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Jeanne d'Arc
Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna


Handlung in drei Teilen und einem Vorspiel op. 57
Musik von Walter Braunfels (1882–1954)
Libretto vom Komponisten nach den Prozessakten von 1431


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 1) am 14. Februar 2016


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Wie sähe eine heilige Johanna heute wohl aus?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclair

Es wurde ja auch Zeit, dass die Kölner Oper diese Jeanne d'Arc rehabilitiert. Schließlich gehört Komponist Walter Braunfels zu den schillerndsten – und tragischsten – Gestalten der Kölner Musikgeschichte. In der Weimarer Republik war er einer der meistgespielten Komponisten überhaupt, und, bittere Pointe der Historie, Hitler fragte bei ihm 1923 sogar wegen einer Parteihymne an – was Braunfels ablehnte. Von Bürgermeister Adenauer wurde er zum Gründungsrektor der Musikhochschule berufen. In der kruden Rassenlehre der Nazis freilich galt er als Halbjude, auch wenn sein jüdischer Vater längst zum Protestantismus konvertiert war (er selbst wandte sich dem Katholizismus zu). 1933 aus dem Amt entfernt und mit Berufsverbot belegt, verkroch er sich in der Provinz, schrieb zwischen 1938 und 1943 in der Nähe von Überlingen am Bodensee an eben dieser Oper. Als der Nazi-Spuk vorbei war (und Braunfels zurück an die Hochschule ging), hatte das Publikum wohl genug von Führer- und Leitfiguren aller Art, mochten sie auch jungfräulich sein: Jeanne d'Arc war nicht zeitgemäß, weder inhaltlich noch musikalisch, da wehte aus Darmstadt her längst ein anderer, atonaler Wind herüber. Erst im 21. Jahrhundert fand das Werk sein Publikum, zunächst konzertant, 2008 an der Deutschen Oper Berlin auch auf der Bühne.

Szenenfoto

Überlebende einer Katastrophe (Chor und Extrachor, irgendwo dazwischen Johanna)

In Köln hätte die Oper ganz prominent die erste Spielzeit im sanierten Opernhaus am Offenbachplatz zieren sollen, aber das wurde bekanntlich nicht rechtzeitig fertig – so spielt man notgedrungen im Staatenhaus auf der Deutzer Rheinseite, unter akustisch wie technisch eingeschränkten Bedingungen, und das mit einem Riesenapparat (der einer größeren Verbreitung des Werkes sicher auch im Wege steht). Am Pult steht mit Lothar Zagrosek ein Braunfels-Kenner per excellence (auch die konzertante Uraufführung hatte er dirigiert), und mit welcher Umsicht er das riesige, durch einen Laufsteg noch geteilte sehr gute Gürzenich-Orchester (mit herausragendem Solo-Trompeter), den ausgesprochen klangschönen Chor (verstärkt um Extra-Chor und die Kinder des Kölner Dom-Chors) und das große Solistenensemble leitet, das verdient allein schon größte Bewunderung. Aber Zagrosek trifft auch Braunfels' Tonfall zwischen spätromantischer Emphase und neuer Sachlichkeit mit ihren Stilbrüchen ausgezeichnet. Und dabei musste noch kurzfristig umdisponiert werden: Die (im Vorfeld mit viel Vorschusslorbeer bedachte) Natalie Karl in der Titelpartie verletzte sich bei der Generalprobe so schwer, dass sie den Premierenabend im Krankenhaus verlebte. Noch so ein Wunder im krisengeschüttelten, aber auch krisenerprobten Köln: Mit Juliane Banse konnte man tatsächlich kurzfristig eine Sängerin verpflichten, die diese Partie mehrfach gesungen hat und vom Rand aus musikalisch gestalten konnte – während Regisseurin Tatjana Gürbaca auf der Bühne agierte.

