Oper
Traummaschinen tanzen in der Nacht

Mozarts «Zauberflöte» als poetischer Bilderreigen am Theater Basel. Musikalisch aber glückt nicht alles.

Christian Fluri
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Tamino (Sebastian Kohlhepp) und Pamina (Anna Gillingham) überwinden Sarastro (Callum Thorpe) und Papageno (Thomas Tatzl). Sandra Then / Theater Basel

Tamino (Sebastian Kohlhepp) und Pamina (Anna Gillingham) überwinden Sarastro (Callum Thorpe) und Papageno (Thomas Tatzl). Sandra Then / Theater Basel

Keine Berge und Täler sehen wir. Zur Ouvertüre von Wolfgang Amadé Mozarts letzter Oper, der «Zauberflöte», öffnet sich der schwarze, leere Bühnenraum, von hinten mit Scheinwerfern schwach beleuchtet, künstlich erzeugte Wolken bewegen sich im Raum. Regisseurin Julia Hölscher und ihre Bühnenbildnerin Mirella Weingarten schaffen eine dunkle Leere, die sie mit ihren Bildern zu Mozarts Märchen-, Freimaurer- und Aufklärungsoper von 1791 beschreiben. Ihre Inszenierung am Theater Basel gleicht einem Gang in die Traumwelt, eine Welt der Erinnerung mit all den Reststücken abendländischer Geschichte, die in die Entstehungszeit der Oper zurückgreift.

Tamino wird hier nicht von einer Schlange verfolgt. Er verfängt sich in den Stricken, die auf die Bühne herunterhängen, das heisst: in seinem eigenen verborgenen Unbewussten – wo die Schlange ihm auflauert. Die drei Damen, die Tamino von seinem Alb befreien, sind ein dreigeteiltes Triebwesen, durch die Haare aneinandergekettet. Sie wecken seine Begierde. Hölscher und Weingarten bewegen sich in ihrer «Zauberflöte»-Erzählung auf der symbolischen Ebene, über die sie innere Vorgänge sichtbar machen. Es sind die Bilder, die Jugendliche von heute in sich tragen. Das Idealbild der Frau, das Konterfei der Pamina, das Tamino besingt, ist vervielfältigtes Foto: Projektionsfläche des Begehrens.

Zauberflöte als Lichtstab

Stark der Auftritt der Königin der Nacht, die als dominante, verschlingende Mutterfigur wie eine Popdiva von der Empore hinabsteigt. Papageno, der Vogelfänger und Naturmensch, der Tamino auf seinem Weg hin zu Pamina begleitet, verkörpert mit Bart und Frauenkleid, das Vogelfedern andeutet, Männliches und Weibliches. Symbolisch deuten Hölscher und Weingarten auch die Zauberflöte: Sie ist phallischer Lichtstab. Papagenos Zauber-Glockenspiel ist eine Art Laterne und steht fürs Weibliche. Auch die drei Knaben, diese Wegbereiter des Glücks, sind Lichtbringer. Alles Zauberwerk, dient dazu, in der dunklen Nacht sehen zu lernen.

Die Welt Sarastros und seines Geheimbundes ist eine Maschinenwelt. Es sind Traummaschinen, die Tamino und Pamina auf ihrem Weg zur Liebe durchschreiten müssen. Poetische Maschinen, als hätte Leonardo da Vinci sie entworfen. Sarastro ist ein zwar humaner, aber kalter Patriarch, Figur einer vergangenen Epoche. Ebenso wie seine Eingeweihten: Ein bürgerlicher, abgetakelter Altherrenverein, der zu seiner Herrscherzeit zwar aufklärerisches Gedankengut verbreitet, Freiheit und Individuation gepredigt, aber ebenso versklavte Arbeiter und Kriegskrüppel produziert hat. Hier gelingen Hölscher und Weingarten poetische und mit Ironie versetze Bilder, die Emanuel Schikaneders Dichtung durchleuchten, das Männerbündlerische entlarven. In ihrer Prüfung gehen Tamino und Pamina denn auch nicht durch Feuer und Wasser: Sie lösen sich von ihren Eltern, von Sarastro und der Königin der Nacht, überwinden die gestrigen Charaktere, beschreiten den Weg zur Selbstständigkeit und dringen vor in eine neue Zeit. Was diese bringt, bleibt offen.

Hölscher und Weingartens Inszenierung, diese poetische Beschreibung des anfänglich leeren Raumes, schafft einen eigenen Bühnenzauber mit einer schon fast barocken Bühnenmaschinerie. Die abrupten Wechsel im Libretto vermeidet die Regie bewusst nicht. Trotz der fahrenden und tanzenden Traummaschinen wirkt die Szenerie oft statisch, das Spiel der Darsteller bleibt teilweise auf der Strecke – sehen wir ab vom fantastischen, agilen Bariton Thomas Tatzl als Papageno und von Karl-Heinz Brandt, der mit seinem markanten, hellen Tenor den schwarzen Sklaven Monostatos, als Verkörperung des Todes mit komödiantischem Geist, gibt. Und von den mit Schalk virtuos und markant singenden und spielenden drei Damen Bryony Dwyer, Dara Savinova und Sofia Pavone.

Aber meist verschwindet das frech Komödiantische, das in Mozarts Oper mit drinsteckt, doch sehr hinter der psychologischen, poetischen Lesart.

Jede «Zauberflöte» lebt auch davon, wie Sarastro und die Königin der Nacht besetzt sind. Da zeigt das Theater Basel eine glückliche Hand: Bass Callum Thorpe, der schon in Saint-Saëns’ «Samson et Dalila» am selben Ort begeistert hat, ist ein grandioser Sänger, der mit seiner dunklen, prägnanten Stimme den zwiespältigen Charakter genau zeichnet. Mari Moriya gestaltet als Königin der Nacht in den virtuosen Koloraturen mit den berühmten Spitzentönen auch das Keifende. Sie mimt perfekt eine abdankende Diva. Tenor Sebastian Kohlhepp ist ein etwas ungelenker Traumprinz mit einem schön geführten, teilweise metallisch klingenden Tenor. Anna Gillingham singt die Pamina mit warmem Sopran, in ihrer Liebeschmerzarie aber, da vibriert ihre Stimme zu sehr.

Mozart – fein modelliert

Vom jungen Dirigenten Christoph Altstaedt wird Mozarts Musik fein modelliert, er gestaltet jedes Detail, macht so manch schöne melodische Linie hörbar, aber er wählt oft langsame Tempi und kann dabei vor lauter Modellieren die Spannung nicht halten. Mit kompaktem, kraftvollem Sound erklingt die Ouvertüre, federnd im Rhythmus, packend und voller Energie ist die Begleitung der schnellen Arien. In den beseelten, langsamen Arien aber schwindet genau diese Energie. Hier stellen sich wenige Male auch leichte Abstimmungsprobleme zwischen Orchester und Sängern ein, hat sich noch etwas Nervosität eingeschlichen. Im kraftvollen Schlusschor aber, in dem das Licht der Utopie ins Dunkel einbricht, ist sie wieder da, die musikalische Energie.

Eine bilderstarke, poetische «Zauberflöte» ist dem Theater Basel in der zweiten Opernproduktion der neuen Ära von Andreas Beck gelungen, die vom Publikum gefeiert wurde.

Theater Basel Vorstellungen siehe www.theater-basel.ch