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  4. Staatsoper München: „South Pole“ von Miroslav Srnka enttäuscht

Bühne und Konzert Neue Oper „South Pole“

So klingt das tödliche Rennen um den Südpol

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Alles schön symmetrisch: Die Oper „South Pole“ von Miroslav Srnka in der Bayerischen Staatsoper Alles schön symmetrisch: Die Oper „South Pole“ von Miroslav Srnka in der Bayerischen Staatsoper
Alles schön symmetrisch: Die Oper „South Pole“ von Miroslav Srnka in der Bayerischen Staatsoper
Quelle: W. Hösl
Neue Opern haben es schwer. Doch nun haben sich in München Klassik-Superstars um Rolando Villazón zusammengetan, um Miroslav Srnkas Stück „South Pole“ uraufzuführen. Es beruht auf wahren Ereignissen.

Rolando Villazón! Thomas Hampson! Kirill Petrenko! Hans Neuenfels! Arte-Übertragung! Und das alles nicht etwa für eine festliche Verdi-Premiere, sondern für die glamourös aufgetakelte Uraufführung eines Komponisten, den 99,99 Prozent der Premierenbesucher der Bayrischen Staatsoper nicht kennen. Miroslav Srnka heißt er. Der 40 Jahre alte, in Prag lebende Tscheche ist, obwohl seine Werke schon beim Festival für neue Musik in Donaueschingen gespielt wurden und er bereits drei kleinere Opern geschrieben hat, noch nicht wirklich auffällig geworden.

Und jetzt bekommt er die ganz große Bühne für „South Pole“. Die Doppeloper in zwei Teilen vertont den eigentlich absurden Antarktiswettlauf zwischen dem hier Bariton singenden Roald Amundsen und dem als Tenor antretenden Robert Falcon Scott. Der Norweger gewann das Rennen am 11. Dezember 1911 mit dem Erreichen des Südpols. Der Brite zog den Kürzeren und Tödlicheren: Er blieb im ewigen Eis.

Es braust und windet, heult, knirscht und knarzt bereits zum Einzug der Premierengäste bei echtem Schneeregen unter den mächtigen Portalsäulen des Nationaltheaters. Doch das ist nur eine einstimmende „Klanginstallation des Unbewohnbaren“ von Moritz Gagern. Die hat allerdings weit packendere akustische Atmosphäre zu bieten, als die folgenden zwei Musiktheaterstunden drinnen.

Schneeblind durch Bühnenkunst

Selbst Soundtrack-Altmeister Ennio Morricone hat in dem gerade angelaufenen eiskalten Tarantino-Western „The Hateful Eight“ mehr lakonisch-spannungsvolles weißes Klangrauschen erfunden als Miroslav Srnka mit seiner halbmeterhohen Partitur, die ein Strauss-Orchester, Kuhglocken, Eierschneider und Schmirgelpapier aufbietet, das aber insgesamt enttäuschend wenig beschäftigt ist.

Vielleicht hat man es auch nur nicht arbeiten sehen, weil man durch Katrin Connans clean-aseptische und meist grell ausgeleuchtete Bühnenlandschaft schneeblind wurde? Die besteht aus einer weißen Einheitsraumkiste mit einem um 90 Grad gedrehten, spitz zulaufenden Zeltdach als Rückwand, dessen vier Balken in der Mitte ein schwarzes Kreuz bilden. Auf dem Boden in der Mitte teilt längst ein weißer Balken die Spielfläche für die beiden Parallelhandlungen der zwei Forscherzüge, die sich im wahren Leben nie gesehen haben.

Schwarz und Weiß. Das ist zunächst reizvoll in seiner streng kontrastiven Symmetrie. Je vier Vasallen treten für jede Suchpartei auf, die sich an der Stimmlage des jeweiligen Anführers orientieren. Sie agieren pro Opernteil in jeweils sieben Szenen, wovon die erste und die letzte weitgehend a cappella geführte Telegramme sind, in denen Morsezeichen imitiert werden. Andrea Schmidt-Futterer hat dazu schicke Plüschanzüge in schmutziggrauer Robbenfelloptik für das Team Bariton und elegant-schwarze Lackjacken für die Tenortruppe geschneidert: Sie würden jeder Willy-Bogner-Vintage-Fashionshow zu Ehre gereichen.

