Baugerüst und Pyramide

Wagnis Mozart: Das Theater Basel zeigt eine «Zauberflöte», die nichts erklärt. In Genf sagt man eine unbequeme Eigenproduktion kurzfristig ab – und greift zu Altbewährtem von der Oper Bonn.

Thomas Schacher
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Die Opeéra Genève hat ihre Inszenierung der «Zauberflöte» abgesagt und jene von Bonn übernommen. (Bild: PD)

Die Opeéra Genève hat ihre Inszenierung der «Zauberflöte» abgesagt und jene von Bonn übernommen. (Bild: PD)

«Die Zauberflöte» von Wolfgang Amadeus Mozart ist die meistgespielte Oper der Welt. Für die Regisseure bedeutet das eine schwere Last, denn welch eine gewaltige Aufführungstradition steht hinter dem 1791 in Wien uraufgeführten Singspiel! Für eine Neuinszenierung gibt es dabei prinzipiell zwei Wege: das Fortspinnen ebendieser Tradition oder die Formulierung eines kontrastierenden Ansatzes. Der erste Weg wurde am Grand Théâtre de Genève beschritten, wo man eine vor 19 Jahren entstandene Inszenierung von Jürgen Rose vom Theater Bonn eingekauft hat. Den zweiten Weg hat am Theater Basel die seit kurzem als Hausregisseurin tätige Julia Hölscher gewählt. Zu sagen, dass es dabei lediglich um den Gegensatz von Ausstattungsoper und Regietheater gehe, griffe indes zu kurz.

Oper fürs Festpublikum

In Genf war ursprünglich eine Neuinszenierung von Daniel Kramer vorgesehen. Doch drei Wochen vor der Premiere hat Intendant Tobias Richter die Produktion «aus künstlerischen Gründen» gestoppt. Diesen Éclat, der am Grand Théâtre beispiellos ist, hat der Intendant in der «Tribune de Genève» damit gerechtfertigt, dass die Inszenierung nicht geeignet sei, ein breites Festpublikum am Ende des Jahres zu berühren. Kramer habe beispielsweise den Priesterchor streichen und Papageno in ein Metzger-Gewand stecken wollen. Warum Richter erst im letzten Moment die Notbremse gezogen hat, bleibt freilich ein Rätsel – hätte er doch den Entstehungsprozess von Kramers Arbeit von Anbeginn an und während der ganzen Probenzeit verfolgen können.

Jürgen Roses Inszenierung und Ausstattung, von Mark Daniel Hirsch für die Genfer Übernahme angepasst, siedelt das Geschehen in Ägypten an. Tamino befindet sich in der ersten Szene in einem Zelt in der Sandwüste. Sarastros Weisheitstempel steht im Inneren einer Pyramide. Es herrscht ein leicht stilisierter Realismus mit Flöte, Glockenspiel, Schlange, wilden Tieren, Feuer, Wasser, Isis- und Osirisstatuen. Schlüssig ist die Licht- und Farbgestaltung: Rot und Orange charakterisieren das Reich der Königin der Nacht, Gelb und Golden dasjenige Sarastros. Die Königin trägt Mantel und Krone, Sarastro und die Eingeweihten sind in rituelle Gewänder gehüllt, Papageno steckt im Federkleid. Taminos und Paminas Prüfungen finden im Dunkeln statt, die Schlussszene erstrahlt in hellem Glanz. Dies ist, gewiss, alles sehr traditionell, aber es macht das Geschehen doch ganz unverstellt erlebbar.

Jede(r) kann jede(n) lieben

In Basel wird «Die Zauberflöte» durch die Brille eines weiblichen Dreigespanns betrachtet. Julia Hölscher will nicht die Polarität zwischen Mann und Frau darstellen, sondern zeigt auch das Weibliche im Mann und das Männliche in der Frau. Susanne Scheerer kleidet die Königin und Pamina in Hosenkostüme, Tamino erscheint als sanfter Schönling, seine Entourage besteht aus Homosexuellen, Kriegsbeschädigten und als Nonnen aufgemachten Männern. Die Liebe ist in dieser Deutung offen: Jede(r) kann jede(n) lieben.

In der Prüfungsszene begegnen Tamino und Pamina den übrigen Figuren, und man ahnt, dass da überall latente erotische Beziehungen vorhanden sind, denen das Paar abschwören muss. Fragt man sich schon da, was dies mit der «Zauberflöte» zu tun hat, so kommt man bei der Bühne von Mirella Weingarten erst recht ins Grübeln: Sarastros Reich wird mit vier fahrbaren Baugerüsten dargestellt, die wie Sprungtürme in Badeanstalten aussehen und deren Teile sich durch mechanische Konstruktionen bewegen lassen. Der Tempel der Weisheit? Man darf raten.

Musikalische Gewinner

Musikalisch schwingt die Basler Produktion klar obenauf. Der junge Dirigent Christoph Altstaedt führt das Basler Sinfonieorchester mit straffer Hand und ordnet die Einzelheiten stets dem Gesamtgeschehen unter. Das Orchester spielt geschmeidig, im Blech hört man Posaunen mit engen Mensuren und ventillose Trompeten, die Streicher pflegen wenig Vibrato. In Genf ist mit Gergely Madaras ebenfalls ein Dirigent der jungen Generation am Werk. Das Orchestre de la Suisse Romande ist – darin der Inszenierung entsprechend – einem herkömmlicheren Mozart-Stil verhaftet und pflegt einen runderen, weicheren Klang.

In Basel stehen bei der Premiere einige beeindruckende Sänger auf der Bühne: Die Japanerin Mari Moriya gibt die Königin der Nacht mit dramatischem Impetus und lupenreiner Intonation. Der Sarastro von Callum Thorpe sieht zwar wie ein Weichling aus, besitzt aber einen unwiderstehlich männlichen Bass. Der Tamino von Sebastian Kohlhepp ist, trotz Admiralsuniform, stimmlich eine Identifikationsfigur. Nicht ganz auf der gleichen Höhe bewegt sich die Pamina von Anna Gillingham. Komödiantisch sind die Rollen und Stimmen von Papageno (Thomas Tatzl) und Papagena (Valentina Marghinotti) angelegt.

In Genf mussten sich die Protagonisten in drei Wochen auf eine komplett neue Inszenierung einstellen, was nicht an allen spurlos vorbeigegangen ist. Das Glanzlicht bildet an der Premiere die Pamina der Südafrikanerin Pretty Yende, die stimmlich und emotional aus dem Vollen schöpft. Auch Tamino (Joachim Bäckström), Papageno (Andreas Wolf) und Papagena (Amelia Scicolone) erfüllen die Erwartungen. Die Königin der Nacht von Mandy Fredrich bleibt etwas reserviert, dem Sarastro von Jeremy Milner fehlen Kern und Erdung in der Stimme, die drei Damen singen mit aufdringlichem Vibrato und differenzieren zu wenig.

Für Einsteiger oder Habitués

Die Genfer Produktion empfiehlt sich für Einsteiger, die erfahren wollen, worum es in der «Zauberflöte» eigentlich geht. Basel wählen die Habitués, die vor allem musikalisch auf die Rechnung kommen wollen. Eine Wunschvorstellung bleibt vorläufig eine musikalisch brillante Produktion, die gleichzeitig von der Regie her mit einer zeitgemässen, aber schlüssigen Deutung der Oper aufwartet. Vielleicht hätte Daniel Kramer diesen Wunsch erfüllen können? Hoffentlich erhält der Regisseur nach dem Rauswurf in Genf die Chance, seine Deutung an einem anderen Haus zu zeigen.