt, wenn er Hörnerklang hört, arrangiert das Geschehen auf der Bühne neu. Ein Zeremonienmeister des nationalen Kunstwerks. Was immer das sein mag.

Darum geht es nämlich. Herauszufinden, was das ist, das Nationale, das nationale Kunstwerk. In deutscher Geschichte und Gegenwart.

Damit muss sich auseinandersetzen, wer sich mit Webers höllisch schwerem, höllisch wechselbalgigem Stück auseinandersetzt, das schon vor beinahe 200 Jahren explizit nationalistisch abtauchte in die Untergründe des Biedermeierlichen und aus Sehnsucht nach einer deutschen Kulturnation mutwillig zur Waffe gemacht wurde gegen alles Italienische in der Oper und alles Fremde in der Kultur.

In der Semperoper war vom Nationalen unlängst nichts zu sehen

So gesehen ist „Der Freischütz“ natürlich das Stück der Stunde. Wovon man allerdings beispielsweise in der Dresdner Semperoper vor nicht allzu langer Zeit nicht viel mitbekam. Draußen machten die Neonationalen mobil, drinnen wurde das Stück mit Wald und Bombenkrieg in der Wolfsschlucht eher verwaltet. Eine Spiegelung der Pegida-Spielumstände fand nicht statt. Und Christian Thielemann stand am Pult.

Den sieht man übrigens zwischendurch in Hannover auch. In einem hochnotpeinlichen Interviewvideoausschnitt, in dem es um den „Freischütz“ und Volksmusik und Kunstmusik geht. Und Thielemann eine höchst merkwürdige Position einnimmt.

Hannovers Opernmusikchefin Karen Kamensek hält währenddessen übrigens ein Plakat in die Höhe, auf dem „Ich distanziere mich von dieser Szene, K.K.“ steht.

Der Alptraum vom Schneewittchen: Dorothea Maria Marx als Agathe im Hannoveraner „Freischütz“
Der Alptraum vom Schneewittchen: Dorothea Maria Marx als Agathe im Hannoveraner „Freischütz“
Quelle: Thomas M. Jauk / Stage Picture
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Aus dem Satz, den Thielemann sagt, und der betont, Volksmusik sei Kunstmusik oder umgekehrt, machen Voges und Okidoki zu „Wir winden dir den Jungfernkranz“ ein herrliches Ballett aus lauter plakattragenden Wildecker Herzbuben, die Thielemanns Satz in immer nutzbringenderen Variationen neu zusammensetzen.

Die scheunentoroffene Dramaturgie dieses halben Singspiels kommt dem Theatermann Voges natürlich entgegen. Er kann mit dem „Freischütz“ tun, was weder Schlingensief (dessen Kameramann Voxi Bärenklau für die Videos verantwortlich ist) mit seinem Bayreuther „Parsifal“ tun konnte noch Castorf mit dem „Ring“.

Deutschnationaler Bilderbogen

Beide stehen Pate bei Voges’ nationaler Nachtgespenstveranstaltung. Voges veranstaltet eine szenische Collage, einen deutschnationalen Bilderbogen mit vager, immer wieder zerrissener, ironisierter Anbindung an den Plot vom „Freischütz“. Wenn Agathe von Liebe singt, sieht man sie im Hintergrund in der Leichenhalle der germanischen Alpträume als andres Schneewittchen auf besser nicht definiertem Material ausrutschen und eine Art Schlammcatchen mit sich selbst ausführen.

Ein depressives Riesenkaninchen schleppt sich durch die erzdeutsche Kneipe „Okidoki“, die zentrale Spielstätte von Voges Jäger- und Hasser-Panoptikum ist. Man sieht den Weihnachtsmann und eine Rotte Gartenzwerge. Fiese Tiere und vogelköpfige Tiere geistern vorbei.

