"In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben", heißt es in Friedrich Schillers "Kabale und Liebe". Am Ende gehen die Liebenden, getäuscht durch ein Intrigenspiel, selbst ins Grab. Giuseppe Verdi war von diesem bürgerlichen Trauerspiel aus 1784 hoch entzückt: "Ein großartiges Drama, voller Leidenschaft, lebhafter Situationen und heißer Gefühle, theatralisch sehr effektvoll". Und so ließ er durch Salvadore Cammarano ein Libretto nach dem Text des deutschen Dichters schreiben, das ihm als Grundlage für "Luisa Miller" diente - für jene dreiaktige Oper, die quasi zum Sprungbrett zu seinen nachfolgenden Bühnentriumphen mit "Rigoletto", "Il trovatore" und "La traviata" wurde.

Obwohl schon mit perlenden Arien, ungewöhnlichen Ensembles, komplexen Rhythmen und spannungsreichen Instrumentationen gespickt, blieb das 1849 in Neapel uraufgeführte Melodramma lange Zeit eine echte Bühnenrarität. In Graz ist die Oper überhaupt noch nie aufgeführt worden, ein Versäumnis, das die neue Intendantin nun abstellte: Für Nora Schmid, die in ihrer ersten Saison bewusst auch auf Ausgefallenes setzt, darf Verdi "als leuchtende Farbe in keiner Spielzeit fehlen".

Und trotz der Düsternis des Dramas um Standesdünkel, Neid, Verschlagenheit und der (im wahrsten Sinne des Wortes) Vergiftung der Liebe leuchtete es bei der Premiere in der Grazer Oper tatsächlich in mehrerer Hinsicht hell. Paul Esterhazy hatte versprochen, das Ränkespiel im Sinne von Charles Dickens als Thriller voll Sex & Crime zu inszenieren. Der 60-jährige Wiener Übersetzer, Dramaturg und Regisseur, der für seine Deutung von Verdis „Messa da requiem“ am Staatstheater Kassel 2008 für den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ nominiert war und dort zuletzt heuer Luciano Berios „Und re in ascolto“ umsetzte, legt - unterstützt von erstaunlichen Zaubereien mit Wänden, Spiegeln, Spiegelungen und Doppelgängern (raffinierte Bühne und klassische Kostüme: Mathis Neidhardt) – geschickt ein Labyrinth aus Lug und Trug, Sein und Schein.

In diesem verlaufen sich, angetrieben von absichtsvollen Einflüsterungen und vermeintlicher Untreue, der Grafensohn Rodolfo um das Bürgermädchen Luisa. Der Mallorquiner José Manuel singt den sehnenden, aber leicht zu täuschenden Adelsspross mit etwas kleinem, aber schönem Tenor und steigert sich als Heißsporn zum Finale hin. Und Sophia Brommer begeistert sowohl mit farbenreichem Sopran als auch mit darstellerischem Ausdruck. Bei ihrem Hauptrollen-Debüt in Graz gelingt der 34-jährigen Deutschen ein brillantes Rollenporträt; man kann getrost prophezeien, dass die Ausnahmesängerin, bis eine Woche vor der Aufführung noch verkühlt, dem Grazer Publikum noch viel Freude machen wird. Lustvoll und mit gelenkem Bass breitet Wilfried Zelinka die Hinterhältigkeiten des schmierigen Schlossverwalters Wurm aus, der in seiner kriecherischen, giftigen Art eigentlich Schlange heißen müsste. Petar Naydenov als Conte di Walter, Elia Fabbian als Miller (hier als Pastor im protestantischen Norden und nicht Ex-Soldat in den Tiroler Bergen) und Dshamilja Kaiser als Federica festigen das hohe vokale Niveau.

Nicht Chefdirigent Dirk Kaftan, sondern Robin Engelen stand zum bereits dritten Mal in dieser Saison bei einer Premiere am Pult: Seit heuer Erster Kapellmeister in Graz, lotste der in Karlsruhe ausgebildete Dirigent das wendige Orchester ruhig, aber stringent durch die anspruchsvolle Partitur Verdis. Ausschließlich im Dunkeln, agierte der von Bernhard Schneider gut einstudierte Chor tadellos.

Einhelliger, heftiger Applaus für die Sänger. Die Regie hingegen musste sich bei der Erstaufführung, auf die Graz (leider) 166 Jahre warten musste, Bravos und Buhs teilen. Dass schon in der Pause allerdings einer glaubte, „Eine Schmiere ist das!“ vom Balkon brüllen zu müssen, kann man als hübsche Lächerlichkeit abhaken: Wem wegen Nacktheit und einer stilisierten Vergewaltigungsszene auf der Bühne der Blutdruck steigt, sollte zum Arzt und nicht ins Opernhaus.