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Faust

Oper in vier Akten
Dichtung von Jules Barbier und Michel Carré
Musik von Charles Gounod



in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere der Koproduktion mit der
Deutschen Oper Berlin
im Aalto-Theater Essen am 30. Januar 2016


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Marguerite!

Von Thomas Tillmann / Fotos von Karl Forster

Nach den Stationen Basel und Deutsche Oper Berlin hatte Philipp Stölzls Inszenierung von Charles Gounods Faust nun am Essener Aaltotheater ihre (dritte) Premiere.

Vergrößerung in neuem Fenster Marguerite (Jessica Muirhead) ist schwer beeindruckt vom Inhalt der Geschenkboxen, die sie vor ihrem Wohnwagen gefunden hat.

An Selbstbewusstsein fehlt es dem Regisseur nicht, wenn er im Interview mit den Berliner Dramaturgen preisgibt: "Ich denke, die Oper täte eigentlich besser daran, die Partituren mehr als Material zu betrachten." und "Ich glaube, dass die Oper sich damit keinen Gefallen tut, wenn Partituren sakrosankt sind." Natürlich sind damit jeglicher künstlerischen Willkür Tor und Tür geöffnet - eine Collage aus Gounods und Boitos Oper und weiteren Quellen beispielsweise könnte da der nächste bedenkliche Schritt sein, der an sich natürlich nicht bedenklich und vielleicht sogar reizvoll ist - künstlerische Freiheit und Experimente sind ein hohes Gut -, sondern nur, wenn das Ganze unter dem Namen Gounod verkauft und so falsche Erwartungen geweckt werden. Es bleibt abzuwarten, wie viele Besucherinnen und Besucher in ein Philipp-Stöckl-Faust-Projekt strömen würden. Zum Erfüllen eines Vertrages gehört es aus meiner Sicht aber, auch solche Stellen eines Werkes zu inszenieren, die einem nicht spontan liegen.

Genug Grundsätzliches, wenden wir uns der konkreten Produktion zu: Im Faust erlauben es Stöckl zahlreiche Striche, den Fokus ganz auf die Figur der Marguerite und die Geschichte eines Missbrauchs einer Fünfzehnjährigen durch einen viel älteren Mann zu legen, auf die "Ausgrenzungsgeschichte" in einer "religiös-machoid geprägten" Gesellschaft, deren Enge und Muffigkeit er im Verbund mit Kostümbildnerin Ursula Kudrna durchaus überzeugend illustriert, wenn er den Chor mit einer Art "50er-Jahre-Puppenköpfen"-Masken auftreten lässt (was zwar klanglich nicht zu Einschränkungen führte, aber der Präzision des gemeinsamen Singens an einigen Stellen nicht eben förderlich war). Die Handlung an sich verlegt er in die USA (die von Marguerite erträumte tortenähnliche Wedding Chapel, ein flirrendes Dollar-Zeichen, die bunten Lichter in den Tannen, auch das Ende Marguerites im Todestrakt sind hier die "Zutaten"), wo sich eine solche Geschichte bis heute wohl eher zutragen könne - das Thema Ehrenmorde in einem muslimisch geprägten Milieu zu zeigen, traut sich Stöckl indes nicht. Genau die Engführung auf Marguerites Schicksal aber, deren winziger Wohnwagen nach Bekanntwerden ihrer "Schande" zerstört ist und mit dem Wort "Nutte" beschmiert wurde, ist es, die den Abend trotz mancher effektvoller Szenen und bemerkenswerter darstellerischer Einzelleistungen letztlich eindimensional und allzu plakativ bleiben lässt (dazu zähle ich auch die Idee, das die junge Frau ihr Kind im Schnee auf offener Bühne bekommt). Dabei hatte Stöckl im bereits erwähnten Gespräch weitere interessante Aspekte in Gounods Oper aufgespürt, ohne diese konsequent genug auf die Bühne bringen zu können, wohl auch, weil er dann seiner Überzeugung untreu hätte werden müssen, dass Oper besser Gefühle als komplizierte Gedankengänge ausdrücken und das Publikum wie er selber mit einem "Wissenschaftler als Sujet einer Oper" nicht viel anfangen könne: Das Thema Midlife- oder Late Life-Crisis oder auch das Verhältnis zwischen Faust und Méphistophélès (das Stöckl doch als "ganz tolle Männerbeziehung" wahrnimmt) werden nur etwas lieblos angerissen, wenn sie nach der Verwandlung des Ersteren, der zunächst in einem Multifunktionsrollstuhl in erbärmlichem Zustand zu sehen war, den gleichen Paillettenanzug tragen und man natürlich begreift, dass es sich eigentlich gar nicht um zwei Personen handelt, sondern um eine einzige mit ihren ambivalenten Seiten (ein nicht ganz neuer Einfall natürlich, wobei er sehr viel deutlicher geworden wäre, wenn der Darsteller des Méphistophélès - wie auf den Fotos aus der Klavierhauptprobe - nicht eine fiese Langhaarperücke getragen hätte).

