„Haben Sie ein Gift im Angebot, das nicht zu schnell tötet? Ich habe vor dem Tod noch etwas mit meiner Geliebten zu klären... Aber bitte ohne hässliche Nebenwirkungen wie Lähmungen und Schaum vor dem Mund!“ So in etwa könnte Rodolfos Wunsch beim Gift-Kauf gelautet haben, dauert die Sterbeszene in Verdis Luisa Miller entgegen aller medizinischen Wahrheiten doch ganz operntypisch eine gefühlte Ewigkeit. Lange, nämlich 166 Jahre, hat es allerdings auch gedauert, bis das Werk zum ersten Mal in der Oper Graz seinen Weg auf die Bühne gefunden hat. Die turbulente Geschichte, eine Adaption von Schillers Kabale und Liebe, glänzt nicht unbedingt mit ihrer konstruiert wirkenden Handlung, dafür aber umso mehr durch die Musik.

Angesichts der starken musikalischen Wirkung von Verdis Werk, in dem man übrigens immer wieder Anklänge bzw. Vorausahnungen einiger Passagen von Il TrovatoreLa traviata und Rigoletto herauszuhören meint, war es wohltuend, dass sich die Inszenierung zurückhielt. Regisseur Paul Esterhazy verlegte die Handlung von Tirol am Anfang des 18. Jahrhunderts in den protestantischen Norden um 1850 und schuf eine sehr klassische Optik mit historischen Kostümen. Das Bühnenbild ermöglichte überdies einen schnellen Wechsel zwischen dem vermoderten Wohnzimmer der Millers und dem Salon des Grafen Walter. Einzig für ein kleines Skandälchen sorgte die Inszenierung dann doch – die stilisierte Vergewaltigung Luisas durch Wurm erboste offenbar einige Zuschauer so sehr, dass sie sich zu energischen Buh-Rufen hinreißen ließen. Aus meiner Sicht war aber ehrlich gesagt störender (und vor allem schade), dass der wunderbar singende Chor von der Regie auf die Seitenbühne verbannt wurde, um so noch mehr den kammerspielartigen Aspekt der Geschichte hervorzukehren.

Dass der Abend musikalisch zu einem vollen Erfolg wurde, war vor allem dem neuen Ensemblemitglied Sophia Brommer zu verdanken, die in der Titelrolle eine grandiose Leistung ablieferte. Ihr schien einfach alles zu gelingen: Mit federnden Koloraturen, strahlenden Höhen, betörenden lyrischen Passagen und intensiver Emotion machte sie sich die Rolle mit leuchtend-warm timbrierter Stimme mit stählernem Kern, von transzendenten Pianissimi bis zum dramatischem Forte zu eigen. Zusätzlich zu ihrer stimmlichen Höchstleistung berührte auch ihr differenziertes Spiel, besonders in den Szenen zwischen Luisa und ihrem Vater. Ganz der Musik folgend spielt sich die größte Wärme und Zuneigung in Paul Esterhazys Regie nämlich überhaupt in dieser Vater-Tochter Beziehung ab und nicht in der eigentlichen Liebesgeschichte zwischen Luisa und Rodolfo.

Obwohl er nicht älter ist als seine Bühnentochter, wirkte Elia Fabbian als würdevolle Vaterfigur absolut glaubwürdig. Seine Stimme war zu Beginn für die Dimensionen der Grazer Oper aber eine Nummer zu groß; dass das Orchester gegenüber einem Sänger fast untergeht, ist wirklich eine Seltenheit. Nach seinem anfänglichen Überschwang drosselte er seinen virilen Bariton jedoch, fand dann immer wieder zu herrlich farbenreichen sowie gefühlvollen Passagen und konnte besonders dann auftrumpfen, wenn er üppig strömende Italianità verbreiten durfte.

 

Das zweite Familiengespann des Abends wurde von José Manuels Rodolfo angeführt, der bei sämtlichen Taten das Aufbegehren gegen seinen gräflichen Vater im Hinterkopf zu haben schien. Seine grundsätzlich klar und hell timbrierte Stimme klang oft kehlig und gepresst, zusätzlich schien er stimmlich sehr zurückgenommen und vorsichtig zu agieren, wodurch die jugendlich-schwärmerische Facette der Figur auf musikalischer Ebene leider verloren ging. Es bleibt zu hoffen, dass in den Folgevorstellungen auch noch die Stimme nachzieht und sich mit Manuels überzeugendem Spiel als rebellischer Adelsspross zu einem Ganzen fügt. Mit leichten Unsicherheiten startete auch Petar Naydenov als Graf Walter, dessen Bass bei seinem ersten Auftritt noch etwas brummig wirkte. Er steigerte sich jedoch hörbar von Szene zu Szene, konnte bis zum Finale seine sonore Stimme richtig strahlen lassen und den Grafen nicht nur darstellerisch sondern auch stimmlich als gnadenlosen Despoten interpretieren.

Als verbindendes Element zwischen allen Handelnden fungiert der Intrigant Wurm, der in Mr. Hyde-Manier als dunkle Seite der Charaktere aus Spiegeln entstieg, über den Boden robbte und in Wänden verschwand. Als Drahtzieher der Intrige durfte Wilfried Zelinka hierfür die gesamte Bösewicht-Bandbreite von schmierig bis dämonisch auskosten und wirkungsvoll dunkle Farben in die Stimme legen. In den zwei kleineren weiblichen Rollen kam man in den Genuss einer im Grazer Ensemble bewährten und einer neu im Opernstudio engagierten Mezzostimme. Dshamilja Kaiser stattete die Herzogin Federica mit glutvoller Tiefe, gekränktem Stolz und viel Würde aus; Yuan Zhang steuerte als Laura ihre leuchtend sonnige Stimme mit viel Substanz von der Seitenbühne bei.

Immer auf sensible Begleitung der Sänger bedacht blieb der erste Kapellmeister Robin Engelen. Unter seiner Leitung bestach das Grazer Philharmonische Orchester mit leichtem, schwungvollen Klang und glühenden Farben. Bei differenzierter Auslotung der dynamischen Bandbreite ließ er die Emotionen wahlweise leise auflodern oder regelrecht Funken sprühen und schuf so auch musikalisch einen packenden Thriller. Eine Sternstunde von Sophia Brommer als Titelheldin Luisa, das Orchester in Top-Form und die Wiederentdeckung eines selten gespielten Verdi-Werks: So schön kann Oper sein!

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