Dann müssen auch noch die Tiere dran glauben: Hund und Pferd haben die Reise zum Südpol nicht überlebt, auch in der Oper nicht
Dann müssen auch noch die Tiere dran glauben: Hund und Pferd haben die Reise zum Südpol nicht überlebt, auch in der Oper nicht
Quelle: W. Hösl

Hans Neuenfels, der ganz brav und übersichtlich diesen szenischen Doppelstrang auswickelt, darf zudem je sechs Statisten mit stilisiertem Hundekopf oder Pferdeschädel auftreten lassen, welche die Gruppen wirklich dabei hatten, aber auf halbem Weg wegen Ballastentsorgung erschossen. Zudem hat der australische Librettist Tom Holloway in seinem mal männerrüden, dann wieder durchaus poetischen englischen Text, der zunächst unterhaltsam, für eine neue Oper erstaunlich klar und clever entwickelt ist, auch noch eine Doppelausgabe des ewig Weiblichen eingebaut – das an diesem Ort freilich nur symbolisch zu verstehen ist.

Meist auf der Vorderbühne produzieren sich die Mezzosopranistin Tara Erraught hochgeschlossen als Scotts (baldige) schwarze Witwe und die mal wieder typgerecht als Koloraturnymphe eingesetzte Mojca Erdmann im weißen Hemdchen mit Blecheimer als ewige Affäre Amundsens. Was schließlich zu einem fast schon kitschigen Quartett vergeblichen Liebens und aneinander Vorbeisäuselns der beiden Protagonisten samt innere Frauenstimme als erstes Finale führt: Gefrierpunkt-Belcanto der wirkungsvoll gesetzten Art.

Gesungen wird sowieso höchst manierlich, meist im deklamatorischen, elektronisch verstärkten Grundduktus. Thomas Hampson hat, obwohl er den eigentlich unsympathischen, leistungsorientierten und organisierten Amundsen gibt, den dankbareren Part. Er darf lyrisch, meist in hohen Lagen verbleibend, respektvoll reflektieren und rühren, was er glanzvoll vermag. Hans Neuenfels schenkt ihm nach erfolgreicher Rückkehr sogar noch einen eleganten Auftritt im Frack.

Das Akkordeon tönt in der weißen Weite

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Rolando Villazón macht sich den chaotischen, tragischen Scott wie meist mit voller Dröhnung zu eigen, obwohl die Vokallinie nicht selten unter der des Baritons liegt, überhaupt viel bequeme Mittellage vorherrscht. Sein Team spielt Fußball und verliert sich in Nebensächlichkeiten wie etwa einem unter possierlichen Tischfeuerwerk kaputt gehenden Schneekettenfahrzeug, einem „Carusophon“ als Weckerersatz, während die Norweger zielstrebig vorankommen.

Ein packender Wettlauf, der erst nach der Pause im Ziel endet, wird das freilich zu keiner Opernzeit. Weil Miroslav Srnka mit gewaltigem Aufwand eigentlich nur vornehme Leerstellen komponiert. Gefühlt hat das in einer Proszeniumsloge wimmernde und mit zarten Liegetönen verharrende Akkordeon in dieser arg artifiziellen akustischen Antarktis am meisten zu tun.

Assistiert von der zart perlenden Harfe soll es vornehmlich einen tönenden Eindruck von gleißender Weite und Leere, aber auch von wild tobenden, an jeglicher Existenz rührenden Elementen vermitteln. Was nur selten und dann wenig abwechslungsreich gelingt, obwohl Kirill Petrenko am Pult des Staatsorchesters die karg blubbernden, bisweilen aufwallenden Klänge akribisch sortiert und entfaltet.

1911 begann der Wettlauf zum Südpol

Es ist einer der bekanntesten Wettläufe. Der Briten Robert Falcon Scott und der Norweger Roald Amundsen wollen als erstes den Südpol erreichen – in unterschiedlichen Teams.

Quelle: STUDIO_HH

Dabei wäre geräuschmusikalisch so viel möglich gewesen. Man muss nur an die Extreme von Aribert Reimanns apokalyptisch perkussiv-gewitternden „Lear“ erinnern, der auf dieser Bühne 1978 uraufgeführt wurde. Oder an die spröde, splissige, tödlich wispernde, fies schnarrende und schmirgelnde Schneeödnis der herzlosen Großstadtanonymität von Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzchen“.

In „South Pole“, wo selbst abgefrorene Hände und Füße vor allem hübsch geschminkt aussehen, langt es allerdings nicht einmal zu einer fein sortierten Schneeballschlacht. Sondern nur zu einem öden, antarktischen Gähnen. Was das nie um seine Ruhe gebrachte Münchner Auditorium mit kurzem, durchaus warmem Beifall goutierte.

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