Szenenfoto

Wider besseren Wissens verliebt sich Marguerite (Jessica Muirhead) in den jungen, schönen Faust (Abdellah Lasri).

Das Publikum zeigte sich beeindruckt von der optischen Lösung, die Stöckl gemeinsam mit Heike Vollmer ausgedacht hatte: Alles dreht sich um einen in der Bühnenmitte installierten wuchtigen Turm (der vielleicht ebenso wie die die Spielfläche begrenzenden Mauern zu einer Kirche gehört, die Marguerite die Erlösung verweigert, denn die Apotheose ist für Stöckl nur ein "kurzer wehmütiger Aufschrei beim Sterben" durch das Hinrichtungsgift), um den herum eine Drehscheibe installiert ist, auf der die Bühnenfiguren häufig stehen oder sich bewegen - man denkt an eine überdimensionierte Spieluhr, ein altmodisches Karussell oder eine Schneekugel, wobei auch hier das Idyll natürlich trügerisch ist.

Vergrößerung in neuem Fenster Méphistophélès (Alexander Vinogradov) will Faust helfen, Marguerite aus dem Gefängnis zu befreien.

Jessica Muirhead war eine überaus sympathische, aber nicht rührselige oder aufgesetzt jugendliche Marguerite, vielmehr eine durchaus moderne Frau in bigottem Ambiente, wie von der Regie vorgesehen; ihr keineswegs riesiger, aber glänzend fokussierter, auch eine keineswegs störende Portion Schärfe aufweisender, leuchtender lyrischer Sopran war eine ungetrübte Freude. Einen hervorragenden Eindruck hinterließ auch Karin Strobos mit frischem, schlichtem Ton und aufregender Höhe als berührender Siébel (besonders in der Romanze), Almuth Herbst machte im mintfarbenen Hausanzug und mit schriller Frisur, vor allem aber mit ihrem prägnanten, keineswegs übertriebenen Spiel und charaktervollem, prallen Mezzo alles aus der Marthe Schwerdtlein.

Abdellah Lasri glänzte in der Titelpartie mit der leicht ansprechenden, strahlenden Höhe seines angenehm timbrierten, schlanken, agilen Tenors. Interessanterweise waren es einzelne Töne in weniger exponierter Lage, namentlich im Übergang zwischen Mittellage und Höhe, in der die Stimme an hörbare Grenzen kam, und auch in der Tiefe fehlt es ihr noch an Gewicht. Die Begeisterung für Alexander Vinogradovs Méphistophélès konnte ich nicht ganz teilen, da gab es neben vielen imposanten Tönen auch ziemlich graue, und auch seine vokale Interpretation empfand ich vor allem im ersten Teil als relativ eintönig, vielleicht auch weil ihm das französische Idiom nicht hundertprozentig liegt.

Szenenfoto

Marguerite (Jessica Muirhead) widersetzt sich der Flucht, zu der Faust (Abdellah Lasri) sie überreden will.

Ein Totalausfall war Martijn Cornet, dessen nicht besonders edler, kaum prägnanter Bariton in beiden Szenen eklatante Höhenprobleme erkennen ließ und entsprechend bei mehreren Tönen kiekste. Im Falle einer Indisposition hätte er auf einer Ansage bestehen müssen, falls es sich um ein grundsätzliches Problem handeln sollte, hätte dies in der Probenphase aufgefallen sein und zu einer Umbesetzung führen müssen (so sensationell war sein freier Oberkörper nämlich in der Musterungsszene nicht, dass die Besetzung allein optisch gerechtfertigt gewesen wäre). Chormitglied Andreas Baronner vervollständigte das Solistenensemble diskret.

Packend, aber sehr kontrolliert musizierten die Damen und Herren der Essener Philharmoniker unter ihrem stets den Kontakt zur Bühne suchenden Gastdirigenten Sébastien Rouland, dem es freilich nicht gelang, dem Kollektiv das letztlich bisschen französische légèreté und ebensolches Raffinement zu entlocken.


FAZIT

Trotz der beschriebenen Einschränkungen ist der "neue" Faust eine durchaus sehens- und hörenswerte Angelegenheit, wenn auch nicht so stark wie beispielsweise der Amsterdamer Faust.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sébastien Rouland

Inszenierung, Bühne
Philipp Stölzl

Co-Regie
Mara Kurotschka

Bühne
Heike Vollmer

Kostüme
Ursula Kudrna

Licht-Design
Ulrich Niepel

Dramaturgische Betreuung
Markus Tatzig

Choreinstudierung
Patrick Jaskolka



Opern- und Extrachor
des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters


Essener Philharmoniker


Solisten

Faust
Abdellah Lasri

Méphistophélès
Alexander Vinogradov

Valentin
Martijn Cornet

Wagner
Andreas Baronner

Marguerite
Jessica Muirhead

Siébel
Karin Strobos

Marthe Schwerdtlein
Almuth Herbst

Bühnenmusik Trompete
Peter Mönkediek






Weitere Informationen
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Aalto Musiktheater
(Homepage)




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