Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Hamza Saad

Aktuelle Aufführungen

Licht für eine äthiopische Sklavin

AIDA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
14. Februar 2016
(Premiere am 9. Dezember 1989)

 

 

Aalto-Musiktheater Essen

Wenn eine Inszenierung nach einem Vierteljahrhundert immer noch fasziniert, muss es sich um große Kunst handeln. Groß in der Bedeutungstiefe, groß in der Bildsprache, groß in der musikalischen Differenzierung. Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper Aida ist dafür ein grandioses Beispiel.

Die jetzt erfolgte Wiederaufnahme bestätigt das auf eindrucksvolle Weise. Sie zeigt eine perzeptive Aneignung von Welt, in der Heimat und Vaterland noch ihren festen Platz zu haben scheinen. Als Aida im Dezember 1989 am Aalto-Musiktheater Essen Premiere feierte, lag der Kalte Krieg gerade hinter uns, und die nationale Neuordnung der osteuropäischen Staaten sowie die Globalisierung hatten gerade erst begonnen. Manchem Politiker wäre zu wünschen gewesen, diese Aida mit wachem Auge zu sehen und zu hören. Aber Politiker machen leider eher lautstark Theater, ehe sie ins Theater gehen, um mit dezidiert anderen, möglichen Perspektiven auf die Welt zu blicken.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Aida, eine der populärsten und meist gespielten Opern weltweit, steht mit jeder Inszenierung in der Gefahr, das Beziehungsdreieck ägyptischer Herrschaft vom Heerführer Radames und der Pharaonentochter Amneris sowie der äthiopischen Sklavin Aida zu einer kriegerisch konnotierten Liebessackgasse zu verengen. Hilsdorfübersetzt die thematische Dimension des Librettos nach der Erzählung La fincée du Nil von Auguste Mariettein kongenialer Weise, besonders durch die Beleuchtung Jürgen Nases mit narrativen Licht-Schatten-Kontrasten.

Kelebogile Besong als Aida - Foto © Hamza Saad

Machtposen des Oberpriesters Ramphis zeichnen durch seitlich konzentriertes Licht überlängte Schlagschatten. Radames‘ Liebeswerben um Aida und deren unauflösbare Verpflichtung einer von Liebeshoffnung getragenen Sehnsucht wird demgegenüber mit Licht-Spots von oben zu einer gemeinsamen Schattenlinie zusammengefügt. Amneris, in dem sie versucht, Radames auf ihre Seite zu ziehen, tritt ebenfalls in jene dunkle Schattenstruktur, erweitert sie als Dritte.

Für diese Licht-Symbolik hat Johannes Leiacker eine Bühne mit assoziationsreichen Markierungen gebaut. Auf einem durchsichtigen Vorhang korrespondiert die Pyramiden-Dreieckslinie mit dreieckigen, pfeilartig angeordneten Lichtpunkten. Während Ouvertüre und der ersten Szene bildet der Vorhang eine Scheidelinie, der Amneris und Aida mit ihren Liebeshoffnungen von Radames und seinen Kriegshelden trennt. Das Vorspiel als Hoffnungsperspektive, den Krieg aus der Liebe fern zu halten.

In dem Moment, als sich der Vorhang hebt, wird eine gelbe Trennlinie sichtbar, die von einem hochragenden stählernen Mast ins Unendliche gespiegelt wird. Er funktioniert in der Inszenierung als Sende- und Empfangsmast zugleich. In Verbindung mit der Unendlichkeitslinie ist er Opferort. Gott Phtá als Jünglingsopfer, wie ihn in der Person Jesus auch die christliche Religion kennt, eingebunden in die Kriegsfahnen, in denen sich Amneris schon zuvor in einem roten, mit Guerra beschrifteten Tuch demonstrativ zeigt, wird im Licht zur Kreuz-Apotheose. Radames bekennt hier freudig, aus Liebe zu Aida lieber sterben zu wollen, als seinen sogenannten Vaterlandsverrat zu bereuen.

Mit dem letzten Bild, Radames ist unter dem Tempel bei lebendigem Leib begraben, hat Verdi jeder inszenatorischen Umsetzung eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Leiackerhat für HilsdorfsIntentionen, der Liebe zum Leben in einer Welt, wo Einheimische und Fremden zusammenleben können, einen Möglichkeitsraum gebaut. In einem Endgültigkeit als auch Unendlichkeit assoziierenden Halbdunkel flackert die Hoffnung noch einmal irrational auf.

In diesem klaustrophobischen Kontinuum biegt die Inszenierung mit beklemmender Suggestionskraft auch sängerisch triumphal in die Schlusskurve ein. Der Sopran von Kelebogile Besong gibt ihrer Aida eine farbige Aura, die mitunter dämonisch bis in den Alt raunt und bis in himmlische C-Höhen reicht. Sucht sie in den ersten Takten noch nach dem ihr eigenen Aida-Ton, findet sie ihn nun in klangschöner Charakteristik.

Helena Zubanovich lotet die Persönlichkeit der Amneris, schwankend zwischen kurzzeitigen Unsicherheiten und demonstrativem Machtbewusstsein, sängerisch differenziert aus. Ihr Mezzosopran, der in den ersten Szenen in der Stimmfärbung dem Sopran Besongsähnlich und damit auch Ausdruck einer friedlichen Hoffnungsnähe ist, zeichnet eine Frau, die bis zum Schluss an ihrer Liebe trotz alledem festhält. Gemeinsam in der Gruft mit Radames und Aida beschwört sie Pace, Frieden. Einen Frieden, den sie alle nicht finden können, weil er den nationalistischen Forderungen im Wege steht.

Gaston Rivero als Dreiecksspitze, die in alle Richtungen und letztlich auch sich selbst sticht, braucht relativ lange, um seinem Tenor einen zwiespältigen, gleichwohl selbstbewussten Radames-Ton zu geben. Gegenüber dem sonoren Bass von Tijl Faveyts als intriganter Oberpriester Ramphis hat er es ebenso wie im Widerpart mit dem charismatischen Bariton Heiko Trinsinger als Amonasro, dem König von Äthiopien schwer, sich zu behaupten. Er muss langfristig viel emotionale Gestaltungskraft aufbringen, um sich selbstbewusst, wenn auch spät zu Aida zu bekennen.

Die opulente Inszenierung von Hilsdorfbeeindruckt durch von der Bühne bis ins Parkett und in den Rang reichende Interaktionen, die mit dem spielerisch und gesanglich von Patrick Jaskolka hervorragend disponierten Opernchor und Extrachor des Aalto-Theaters sowie dem dröhnenden Königs-Bass von Baurzhan Anderzhanov die Opernbesucher als manipulierbares Volk dingfest machen.

Verdi hat viele Überlegungen in seine Komposition investiert, um authentischen Klang und entsprechendes Kolorit zu finden. Seine melismatischen Melodien, getragen von kunstvoll komponierten Sätzen für Harfe, Flöten und Trompeten sowie die besonderen Aida-Trompeten, mischt Yannis Pouspourikas am Pult der Essener Philharmoniker zu einer wunderbaren Klangfülle.

Dass die Regie den Triumphmarsch mit Texten unterlegt, die in ihrer sachlich kühl distanzierten Sprache an Klagelieder argentinischer Witwen oder an nach 1990 gemahnende Anklagen der Völkermorde in Ex-Jugoslawien erinnern, ist kein politisch bemühter Kontext. Sie sind ein Bekenntnis zum Frieden jetzt und immer und überall.

Großer Beifall für einen großen Opernabend in Essen.

Peter E. Rytz