Max, der impotente Jägersmann mit dem Tourettesyndrom (ständig schreit er „Penis“, wenn er singen soll), hat extreme Versagens- und Kastrationsängste (dabei werden dann besagte jugendgefährdende Videos gezeigt). Er wird vom Mob mit Baseballschlägern zusammengedroschen.

Ännchen und das depressive Riesenkaninchen. Kay Voges überträgt im „Freischütz“ das Volksbühnenkonzept vollendet auf die Oper
Ännchen und das depressive Riesenkaninchen. Kay Voges überträgt im „Freischütz“ das Volksbühnenkonzept vollendet auf die Oper
Quelle: Thomas M. Jauk / Stage Picture

Die Kameras fahren in die Kulissen und in die Felder, wo Zwerge „Wir sind das Volk“ Plakate auf fiese Tiere schlagen und die Grenzen vor Hannover auf offener Wiese mit Stacheldraht dicht machen, während Ännchen vom Kettenhund singt.

Markus Söder sieht man reden. Eine Liste von brennenden Flüchtlingsheimen flirrt vorbei. Die echten Pegidademonstranten rennen auf einen zu. Nicht alles ist wirklich auch nur annähernd geschmackvoll.

Mitmachen oder wegducken? Die Musik macht mit

Die Musik hat bei diesem Mummenschanz genau zwei Möglichkeiten. Sie duckt sich weg. Oder sie macht mit. Karen Kamensek hat sich fürs Mitmachen entschieden. Und sie tat gut daran.

Denn die Zerrissenheit der ganzen Geschichte, der ganzen Dramaturgie spiegelt sich natürlich auch in der Partitur. Und so hat man Webers waghalsige, manchmal fast wahnhafte Parade der Tonfälle noch selten so scharf in ihrer stilistischen Gezacktheit gehört wie hier, weil sie widerspiegelt, was man an waghalsigem Wahn auf der Bühne sieht.

Man kann auch weggucken. Sollte man aber nicht

Wer immer also den Weg des geringeren Widerstands gehen mag, wer immer sich des notwendigen Diskurses über das Nationale und wie es sich in Kunstwerken zeigt und was das heute mit uns zu tun hat, verweigert, kann getrost tun, was leider zu viele tun über die entsetzliche Renaissance des Rechtsnationalen und nicht wenige taten im Hannoveraner Publikum. Die Augen schließen. Und hören.

Das Orchester leistete erfolgreich und wohlklingend und geschärften Widerstand. Die Brüche der Partitur leuchten. Gesungen wird mehr als ordentlich.

Eric Laporte schont sich nicht, ist immer Herr seiner stimmlichen Ressourcen und haut einen Max hin, wie man ihn in dieser psychologisch exakten Ekligkeit noch nie gesehen hat. Ein erzdeutsches Tier.

Endlich tut mal einer diesen schmutzigen Job

Die Agathe der Dorothea Maria Marx deutet mit eher scharfen Höhen aus der recht großen Fülle ihres Wohlklangs schon an, dass mit ihr in der Ehe mit Max nicht gut Kirschenessen sein wird.

Nach all den peinlichen Figuren (mögliche Einfühlung in Max & Co. verbietet Voges dem Zuschauer wie Samiel sich selbst wahrscheinlich das Weihwasser), all den hässlichen Leuten, den grässlichen Fantasien, den furchtbaren Realien, nach dieser ganzen German Horror Picture Show, ist man auf der einen Seite froh, dass diesen schmutzigen Job an des Deutschen nationalster Oper endlich mal einer erledigt hat, bis zur Erschöpfung aller und bis auf den Grund beinahe jeglicher Anspielungsmöglichkeit. Und dass diese Nationalpathologie auch noch bunt war und böse und ein bisschen lustig.

Andererseits will man immer wieder laut „Jetzt entspannt euch aber mal“ rufen und hadert mit dem zufälligen Land seiner Geburt. Da hat man ja einfach Pech gehabt. Briten haben’s mit ihrer Nationaloper so viel einfacher. Die haben gar keine. Aber kann man sich’s aussuchen? Kann man nicht.

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