Szenenfoto

Jeanne (hier wie auf den anderen Bildern: Natalie Karl, die nach einem Bühnenunfall in der Generalprobe alle Aufführungen absagen musste) und gleich doppelt der heilige Michael - hinten als Barockengel, vorne als hilfsbedürftiges Kind

Dabei ist selbst unter optimalen Bedingungen die Auseinandersetzung mit dem Werk nicht unproblematisch; so hatte eine konzertante Aufführung bei den Salzburger Festspielen 2013 Zweifel an der Bühnentauglichkeit eher verstärkt als verworfen (unsere Rezension). Intendantin Birgit Meyer hat gut daran getan, mit Tatjana Gürbaca eine ebenso intelligente wie kritische Regisseurin zu verpflichten, von der man keine historische Bebilderung erwarten darf, aber auch keinen falschen Respekt vor dem Komponisten. Auch wenn im Umfeld dieser Premiere wiederholt hervorgehoben wurde, dass Braunfels im Aufstieg und tiefen Fall der jungfräulichen Johanna Parallelen zur eigenen künstlerischen Existenz sah, sich selbst als Künstler von den Nazis als „verbrannt“ wahrnahm – eine einfache Parabel verweigert die Regie. Vielmehr deckt sie die Brüche auf, die sich bewusst oder unbewusst durch Text und Musik ziehen. Die mitunter überbordenden katholischen Elemente dekonstruiert sie, stellt die Verherrlichung Johannas als verkitschte Inszenierung dar, deutet mit ein paar kleinen Gesten ganz nebensächlich die sexuellen Verfehlungen der Kirche an (was wegen der Jungfräulichkeit der Heldin in der Luft liegt) und zeigt die Verbrennung als Verschwinden, das eine Leerstelle zurück lässt.

Szenenfoto

Karl von Valois, hier noch vor seiner Krönung zum König von Frankreich

Natürlich ist die Handlung im Heute angesiedelt. Die Bühne (Stefan Heyne) zeigt eine sich zur Decke wölbende Trümmerlandschaft wie nach einem Tsunami, Flugzeugabsturz oder Angriff – mit kleinen Zeichen des Wiederbeginns: Ein Wäscheständer, ein Klavier, ein Boot deuten so etwas wie Zukunft an. Der Chor, dessen Bedeutung von Szene zu Szene wechselt, könnte zunächst eine Gruppe von Flüchtlingen sein. Der heilige Michael (Ferdinand von Bothmer mit leichtem, sicheren Tenor) erscheint gleich doppelt, als ironisch gebrochene Barockfigur mit Flügeln und als ganz ähnlich gekleideter Knabe, den Johanna schützend aufhebt und trägt. Damit wird die Berufung zur inneren Stimme, die angesichts des Elends Humanität einfordert. Und Justyna Samborska und Judith Thielsen als heilige Katharina und heilige Margarete singen so betörend schön, dass Johanna gar nicht anders kann als ihnen zu folgen (später entpuppen die beiden sich als ziemlich folkloristisch ausstaffierte Wesen). Der unsichere Thronfolger Karl (überragend: Matthias Klink) erscheint im Schlafanzug. Auch die meisten anderen Kostüme (Silke Willrett) sind mehr oder weniger stark verfremdet, haben oft etwas Puppenhaftes und schaffen antirealistische Distanz. (Und dann tritt der Chor wieder in Alltagskleidung auf und zeigt, dass es doch um ganz aktuelle Fragen geht).

Szenenfoto

Der Vicar-Inquisitor verkündet Jeanne das Urteil: "Nur" Kerker, weil sie doch widerrufen hat. Sie wird ihren Widerruf zurückziehen und verbrannt werden.

