Das Staatenhaus am Rheinpark probt schon einmal seine Zukunft: Die Interimsspielstätte der Oper Köln in dieser und der nächsten Spielzeit soll mittelfristig ein Tempel des Musicals werden. Die Soziolekte der Originalsprache und die prunkvollen Kostüme bringen der musealen Inszenierung von My Fair Lady den entscheidenden Kick.

Der im Staatenhaus aufgebotene Stil wäre auch für Mary Poppins geeignet: Die aufmarschierenden Suffragetten, das abgewrackte Hotel King George, das typische Studierzimmer eines britischen Gelehrten und die hochherrschaftliche Fassade einer Villa der besseren Gesellschaft beweisen den Anspruch dieser historischen Rekonstruktion, die My Fair Lady zu Beginn des 20. Jahrhunderts ansiedelt. Nach der swingenden Ouvertüre geht es dann auch schon los mit dem Schlagabtausch zwischen sozialem up and down.

Eliza Doolittles Akzent stammt dank Aoife Miskelly zwar eher aus der nordirischen Gosse, aber das mag dem von Stephen Chaundy überragend gespielten Sprachlehrer Higgins und dem Kölner Publikum einerlei sein; Papa Doolittles Aussprache (Phillip Joll stammt aus Wales) ist, durch das Prisma der Oxforder Sprachnorm gesehen, keinen Deut besser, aber verstärkt umso mehr das Charisma seines bühnenerfahrenen und ausdrucksstarken Interpreten. In weiteren Nebenrollen überzeugen Andrea Andonian (eine facettenreiche Mrs. Pearce) und Katherine Marriott als spitzzüngige Mrs. Higgins.

Das Experiment, Eliza Doolittle mittels forcierten Sprachunterrichts zu einer echten Lady zu machen, droht zunächst fehlzuschlagen, denn nicht der Slang des Blumenmädchen nähert sich der Hochsprache, sondern Wettpartner Pickering zeigt eine bedrohliche Tendenz zur linguistischen Assimilierung an das Versuchsobjekt. Dass man auch aus Nonsens einen Schlager machen kann, beweist Loewes musikalischer Einfallsreichtum, und wenn das Publikum dank letzterem jetzt weiß, dass der Regen in Spanien vermehrt im Flachland auftritt („The Rain in Spain stays mainly in the plain“), so nimmt es auch andere tiefsinnige Gedanken mit auf den Weg ins neue Jahr; etwa manch absurde Frage des Professor Higgins („Why can’t a woman be more like a man?“) oder auch die sich subtil an den Kant’schen Imperativ anlehnende und an seinen Freund adressierte Weisheit Pickerings: „The difference between a flower girl and a lady is not the way she behaves, but the way she is treated.“

Das Tanzensemble und der Chor der Oper Köln tragen entscheidend zur Unterhaltung bei, ob sie nun als Straßenjungen, Prostituierte und Zeitungshändler oder schick als Aristokraten beim Rennen in Ascot und beim Hofball erscheinen. Allerdings liegt hier auch ein Manko: So flott die Truppe auch auftritt, ihre Präzision und das rhythmische Zusammenspiel mit dem Orchester sind verbesserungsfähig, und das liegt keinesfalls an der zackigen musikalischen Leitung, die jeglichen Einsatz klar vorgibt. Aber Kostüme und Beleuchtung lassen alles in einem äußerst effizienten Licht erscheinen, und als Eliza in einem weißen Traum mit Federn die Galatreppe hinunterschwebt, sieht und hört man sowieso nur noch sie.

Aoife Miskelly ist eine charmante und trotzig-entzückende Eliza Doolittle, aber ihr strahlender Sopran kommt in der sehr mezzolastigen Rolle leider erst im zweiten Teil vollauf zur Geltung. Durch und durch überzeugend ist ihr Partner Stephen Chaundy, dessen ausgezeichneter und auch im Sprechgesang geübter Tenor gesanglich nur noch von Bariton Wolfgang Stefan Schwaiger (Freddy Eysnford-Hill) ausgestochen wird. Allen Sängern schadet die durch die Räumlichkeiten notwendige Verstärkung per Kopfmikrophon nicht, allerdings wird hierdurch leider der Unterschied zum in der Balance relativ schwachen Chor deutlich. Das vom nicht nur opern- sondern auch operettenerfahrenen Andreas Schüller wendig dirigierte Gürzenich-Orchester kann allen Nuancen des Musicalstils gerecht werden – und man merkt, dass es daran Spaß hat!: Schwungvolle Tanzmusik, jazzige Töne, filmhaft-schwelgende Streicher... Ich hätte heute Abend auch tanzen können, Eliza.

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