Mag Braunfels sich auch manches anders gedacht haben – die Regie trifft den Charakter der Oper. Beispielsweise zelebriert Braunfels das Krönungszeremoniell Karls mit üppiger, scheinbar ungebrochener Klangpracht, dass man sich vor lauter Anachronismus die Augen oder besser Ohren reibt – und schiebt dann den machtbesessenen Zyniker Trémuoille nach, der sich über das Spektakel und die Verblendung der Volksmassen lustig macht. In solchen Brüchen zeigt sich die Modernität der Oper, auch eine gedankliche Nähe zu Kurt Weill oder Paul Dessau, und das greift die Regie raffiniert auf. Sie führt die wachsenden Zweifel vor, nicht nur der Hauptfigur, sondern des Werkes an sich, das zu keiner eindeutigen Lösung findet und viele Fragen im Raum stehen lässt. Eine zusätzliche Brechung erhielt die Inszenierung bei der Premiere dadurch, dass die Regisseurin (mit jugendlichem Schwung) die Johanna selbst spielt – allerdings ohne durch Mundbewegungen den Gesang anzudeuten, was die Figur noch stärker zur Projektionsfläche werden lässt. Juliane Banse sang derweil aus dem Orchester; für ihre Stimme gilt, was schon bei der Salzburger Aufführung zu hören war: Eher klein, mitunter flach oder kehlig, und an einigen Stellen hat Braunfels einfach einen Heroinen-Aplomb einkomponiert, über den sie nicht verfügt. Aber die Partie ist intelligent gesungen, ohne falsches Pathos, aber mit vielen anrührenden Momenten. Und noch zwei weitere Sänger müssen unbedingt erwähnt werden: Oliver Zwarg als stimmgewaltiger Gilles de Rais, bedingungsloser Gefolgsmann Johannas (der sich, das ist vorsichtig angedeutet, radikalisieren und zum Verbrecher werden wird), und (etwas weniger wuchtig, aber präzise artikulierend) Bjarni Thor Kristinsson als Machtstratege Trémouille, dem eine Märtyrerin mehr dient als eine scheiterndes Bauernmädchen mit Heiligenvisionen.

So zeigt die Regie die Spannungen innerhalb des Werkes, auch Anachronismen, kaschiert auch nicht manche holzschnittartig epigonal geratenen Szenen. Damit kommt sie dieser Jeanne d'Arc ziemlich nahe. Gleichzeitig wirft sie eine Fülle von losen Assoziationen auf, deren Aktualität auf der Hand liegt, ohne das Stück konkret deuten oder gar entschlüsseln zu wollen. Durchweg einhellig war der Beifall dafür nicht. Aber dazu sind sowohl Walter Braunfels als auch Tatjana Gürbaca zu unbequem.


FAZIT

Nein, hier wird die Jeanne d'Arc nicht einfach zum vergessenen und endlich wiederentdeckten Meisterwerk stilisiert, sondern ein Werk mit Widersprüchen und Widerhaken auf ausgesprochen hohem szenischen und musikalischem Niveau zur Diskussion gestellt. Einer der spannendsten Opernabende der Saison.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lothar Zagrosek

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühne
Stefan Heyne

Kostüme
Silke Willrett

Licht
Andreas Grüter

Chor
Andrew Ollivant

Dramaturgie
Georg Kehren


Statisterie der Oper Köln

Chor und Extrachor der Oper Köln

Mädchen und Knaben des Kölner Domchors

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Johanna
Juliane Banse (singt)
Tatjana Gürbaca (spielt)

Hl. Michael
Ferdinand von Bothmer

Hl. Katharina
Justyna Samborska

Hl. Margarete
SJudith Thielsen

Karl von Valois
Matthias Klink

Erzbischof von Reims
Luke Stoker

Cauchon, Erzbischof von Beauvais
Martin Koch

Vicar-Inquisitor
Dennis Wilgenhof

Jacobus von Arc
Dennis Wilgenhof

Colin, ein Schäfer
Ralf Rachbauer

Gilles de Rais
Oliver Zwarg

Herzog von La Trémouille
Bjarni Thor Kristinsson

Herzog von Alençon
John Heuzenroeder

Ritter Baudricourt
Christian Miedl

Lison, seine Frau
Adriana Bastidas Gamboa

Bertrand de Poulengy
Alexander Fedin

Florent d'Illiers
Luke Stoker

Page
Dongmin Lee

Englischer Hauptmann
George Ziwziwadze

Hl. Michael (Kinderstatist)
Tassilo Luksch



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